Klimaexperte: Kein neues großes Abkommen in Cancun zu erwarten

Niklas Höhne im Gespräch mit Gabi Wuttke · 23.11.2010
Kommende Woche treffen sich Spitzenpolitiker aus aller Welt zum Klimagipfel im mexikanischen Cancun. Ein großes neues Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgase sei jedoch kaum zu erwarten, sagt der Energieexperte Niklas Höhne. Dennoch seien auch kleine Schritte von Bedeutung.
Gabi Wuttke: Global gesehen ist das Jahr 2010 – so viel zeichnet sich ab – das wärmste seit 130 Jahren. Ob das die Strippenzieher auf dem UN-Weltklimagipfel nächste Woche in Cancun beeindrucken wird? Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen hat die Versprechen von Kopenhagen mit den wissenschaftlich errechneten Notwendigkeiten verglichen, die nötig sind, um die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu senken. Daran mitgearbeitet hat der Direktor der Energieberatungsfirma Ecofys in Köln, Niklas Höhne, schönen guten Morgen!

Niklas Höhne: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Könnte der CO2-Ausstoß maßgeblich gesenkt werden, würden alle Staaten aus ihren freiwilligen Ansagen in Kopenhagen echte Verpflichtungen in Cancun machen?

Höhne: Die Frage ist hier, ist das Glas halb voll oder halb leer? Also wir haben verglichen, was die Länder vorgelegt haben, und haben das zusammengerechnet. Und es ist leider zu wenig, um den Klimawandel wirklich auf zwei Grad zu begrenzen, aber man kann schon sagen, dass, wenn man das optimistisch auslegt, was die Länder vorgelegt haben, kann es hier ungefähr zu zwei Dritteln in die richtige Richtung gehen. Aber es bleibt noch eine große Lücke in Richtung zwei Grad.

Wuttke: Ich nehme jetzt erst mal das halb leere Glas: Das heißt, selbst wenn alle an einem Strang ziehen, ist mit den jetzigen Vorgaben überhaupt gar kein Staat zu machen?

Höhne: Noch nicht, nein. Man muss schon sagen, dass eben deutlich mehr Emissionsreduktionen stattfinden müssten, um den Klimawandel auf zwei Grand zu begrenzen. Es ist nicht mehr viel Zeit da, um das wirklich zu tun, also die Emissionen müssen begrenzt werden und ein Maximum erreichen in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Und das ist mit den jetzigen Verpflichtungen, die die Länder vorgelegt haben, noch nicht zu sehen.

Wuttke: Und was das halbvolle Glas angeht: Welche Staaten haben denn erkannt, dass der Klimaschutz keine Bedrohung, sondern eine Chance ist?

Höhne: Was wirklich neu ist seit den letzten anderthalb Jahren, dass auch Entwicklungsländer sich Ziele auferlegt haben freiwillig und in einigen Fällen wirklich auch ambitioniert. Länder sind zu nennen wie Mexiko, Südkorea, Südafrika, die wirklich quantifizierte Ziele vorgelegt haben. Und das weist deutlich in die richtige Richtung. Insgesamt muss man sagen, für die Industrieländer sind die Ziele noch sehr, sehr mittelmäßig, würde ich mal sagen.

Wuttke: Wer trägt denn bei den Industrieländern die rote Laterne?

Höhne: Sehr wichtig ist natürlich die USA, die Emissionen der USA sind ungefähr 15 bis 20 Prozent global, also wirklich einer der großen Emittenten. Die Pro-Kopf-Emissionen sind die höchsten der Welt, und hier muss etwas passieren, um den Klimawandel wirklich im Zaum zu halten. Und das, was Obama vorgelegt hat, ist weniger, als man sich erhofft hatte. Man hatte erhofft, dass die USA ein nationales Klima-Gesetz umsetzt. Das hat leider nicht geklappt, insofern ist die Position der USA sehr, sehr schwierig.

Wuttke: Und China, halb voll oder halb leer, das Glas?

Höhne: Auch da halb voll oder halb leer. Man muss sagen, dass China immerhin ein Ziel vorgelegt hat, das ist auch ganz neu, China hatte sich immer geweigert, ein Ziel vorzulegen. Und viele sagen, das wäre aber nicht ambitioniert genug; auf der anderen Seite muss man sehen, dass China national sehr viele Maßnahmen umgesetzt hat, um Energie zu sparen, um Erneuerbare auszubauen. Und deshalb wahrscheinlich dieses Ziel erreichen wird, wenn nicht sogar übererfüllen. Also ich würde sagen, zurzeit steht China deutlich besser da als die USA.

Wuttke: Die Bundeskanzlerin sieht sich ja noch immer sehr gerne als große Wegbereiterin des Klimaschutzes, notfalls auch im deutschen Alleingang. Wie bewerten Sie die deutsche Ausgangslage?

Höhne: Zunächst, was Deutschland schon gemacht hat in der Vergangenheit, da sind einige gute Dinge dabei: Der Ausbau der erneuerbaren Energien, da ist Deutschland Vorreiter, das ist wirklich sehr, sehr gut. Nun hat die Bundesregierung auch ein Energiekonzept vorgelegt, das wirklich langfristig denkt, das ambitionierte Ziele hat. Nur leider sind die Maßnahmen, die die Bundesregierung im letzten Jahr umgesetzt hat, unzureichend oder gar kontraproduktiv und weisen nicht in die richtige Richtung. Insofern ist die Position von Angela Merkel, würde ich sagen, sehr geschwächt hier an dem Klimagipfel, wenn man sich die jetzigen Maßnahmen anschaut, die die Bundesregierung umgesetzt hat.

Wuttke: Wird sie verheimlichen können, dass in Deutschland kontraproduktive Energiepolitik gemacht wird?

Höhne: Da bin ich mir nicht sicher. Aber die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke ist sicherlich auch außerhalb von Deutschland diskutiert worden, insofern wird da schon klar werden, wie hier die Position ist.

Wuttke: Womit rechnen Sie in Cancun? Man muss es ja mal wieder so nennen, offensichtlicherweise sind das quasi nur invasive chirurgische Schnitte, die man machen kann um sich weiter fortzubewegen auf dem Weg, das Klima der Welt zu schützen?

Höhne: Ja, das kann wirklich nur sehr langsam vorangehen, das liegt auch schon an dem Prozess, wie man die Entscheidungen fällt. Es müssen immer alle Länder zustimmen, sonst kommt es zu keiner Entscheidung, oder wenigstens keines, kein einziges Land darf dagegen sein. Das macht die Sache sehr, sehr schwierig und deswegen geht es nur in Zeitlupe voran. Zum anderen ist es eben so, dass die Ausgangslage, die in Kopenhagen letztes Jahr zu einer Katastrophe geführt hat, die ist nicht anders, es hat sich nichts geändert. Die USA sind am selben Punkt und China ebenfalls. Insofern ist nicht zu erwarten, dass es hier zu einem großen neuen Klimaschutzabkommen kommt. Dennoch ist es wichtig, kleine Schritte zu gehen und kleine Entscheidungen zu treffen um zu zeigen, dass der Prozess doch noch vorangehen kann.

Wuttke: Herr Höhne, Sie haben selbst für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen gearbeitet. Hat das eigentlich innerhalb der UN den Stellenwert, den es braucht um so ernst genommen zu werden, wie die Lage es erfordert?

Höhne: Noch nicht ganz. Es gibt ja eine Weltgesundheitsorganisation, eine Welthandelsorganisation, aber keine Weltumweltorganisation. Da gab es eine Diskussion eben, das Umweltprogramm auf die Ebene einer Organisation zu heben: Das wäre dem Problem sicherlich entsprechend, aber das hat sich bis jetzt eben noch nicht durchgesetzt. Ich denke, es wäre sicherlich zu begrüßen, wenn man die Position von dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen stärken würde.

Wuttke: Wäre denn eine Aufwertung auch eine Antwort auf den arg in die Kritik geratenen Weltklimarat?

Höhne: Nein, das sind wirklich zwei unterschiedliche Funktionen, die hier die beiden Organisationen ausführen. Der Weltklimarat ist ein wissenschaftlicher Rat, der die wissenschaftlichen Ergebnisse zusammenfasst und evaluiert. Und das Umweltprogramm ist dann dafür da, Maßnahmen umzusetzen und die Länder dazu zu bringen, das auch wirklich zu tun. Insofern ist da eine klare Teilung der Aufgaben zu sehen.

Wuttke: Die Welt auf dem Weg nach Cancun. Dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Niklas Höhne, der Direktor der Energieberatungsfirma Ecofys, die für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen an der Studie mitgearbeitet hat, die heute veröffentlicht wird, eine knappe Woche vor Beginn des Weltklimagipfels. Herr Höhne, besten Dank und schönen Tag!

Höhne: Danke schön!
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