Klimt wurde "von jeder Generation wieder neu entdeckt"

Tobias Natter im Gespräch mit Britta Bürger · 12.07.2012
Anlässlich des 150. Geburtstags von Gustav Klimt sucht in Wien fast jeder noch nach der kleinsten Verbindung zu dem Maler und profitiert so vom Rummel um ihn. Nach Einschätzung des Kunsthistorikers Tobias Natter ist das auch ein Ergebnis des Marketings - aber nicht nur.
Britta Bürger: Jede wichtige Wiener Kunstinstitution feiert in diesem Jahr den Maler Gustav Klimt als den ihren. Reiseveranstalter bieten Kuss-Wochenenden an, die dann natürlich zum berühmtesten Bild des Malers führen, das ab heute mit allen anderen Klimt-Beständen des Wiener Belvedere neu präsentiert wird. Der 14. Juli, der kommende Sonnabend also, ist der eigentliche Jubeltag, der 150. Geburtstag von Gustav Klimt. Hören wir dazu einen Mann, der sich mitten in diesem ganzen Rummel befindet, den Kunsthistoriker Tobias Natter, Direktor des Wiener Leopold Museums! Ich habe ihn gefragt, ob ihm dieser ganze Klimt-Vermarktungsrummel eigentlich langsam auf den Wecker geht?

Tobias Natter: Es ist natürlich eine faszinierende Situation, wenn man sich mit einem Künstler beschäftigen kann - und ich mache das für mich ja schon seit sehr langer Zeit -, der eine derart interessante, komplexe und auch weltweit beachtete Figur ist. Meine Grundthese ist ja, dass es den Klimt zwar gab als historische Persönlichkeit, dass dieser Klimt aber nach seinem Tod 1918 eigentlich von jeder Generation wieder neu entdeckt wurde.

Bürger: Für die Stadt Wien ist er aber eine lukrative Marke. Hat Klimt das im Grunde aber auch schon selbst in die Wege geleitet, sich als Marke zu etablieren?

Natter: Ob der Gustav Klimt das selbst getan hat, das würde ich eher bezweifeln. Was aber sicherlich zutrifft, dass er in einem hoch professionellen Umfeld gearbeitet hat. Die Situation Wien um 1900 ist in manchen Dingen, was die Kunst und die Produktion und vor allem auch die Distribution anlangt, noch rückständiger als zum Beispiel Paris mit seinem blühenden Galeriewesen, auch in Berlin, wo es Cassirer und andere Leute gibt. Trotzdem, mit der Gründung der Sezession haben wir eine hoch effiziente Künstlerschaft, die sich neu organisiert, die sagt: "Wir sind nun die Vertreter der Moderne!" und die das aber auch publizistisch begleiten. Sie scharen Journalisten, Medienleute um sich, sie machen Marktbeobachtung. Das zeigt schon sehr stark, dass wir es hier mit der modernen Kunst, mit dem Betriebssystem Kunstmoderne zu tun haben.

Bürger: Deckt sich eigentlich das öffentliche Bild dieses hedonistischen, sinnenfrohen, freizügigen Mannes mit dem, was Klimt tatsächlich für ein Mensch war?

Natter: Natürlich glauben wir alle, ein Bild zu haben, der Maler, der Frauen und bravourösen Handhabung von Farbe und von Form, und die goldenen, opulenten, dekorativen Szenen ... Interessanterweise, das Wort, das am häufigsten in der schriftlichen Korrespondenz von Klimt vorkommt, ist "unglücklich"! Der Maler ist immer unglücklich! Er schreibt: "Auch wenn man es mir nicht glaubt, es hat noch nie einen Tag gegeben, an dem ich nicht unglücklich bin." Tatsächlich ist es seine Kunst, für die er intensiv arbeitet, und da passt auch die Beobachtung dazu, die großen Schwierigkeiten, die Klimt hat, ein Bild fertig zu malen. Es gibt viele, viele Anekdoten von Auftraggebern, die berichten: "Er kommt und kommt nicht ans Ende." Klimt weiß nicht, wann ist ein Bild fertig, wann kann er aufhören. Es sind Bilder, die schon in der Ausstellung sind und die Öffentlichkeit ist ganz perplex, und dann nimmt er es wieder auf einen oder zwei Tage mit nach Hause, um daran weiter zu fantasieren. Die Auftraggeber müssen oft vorfahren und ihm die Bilder regelrecht mit Gewalt entreißen! Heute - vielleicht schon mit der ganzen Kommerzialisierung, auch Popularisierung von Gustav Klimt - wird allzu sehr übersehen, wie sehr da ein Mensch um etwas ringt, das aus seinem Innersten kommt.

Bürger: Klimt hat mit seinen Arbeiten ja zu seiner Zeit immer wieder für Skandale gesorgt: "Zu nackt! Zu erotisch, bestialisch, geschmacklos!", so wurde damals doch hart geurteilt. Was sagen denn diese mitunter sehr heftigen Proteste aus über das Kunstdenken der Wiener Gesellschaft um 1900?

Natter: Wahrscheinlich hat dieser Gustav Klimt in Wien um 1900 für die größten Erregungen gesorgt, die die österreichische Kulturgeschichte je gekannt hat. Und Nacktheit spielt dabei eine große Rolle, Nacktheit sozusagen als ein Wert, der eine gefährliche Nähe natürlich auch zur Sexualität hat. Wir sind in einer Stadt in Wien um 1900, wo es auch Sigmund Freud gibt, Traumdeutung, Sexualität wird neu entdeckt in einem katholisch geprägten Milieu, aber es ist ein brüchig gewordenes Milieu und insofern auch etwas sehr modernes auch in seiner Brüchigkeit.

Bürger: Würden Sie Klimt also als Freiheitskämpfer bezeichnen, als Freiheitskämpfer für die Kunst und die Sexualität?

Natter: Einerseits hat Klimt nicht diesen programmatischen Anspruch gehabt, dass er jetzt die, als großer Freiheitskämpfer in die Geschichte eingeht. Aber mit dem, was er gemacht hat, hat er mehr Freiheiten erworben für die Kunst als jeder andere Maler. Und wenn die nachkommende Generation von Egon Schiele und Oskar Kokoschka diesen Weg fortsetzen konnten, dann nur, weil Klimt sozusagen die Bahn gebrochen hat.

Bürger: Zum 150. Geburtstag von Gustav Klimt am kommenden Sonnabend sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Kunsthistoriker Tobias Natter, dem Direktor des Wiener Leopold Museums. Am Attersee, da wird ja am Sonnabend auch noch ein neues Klimt-Zentrum eröffnet, eben dort, wo Klimt allein oder mit seiner Vertrauten Emilie Flöge die Sommer verbracht hat. Wie passt, Herr Natter, diese jahrelange, sehr enge, doch wohl nur platonische Beziehung zu Emilie Flöge zu dem Bild des Frauen verschlingenden Salonmalers?

Natter: Wir müssen sagen, dass wir das Verhältnis nicht mehr eindeutig rekonstruieren können. Was wir aber tatsächlich wissen: Dass diese Emilie Flöge 30 Jahre lang der wichtigste Mensch für Gustav Klimt war. Wir wissen auch, dass sie eine selbstständige Geschäftsfrau war, eine Modemacherin. Und diese Frau an der Seite von Gustav Klimt ... Ich persönlich nehme an, das war wohl einmal eine Liebesbeziehung und beide waren stark genug, aus dieser einen Form des Zusammenseins eine emanzipierte andere Form zu finden, die für beide auch sehr viele Freiheiten hatte, für Gustav Klimt sicherlich auch ganz starke sexuelle Freiheiten. Das spricht vielleicht auch eben für diesen starken Charakter, in dem diese beiden Menschen zueinander gefunden haben. Das ist ein sehr faszinierendes, wenn man will, vielleicht auch ein modernes Verhältnis. Und die Worte von Gustav Klimt am Sterbebett sind nicht zufällig: "Die Emilie soll kommen!" Das ist jene Frau, der er noch die letzten Dinge sagen möchte.

Bürger: Und dann ist da aber auch noch das Klischee vom Muttersohn: Er hat ja zeitlebens zusammen mit seiner Mutter und zwei unverheirateten Schwestern gelebt. Welche Erklärung gibt es dafür?

Natter: Gustav Klimt ist sicherlich der bestverdienende Maler, den es in Wien damals gab. Und erstaunlicherweise: Er hat nie eine Wohnung gekauft, er hat kein Atelier, er hat es vorgezogen, am Abend in die Wohnung seiner Mutter zurückzukehren. Ob man daraus jetzt schließen kann, dass es ein Muttersohn war, das weiß ich nicht. Interessant ist dieses Verhältnis, das der Klimt zum Geld hat: Er hat enorm verdient, als er tot ist und sein Nachlass eröffnet ist, ist kein Geld mehr da. Das heißt, es ist alles aufgebraucht, aber enorme Summen, die wir uns kaum vorstellen können. Und Klimt sagte einmal: Geld interessiert mich nur dann, wenn es rollt, das heißt, wenn es ausgegeben wird und wenn er was damit machen kann.

Bürger: Und was hat er damit gemacht?

Natter: Offensichtlich hat er es durchgebracht und war in dieser Weise ein Hedonist, ein Lebemensch. Und was wir immer wieder hören, dass er auch sehr, sehr großzügig zu seinen Modellen war. Und das ist ein Bereich, der die Zeitgenossen damals sehr beschäftigt hat und auch die Gegenwart, ein Aspekt, der Klimt immer sehr interessant gemacht hat, diese vielen Frauen. Das gehört auch mit zu diesem Faszinierenden, was an Klimt immer wieder beschäftigt.

Bürger: Immer wieder ist zu lesen, dass er 14 Kinder -mit ich weiß nicht wie vielen Frauen - gezeugt haben soll. Vielleicht ist auch da eine ganze Menge Geld versickert? Nur vier dieser Kinder sind offiziell anerkannt. Auf der einen Seite gibt es diese Gerüchte und auf der anderen Seite den Vorwurf, er würde Frauen in seinen Bildern zum puren Objekt degradieren. Kann man ihm Ihrer Ansicht nach auch eine Art Frauenverachtung nachweisen, oder steht er ganz im Gegenteil dann doch für die Demonstration einer, ja, sich anbahnenden Emanzipation der Frauen?

Natter: Ja, wir hatten vor Kurzem im Leopold Museum ein Familientreffen, Klimt-Familienmitglieder, aber auch von verschiedenen Modellen, von der Familie Zimmermann und von der Familie Huber. Und übereinstimmend war immer wieder zu hören, dass diese Modelle äußerst positiv über den Maler gesprochen haben, diese Begegnungen als sehr bereichernd für ihr Leben erlebt haben. Und es wird sehr viel spekuliert, ich glaube, auch psychologisiert über das Verhältnis von Klimt und seinem Rollenverständnis und über die Geschlechterasymmetrie, die Europa und Wien um 1900 natürlich auszeichnen. Es ist eine Zeit, die den Mann absolut bevorzugt, und bei Klimt findet das natürlich einen Widerschlag oder Niederschlag. Und dieses asymmetrische Verhältnis kennzeichnet natürlich auch die Kunst von Gustav Klimt. Aber ihm daraus jetzt Frauenfeindlichkeit vorwerfen zu wollen, das wüsste ich nicht, wie man da tun sollte.

Bürger: Wir haben jetzt so viel über Gerüchte gehört. Heißt das, die Klimt-Forschung ist auch mit diesem Jubeljahr noch lange nicht am Ende angekommen?

Natter: Ja, das glaube ich auf jeden Fall, dass wir noch lange nicht am Ende angekommen sind. Was mich vielleicht am meisten fasziniert, dass dieser Klimt ... Er hat ja nie politische Ereignisse kommentiert, war aber ganz oft mittendrin in kulturpolitischen, erbitterten Auseinandersetzungen, wenn es darum ging, dass er die Dinge so darstellt, wie er es für richtig hält: Wenn er die Medizin darstellt, dann hat er nicht die Götter in Weiß und die Heilkraft und die Entwicklung und die Wissenschaftsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts dargestellt, sondern Skeptizismus, Tod, Vergänglichkeit. Und um auf den Punkt zu kommen: Klimt, der immer wieder Freiräume schafft! Und das, denke ich, ist bei der Kunst ein wesentlicher Faktor, Er hat ja im Frauenbild, wenn er die nackten Frauen darstellt, auch Frauen dargestellt, die sexuell sehr freizügig sind. Frauen, die gemeinsam sich sexuell nahekommen, Frauen, die keinen Mann mehr brauchen, um zu einer sexuellen Erfüllung zu kommen. Er verwendet, entwickelt auch in seiner Kunst Körperideale, die androgyn sind, die auf die 20er-Jahre vorausweisen. Vielleicht muss man sagen, dass Klimt an der Schnittstelle steht: Er ist sowohl zum 19. Jahrhundert zuzurechnen wie zur großen Moderne des 20. Jahrhunderts.

Bürger: Tobias Natter, der Direktor des Wiener Leopold Museums, zum 150. Geburtstag von Gustav Klimt. Am Sonnabend erreicht das Jubiläumsjahr seinen Höhepunkt, dann ist wirklich der Geburtstag, der 150. Herr Natter, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

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