Klimaerwärmung begünstigt Ansiedelung tropischer Mücken in Deutschland

Helge Kampen im Gespräch mit Ulrike Timm · 29.08.2012
49 unterschiedliche Arten Mücken gibt es in Deutschland - in den letzten Jahren haben Forscher mindestens drei neue Arten entdeckt. Diese sind wohl eingeschleppt worden und gefährden Menschen und Tierwelt, erklärt der Biologe Helge Kampen.
Ulrike Timm: Wenn Sie sich das nächste Mal kratzen, weil Sie ein Mückenstich juckt, dann tun Sie das mit Andacht! 49 unterschiedliche Arten der Quälgeister können es in Deutschland nämlich mittlerweile gewesen sein. Um sie alle zu orten, zu spezifizieren und wertvolle Hinweise von Mückenmobilität bis hin zum Klimawandel zu gewinnen, erstellen Forscher derzeit einen Mückenatlas. Und wenn Sie die Viecher nicht totschlagen, dann können Sie am Forschungsprojekt Mückenatlas auch mitwirken. Helge Kampen ist Biologe am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit in Greifswald und gerade von einer Mückenexkursion zurück. Schönen guten Tag, Herr Kampen!

Helge Kampen: Schönen guten Tag, Frau Timm!

Timm: Wie viel Stiche haben Sie denn abgekriegt?

Kampen: Nicht viele. Ich war also meistens tagsüber, bei Sonnenschein unterwegs, aber hin und wieder auch in der Dämmerung und da fliegen einen natürlich die Mücken an und stechen gerne.

Timm: Ja, und wenn eine zusticht, dann wissen Sie gleich, welche von den 49 Arten es war?

Kampen: Absolut nicht, nein. Manche Arten kann man sehr gut schnell erkennen, die haben also ausgeprägte Merkmale, die man auch ohne Lupe erkennen kann. Aber bei den meisten Mückenarten, da braucht man schon ein Mikroskop und da muss man Härchen und Borsten und Schuppen genau sehen, um da eine Artdifferenzierung vorzunehmen.

Timm: 49 Arten gibt es insgesamt. Das erstaunt den Laien ja erst mal. Was hat sich denn da in den letzten Jahren verändert, dass es so viele geworden sind?

Kampen: Na, so viel sind es wahrscheinlich nicht geworden. Wir wissen schon seit längerer Zeit, dass wir über 40 Arten haben, also ... Das Problem ist nur, dass es aktuelle, weitreichende Untersuchungen, systematisch flächendeckende Untersuchungen nicht gibt. Also, die Literatur, auf die wir uns jahrelang bezogen haben, die stammt aus dem Ende der 60er-Jahre. Und da war es doch mal Zeit, wieder so ein Monitoring aufzusetzen und zu gucken, was hat sich geändert, was haben wir heute. Und wir haben in der Tat in den letzten Jahren hier drei neue Arten nachgewiesen, wobei allerdings nur eine Art sich hier etabliert hat und festgesetzt hat, und zwei Arten sind wahrscheinlich nur in Einzelexemplaren hier gefunden worden und nicht, gehören eigentlich nicht zur einheimischen Fauna.

Timm: Sie gehören nicht dazu. Sind das diese berühmten tropischen Mücken, die sozusagen eingewandert sind?

Kampen: Richtig. Da gibt es die Asiatische Tigermücke, Aedes albopictus, die ist in letzter Zeit sehr viel in den Medien aufgetaucht, weil, das ist eine Mückenart, die kommt aus Südostasien und ist dort in ihrer Heimat als Überträger vieler Viren und Krankheitserreger bekannt. Sie hat sich auch in Südeuropa schon vor einigen Jahren, genau gesagt sogar Ende der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts, angesiedelt und wir beobachten eine langsame Ausbreitung nach Norden.

In Deutschland haben wir inzwischen zwei Nachweise geführt in dieser Art, aber wir gehen davon aus, dass die Art mit dem Pkw-Transport oder mit Kraftfahrzeugtransport aus Südeuropa hierhin gebracht wurde und dass wir keine Population von dieser Art haben.

Timm: Kommen denn neue Mücken durch den Menschen immer per Pkw oder Flugzeug, oder sind manche Mückenarten schon Anzeichen für ein sich änderndes Klima?

Kampen: Die Einschleppung von Mücken haben wir wahrscheinlich schon lange gehabt, aber durch den immer weiter zunehmenden Transport sowohl von Personen, den Massentourismus, auch den Transport von Tieren und Waren international haben die Mücken natürlich immer mehr Gelegenheit, eingeschleppt zu werden. Das ist also unter dem Stichwort Globalisierung zu nennen oder zu sehen. Und dann kommt natürlich noch das andere, die Klimaerwärmung dazu. Und die Klimaerwärmung, die wir möglicherweise ja haben, die ermöglicht es den Mücken dann tatsächlich, den eingeschleppten Mücken, sich hier anzusiedeln und auszubreiten.

Timm: Ganz aktuell haben besonders die Amseln unter Mückenstichen zu leiden, Mückenstiche, die das Usutu-Virus übertragen. Ja, was genau ist das und was passiert mit den Vögeln?

Kampen: Ja, das Usutu-Virus ist ein neues Virus aus Afrika. Viele Zugvögel bringen immer schon Viren aus Afrika mit. Dieses Usutu-Virus ist allerdings erstmals 2001, erst in Österreich, außerhalb Afrikas aufgetaucht und hat dort zu einem Amselsterben geführt, und dadurch ist das Virus dann auch erst entdeckt worden dort. Und in Deutschland wurde es vorletztes Jahr zum ersten Mal gefunden. Witzigerweise erstmals in Stechmücken und dann erst in den toten Amseln, die bald darauf auch gefunden wurden.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit Helge Kampen über die Vielfalt der Mücken, ihre Bedeutung fürs Klima und den ersten bundesweiten Mückenatlas, der gerade entsteht. Und an diesem Mückenatlas, Herr Kampen, kann jeder mitwirken, der Ihnen welche zuschickt. Bloß zermatscht dürfen sie nicht sein, was ja doch der eigenen Intuition, einfach zuzuschlagen, widerspricht. Wie fängt man denn Mücken?

Kampen: Ja, wir haben eine Homepage erstellt, die heißt www.mueckenatlas.de. Dort gibt es viele Hinweise darauf, auf den Mückenatlas als solchen und auch darauf, wie man am besten die Mücken fängt. Wir empfehlen, der Mücke sich vorsichtig zu nähern mit einem kleinen Röhrchen oder mit einem Glas und dieses Gefäß dann über die Mücke zu stülpen. Man kann es direkt so einschicken zu uns, man kann aber auch das Gefäß erst mal ins Tiefkühlfach stellen, dann ist die Mücke nach 15, 20 Minuten tot, dann kann man sie auch noch mal vorsichtig umfüllen und in einem kleineren Gefäß uns einschicken.

Timm: Und Sie kommen gerade von einer Mückenexkursion. Das heißt, wenn Sie dort Mücken fangen, dann haben Sie so, ja, eine Tiefkühltruhe dabei und fangen sie im Röhrchen? Oder wie muss ich mir das vorstellen?

Kampen: Tiefkühltruhe haben wir manchmal mit. Das heißt, wir haben eine große Styroporbox mit Trockeneis, das ist also minus 80 Grad kalt. Da können wir gut Mückenproben transportieren und lagern. Allerdings fangen wir auch sehr viel Jugendstadien der Mücken, das sind dann die Larven und die Puppen, die in irgendwelchen kleinen Gewässern, Gefäßen, wassergefüllten Gefäßen zu finden sind, die fangen wir mit einem Siebchen zum Beispiel raus und tun sie in ein Glasgefäß oder in einen Becher, den wir dann mit uns rumschleppen, und warten, bis die Mücke schlüpft aus der Puppe.

Timm: Und nun haben Sie alle aufgerufen, beim Mückenatlas mitzuwirken. Wie viel Mücken sind Ihnen denn schon geschickt worden?

Kampen: Ja, wir haben mittlerweile über 900 Zusendungen. Das, da waren etwa 500 Zusendungen bei, die Stechmücken enthielten. Wir bekommen natürlich auch viel anderes, was dann für uns nicht so sehr interessant und nicht verwertbar ist. Aber wir bekommen auch viele Stechmücken eben, wie es gewünscht ist, und auch sehr interessante Funde, muss man sagen.

Timm: Wie es gewünscht, heißt dann im Röhrchen oder zumindest unversehrt! Wenn man sich den Atlas mit den bisherigen Funden mal anschaut, dann fällt auf: viele Proben aus Ostdeutschland, aus der Oder-Gegend, viele Mücken vom Rhein. Sind das die mückenintensivsten Gebiete Deutschlands oder ist das Zufall und einfach den derzeitigen Einschickungen geschuldet?

Kampen: Das ist wahrscheinlich der Öffentlichkeitsarbeit geschuldet. Ich habe ...

Timm: Also, das Rheinland und die Oder-Gegend sammelt fleißig?

Kampen: Ja, wir haben sehr viel Öffentlichkeitsarbeit in letzter Zeit gemacht und da ist das Rheinland, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg ganz besonders betont gewesen. Aber wir sind natürlich an Mücken aus allen Teilen Deutschlands interessiert, wir wollen ja wissen auch, welche Mücken in Norddeutschland, an den Küsten vorkommen oder welche auch in Süddeutschland in den bergigeren Regionen vorkommen.

Timm: Und wenn Sie diesen Mückenatlas dann tatsächlich erstellt haben werden, wer braucht den dann genau wozu?

Kampen: Na, die Wissenschaftler brauchen den. Wir interessieren uns natürlich dafür, wo potenzielle Überträger von Krankheitserregern vorkommen. Wir untersuchen also oder wir interessieren uns dafür, welche Mückenart wann und wo vorkommt, und wir kennen aus der Fachliteratur natürlich die Mückenarten, die in anderen Ländern mal als Überträger von Krankheitserregern aufgetreten sind. Zum Teil gibt es die eben bei uns auch, obwohl wir hier die Erreger nicht haben und daher keine Erregerübertragung stattgefunden hat. Aber mit der Globalisierung und dem Massentransport kommen eben nicht nur Mücken nach Deutschland, sondern auch Krankheitserreger. Und die könnten möglicherweise auch hier bei den einheimischen Mücken auf effektive Überträger treffen.

Timm: Herr Kampen, haben Sie sich als, ich sage es mal, Deutschlands oberster Mückologe das Zuschlagen eigentlich konsequent abgewöhnen können?

Kampen: Überhaupt nicht, überhaupt nicht! Mich sticht es und juckt es genau so wie jeden anderen und im Zweifelsfall schlage ich dann zu!

Timm: Stechproben - in Deutschland wird der erste Mückenatlas erstellt. Ihre Beute, die senden Sie bitte unversehrt und gerne tiefgefroren ans Leibniz-Institut ((eigentlich: Leibniz-Zentrum; Anmerkung der Redaktion)) für Agrarlandsforschung nach Müncheberg! Herr Kampen, besten Dank fürs Gespräch!

Kampen: Nichts zu danken! Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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