Klettern in der Sächsischen Schweiz

Freunde des Abgrunds

Ein Kletterer erklimmt am 08.03.2015 in der Nähe von Königstein (Sachsen) in der Nationalparkregion Sächsische Schweiz einen der Gipfel des Pfaffensteins.
Das Elbsandsteingebirge als Wiege des Freikletterns: Um den weichen Sandstein zu schützen, dürfen keine Sicherungsringe eingeschlagen werden. © picture alliance / dpa / Thomas Eisenhuth
Von Alexa Hennings · 12.04.2015
Ameise und Backenzahn oder Pionierturm und Wegelagerer - wie die Namen der Felsen im Elbsandsteingebirge zeugen auch die Gipfelbücher vom jeweiligen Zeitgeist. Doch nicht nur das Gipfelbuch-Archiv ist eine Fundgrube für die sächsischen Kletterer.
"Vereinsgenossen, welche jetzt, da die Reisezeit vor der Türe steht, sich für schwierigere Touren etwas vorbereiten wollen und nicht das Glück haben, in der Nähe des Hochgebirges zu wohnen, möchte ich auf die Sächsisch-Böhmische Schweiz aufmerksam machen. Ein Gebiet, dass treffliche Gelegenheiten zu interessanten Klettereien bietet. Die Ausrüstung ist die alpine: Nagelschuhe, Proviant, Seil - nur den Pickel kann man zuhause lassen. Umso nötiger sind aber Kletterschuhe. Zu näheren Auskünften bereit sind die Herren Friedrich Meurer und Julius Dümler."
Die Herren Meurer und Dümler sind heute leider nicht mehr zu Auskünften imstande. Ebenso wenig wie Oscar Schuster. Er veröffentlichte diese ersten Zeilen über das sächsische Klettergebiet 1894 in den "Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins". Damals erklomm man zwar schon 30 Jahre lang die Gipfel im Elbsandsteingebirge, aber die Kunde davon war noch nicht viel weiter als bis Dresden gedrungen. Immerhin waren es Alpenbewohner, die den Begriff Sächsische Schweiz überhaupt geprägt hatten: Die Schweizer Maler Adrian Zingg und Anton Graf. Die Maler der Romantik kurbelten den Tourismus - der damals noch Fremdenverkehr hieß - an. Und mit den Wanderern kamen die Bergsteiger.
Wer heute Auskünfte über das Klettern in der Sächsischen Schweiz möchte, der steuert am besten Hohnstein an. Am unteren Ende des Marktes, der mächtigen, auf einem Sandsteinfelsen gebauten Burg gegenüber, steht das älteste Haus der Stadt. Der Fachwerkbau aus dem 17. Jahrhundert hatte als einziges einen großen Stadtbrand überlebt. Gefahren zu überstehen ist auch die Spezialität seines Bewohners: Bernd Arnold. Er ist 68 Jahre alt, klein und drahtig. Man könnte ihn auch für einen Marathonläufer halten. Ausdauernd und zäh wie ein Langstreckenläufer muss auch ein Kletterer sein - zudem ein Pionier wie Arnold: 900 Erstbegehungen an Felsen in der Sächsischen Schweiz gehören zu seinem Lebenswerk. Das zu krönen, hatte er eigentlich sein Nachbarhaus am Hohnsteiner Markt auserkoren. Seit der Wende verfällt es. Er steht kopfschüttelnd davor.
"Das ist schon ganz furchtbar hier, das Haus ist 'ne Katastrophe. Wir hatten hier nämlich die Bestrebung, ein Museum rein zu machen. Übers Bergsteigen gibt es ja schon viele Museen. Aber über den Klettersport als solcher, der sich ja verselbstständigt hat und eine weltweite Bewegung geworden ist, gibt es kein Museum, was den Klettersport so richtig erfasst und aufbereitet. Die Stadt hat zwar Interesse daran, aber finanziell ist das für die Stadt wohl nicht zu stemmen. Ein anderer Platz wäre die Burg, aber bei der Burg sind auch die Besitzverhältnisse nicht richtig geklärt. Also, es ist einfach ein bissel schade."
Ausreichend Stoff für ein Klettermuseum
Allein die Namen der Gipfel in der Sächsischen Schweiz wären eine Betrachtung wert: Ameise und Backenzahn, Dornröschen und Zyklopenmauer, Auguste und Patient, Pionierturm und Wegelagerer, Bergfreundschaftskegel und Bahnhofswächter. Und auch die verschiedenen Kletterwege, die zum Gipfel hinaufführen, tragen Namen, hinter denen Geschichten und Geschichte stecken: Bernd Arnold zum Beispiel gab den Wegen, die er zuerst bestiegen hatte, Namen wie "1000-Mark-Wand", "6. Versuch", "Barometer für Stimmung", "Teufelei" und "Garten Eden". 20 000 Kletterwege führen zu den 1100 Gipfeln des kleinen Gebirges, das als eines der ältesten Klettergebiete der Welt gilt. Ausreichend Stoff für ein Klettermuseum.
"Ich wollte das gern mit einem Klettergarten kombinieren. Weil, das sächsische Klettern ist ja schon speziell und unterscheidet sich vom Klettern in anderen Gebieten. Es ist nicht so gut abzusichern, und da kommen natürlich viele, die von der Landschaft wahrscheinlich angezogen würden, nicht her. Weil sie sagen: Hier kann ich doch nicht so klettern, wie ich es gewöhnt bin. Dann lasse ich es lieber, ehe ich mich zu Tode stürze!"
Seit mehr als 100 Jahren gelten die "Sächsischen Kletterregeln" - eine strenge Kletterethik, die den Einsatz von Hilfsmitteln stärker als in anderen Gebirgen beschränkt. Klettern ist nur an freistehenden Felsen und - bis auf wenige Ausnahmen - nicht an Massiven erlaubt. Man darf nur natürliche Griffe und Tritte nutzen und muss sich aus eigener Kraft daran fortbewegen. Traditionell sind nur wenige Sicherungsringe vorhanden und neue dürfen nicht eingeschlagen werden. So soll der weiche Sandstein geschützt werden. Die eingeschränkten Sicherungsmöglichkeiten erfordern ein höheres Können - nicht umsonst gilt das Elbsandsteingebirge als Wiege des Freikletterns.
"Es gibt Kletterstellen, welche hart an die Grenze des Möglichen streifen. Der Kamin am Maurerturm in der Schrammstein-Gruppe ist ein Muster dieser Art. Da sind Stellen, wie ich wenige ähnlicher Art in den Alpen kenne, Partien, so furchtbar anstrengend und kraftraubend, dass sie sich dem Gedächtnisse unauslöschlich einprägen." (Oscar Schuster, 1897)
"Man darf die Hoffnung nicht aufgeben..."
Die Hoffnung aufgeben, das ist ohnehin keine Bergsteigersache. Das bringt das Erklimmen von Gipfeln so mit sich. Optimismus als Lebensprinzip, das gilt auch für die eigene Gesundheit. Bernd Arnold überquert die Hohnsteiner Hauptstraße, um auf den Panoramaweg zu gelangen. Beim Aufstieg zieht er ein Bein etwas nach.
"Ich bin noch bissel behindert, ich hatte jetzt jahrelang ein Rückenproblem, danach ging es bei mir rasant bergab mit der Leistungsfähigkeit. Und da habe ich mich Ende des Jahres operieren lassen und die Operation ist gelungen. Und seitdem bin ich dabei, meinen Körper zurückzuholen. Das ist eine harte Nummer. Aber ich bin guter Dinge und es geht Stück für Stück wieder aufwärts."
Lied: "Mein Vater war ein Wandersmann und mir steckt's auch im Blut, drum wander ich solang ich kann und schwenke meinen Hut..."
Viele Kletterer beginnen mit dem Wandern
Was die "Bergfinken" singen - "Bergfinken" heißt der Chor des Sächsischen Bergsteigerbundes - ist ein Stück der Biografie vieler Bergsteiger und auch ein Stück vom Leben des Bernd Arnold. Denn bei fast allen begann die Leidenschaft für die bizarren Gipfel mit dem Wandern.
"Ich hab als kleiner Junge schon Bergsteiger gespielt. Und bin schon als Fünfjähriger über das Spielen hineingewachsen. Und der erste richtige Gipfel - wenn man das jetzt auf die amtlichen Kletterfels übertragen will - der ist gar nicht weit weg von hier, das ist der Panoramafelsen. Und da hat man, das sagt schon der Name, einen ganz tollen Blick, wenn man oben ist. Und da hat man schon dieses Bergsteigergefühl, oben angekommen zu sein. Das war schon was Großartiges. Da war ich zwölf Jahre alt.
Wenn man Kind ist, hat man ja erstmal keine Ahnung. Da steht das Sportliche gar nicht so im Vordergrund. Das ist ja eher das Abenteuer, an einen Punkt zu kommen, wo andere nicht hinkommen. Das ist was ganz Normales. Und so war es ja wahrscheinlich auch in der Früh-Pionierzeit. Und dann versucht man das alleine und merkt, dass man eigentlich nur Angst hat - lacht - und dass das nicht so richtig klappt. Und dann wendet man sich Älteren zu und geht denen auf den Geist, dass sie dich mal mitnehmen. Wenn ich heute klettern gehe, dann immer mit Jüngeren. Und das ist auch gut, denn dann bleibt man auch selber jung. Nicht nur körperlich, sondern auch in der Birne."
Bis heute gibt der 68-Jährige Kletterkurse. Nicht in der Halle, in der Natur. Der kleine, grauhaarige Mann mit der silbernen Nickelbrille ist in Kletterkreisen eine Legende. Nicht nur in der heimatlichen Sächsischen Schweiz hat er neue Wege erklommen, sondern auch Erstbegehungen als Freikletterer von Gipfeln in den Alpen und in den Anden gewagt. Es kommt nicht allzu häufig vor, dass "Legenden" noch aktiv sind. Bernd Arnold ist es.
"Die kommen aus ganz Deutschland, auch Frankreich, Österreich, Schweiz. Manchmal kommen sogar extra welche aus USA. Es auch viele, die, glaube ich, extra wegen mir kommen, um mit mir zu klettern. Weil für viele, die sich mit dem Klettersport befasst haben, ist das auch was Besonderes. Und für mich auch, ich freue mich auch darüber. Und ich freue mich, etwas von mir und meinem Kopf, von meinem Verständnis vom Klettern weiterzugeben."
"Derartige Stunden sind nicht mit Jahren aus dem Alltagsleben aufzuwiegen. Sie sind für kulturmüde Nerven stärker als Morphium." (Eugen Guido Lammer, Seilgefährte von Oscar Schuster, 1913)
"Klettern wird immer glaube ich ein bissel ein elitärer Sport bleiben. Und das ist auch schön so. Klettern hat ja auch ein ganzes Stück mit Selbsterkenntnis zu tun, Selbsterfahrung. Das große Ziel beim Klettern ist ja eigentlich, Schwierigkeiten mit Leichtigkeit zu überwinden. Das fällt einem natürlich nicht in den Schoss, da muss man einiges für tun. Und wenn man das schafft, dann hat man natürlich einen ganz schönen Denkprozess hinter sich. Und bleibt dann wahrscheinlich auch dabei. Weil man begeistert ist davon - und auch von sich selber, das gehört ja auch dazu!"
Lied Bergfinken: "Wir lieben unsere Berge, die Sehnsucht nach den Bergen, die lässt uns keine Ruh. Wir lieben dieses Leben, das uns zum Kampfe zwingt, weil über allen Wolken der stolze Gipfel winkt..."
"Das sind immer Erlebnisse, die man im Augenblick hat, wo sich alles auf den Augenblick konzentriert. Und wenn man es dann geschafft hat, dann ist er weg. Das ist, wie wenn ein Schneeball unter der Hand wegtaut. Dann braucht man was Neues. Wenn man älter wird, verändert sich auch die Einstellung zum Schwierigkeitsgrad. Man klettert zwar immer an seiner Grenze, aber die Grenze ist eben dann woanders angesiedelt. Und man muss sich beim Älterwerden daran gewöhnen, dass man kein Berufsjugendlicher ist. Das wäre bedauerlich. Deswegen bemüht man sich, man wird sich immer bemühen, an seine Grenze zu kommen, aber die verschiebt sich in der Zeit schon. Auch nicht schlimm."
Der Reiz, die Gefahr zu suchen
Lied Bergfinken: "So steigen wir Kamine, so manche steile Wand. Erzwingen wir den Gipfel auf schmalem Felsenband..."
"Klettern hat einen besonderen Wert für Entspannung - obwohl man angespannt ist. Weil wenn man klettert, kann man an nichts anderes denken. Man muss sich mit seiner Aufgabe beschäftigen und alles andere wird ausgeblendet. Und das ist natürlich auch sehr wohltuend. Und wenn man nach Hause kommt, ist man aufgeräumt, zufrieden und kann den anderen Quatsch, den das Leben so an einen heranträgt, regeln. Das kann man beim Wandern auch, aber das ist ein längerer Weg, ein längerer Prozess. Und der ist nicht so gründlich. Ist auch 'ne Möglichkeit - für die, die nicht klettern, ja, jetzt gehen wir mal wieder..."
"Der Sehnsucht nach Reizen kommt besonders die sportlich betriebene Bergsteigerei auf das beste entgegen. Selbstverständlich muss man sich hüten, jemanden auf solche Touren hin ohne weiteres zu den Psychopathen zu zählen. In der Jugend liegt ein gewisser Reiz für jeden Mann im Aufsuchen der Gefahr, mit dem Alter und der überwiegenden Reflexion nimmt dieser Reiz ab. Ein alter Führer sagte mir einst sehr hübsch: Es ist doch eigentlich merkwürdig, dass der Mensch desto mehr um sein Leben besorgt ist, je weniger es wert wird." (Oscar Schuster)
"Bergsteigen und Psychopathologie" heißt der Aufsatz, den Oscar Schuster 1911 schrieb. Diese und andere Schriften grub der Dresdner Berghistoriker Joachim Schindler in den Archiven aus und gab ein Buch über Oscar Schuster heraus: Das erste über diesen vielseitigen Mann aus Dresden, der Arzt war und Publizist, Bergsteiger und Alpinist. 1917 kam er in einem russischen Internierungslager im Kaukasus um.
Was sucht man in den Bergen? Selbstbestätigung?
Joachim Schindler: "Schon vor 30 Jahren habe ich mit Bernd Arnold zusammen gesessen und wir haben uns damals Gedanken gemacht, wie man einen Oscar-Schuster-Film projektieren könnte. All das Schaffen von Schuster zu recherchieren, das war schon eine gewaltige Aufgabe. Hunderte von Zeitungen - überhaupt erstmal zu finden, zu lesen, zu kopieren. Ich hätte gern mehr erfahren von ihm zu seinen Motiven. Ein Mann, der so beeindruckend neue Wege in der Sächsischen Schweiz, in den Alpen, in Norwegen, im Kaukasus gegangen ist, den müssen viele Dinge umgetrieben haben. Also ich bin, auch wenn das Buch fertig ist - ich bin mit ihm bei weitem nicht fertig."
"Für die Herrlichkeiten der Gebirgswelt wird ein sensibler Geist, Mann von gesteigertem Gefühlsleben, ganz besonders eingenommen sein. Hier, wie auch manchem Kunstwerk gegenüber, steht der Philister verständnislos, weil ihm die Organe zur Wahrnehmung fehlen. Ein starker Wandertrieb findet sich, und der Geldbeutel entscheidet häufig über die Form, wie er zutage tritt. Ein armer Mann zieht als Handwerksbursche durch das Leben, ein reicher wird berufsmäßiger Globetrotter." (Oscar Schuster, "Bergsteigen und Psychopathologie", 1911)
Die Suche nach Motiven: Warum steigt man in die Berge? beschäftigte Oscar Schuster und Joachim Schindler gleichermaßen. Während der Arzt und Schopenhauer-Anhänger vor 100 Jahren den Freunden des Abgrunds durchaus psychopathische Züge zusprach, sieht der 67-jährige Bergsteiger Schindler die Sache gelassener.
"Die einen haben sie abgestempelt als Spinner. Später ist es ja so schön auf den Punkt gebracht worden: Weil es mir gefällt. Weil ich mich bewähre. Schuster hinterfragt ja diese Motive: Was treibt uns in die Berge, was suchen wir da? Suchen wir Stärke, suchen wir Schwäche, suchen wir das Hehre am Berg, die Bewältigung, suchen wir die Selbstbestätigung? Auch wieder ein weites Feld, wo jeder eigentlich seine eigene Antwort finden muss. Ist auch interessant, Schuster sagt ja nicht: Das ist es! Schuster sagt: Nachdenken! Eigentlich lässt er auch hier dem Leser alle Möglichkeiten. Du hast alle Möglichkeiten. Suche das Eigene, du wirst deins finden. Also, er regt an, in sich hineinzugucken. Es gibt auch einen schönen Spruch: Man muss weit hochsteigen, um tief in sich hineinzusehen. Das habe ich bei Schuster rausgelesen: Das ist es eigentlich, die Selbstbefragung auch."
Bergsteigen ist nicht der gefährlichste Sport
Lied Bergfinken: "Wilde Gesellen, vom Sturmwind durchweht, Fürsten in Lumpen und Loden. Ziehn wir dahin bis das Herze uns steht..."
Das Herz, das bleibt den meisten Bergsteigern übrigens - wie den meisten anderen Menschen auch - im Bett stehen. Der Berghistoriker Schindler kennt die Statistiken.
"Ich kann mich noch entsinnen, in der Unfallstatistik des DTSB der DDR gehörten die Bergsteiger bei weitem nicht zum gefährlichsten Sport. Da hatte man in anderen Sportarten ganz andere Unfälle. Wobei mich natürlich heute ärgert, dass es das Bergsteigen nur ins Fernsehen oder in die Medien schafft, wenn irgendwas Spektakuläres passiert. Über das Normale, über das Schöne in den Bergen, wird sehr wenig berichtet. Man bedient sich fast nur der Skandalisierung, ärgerlicherweise. Wenn man davon ausgeht, dass in der Sächsischen Schweiz jährlich so viele Tausende Menschen klettern - natürlich ist jeder Unfall einer zuviel. Wir haben uns bemüht, in den Jahren viel schwere Wege zu klettern. Aber auch immer darauf zu achten, dass wir kein unnötiges Risiko eingehen. Also wir haben uns vorher überlegt, was passiert, wenn ich mich überschätze. Und dieses richtige Einschätzen gehört nach wie vor zum Bergsteigen. Leider gibt es aktuelle Tendenzen, die dieses Risiko, diese Hemmschwelle herabsetzen. Handy am Berg. Wenn ich nicht mehr kann, rufe ich an, wird mir schon jemand helfen. Aber dass dann natürlich jemand anders sein Leben riskieren kann - wer mit den Alpen und den Unfallhelfern zu tun hat, der weiß das. Das geht natürlich im sächsischen Bergsteigen nicht, Man kann nicht einfach am 3. Ring das Handy anmachen und sagen: Nun helft mir mal! Ist ja auch so, wenn ich mal überlege, die meisten schweren Unfälle in den letzten 50 Jahren sind ja nicht an den schwierigsten Wegen passiert sondern in den mittelschwierigen, die nicht so gut gesichert sind. Aber ich kenne Hunderte, die ihr Leben lang gegangen sind und denen nichts passiert ist. Oder wo man konstatieren muss am Lebensende: Na ja, das Glück war mir schon einige Male ganz gut hold. Und man ist dem Glück auch dankbar."
Am Brand, einem Felsengebiet in der Nähe von Hohnstein, das auch "Balkon der Sächsischen Schweiz" genannt wird, rauschen die Bäume wie am Meer, und auch die verkrüppelten Kiefern erinnern an die Windflüchter an der Ostsee. Der Brandkegel ist einer der schwierigsten Felstürme des Gebirges, an dem Überhänge zu überwinden sind und schmale Spalten, durch die man den Körper drücken muss.
"Ja, ein großartiger Felsen. Der auch für viele Junge heute noch ein großartiges Ziel darstellt. Da muss man erstmal hochkommen!"
Für das Hochkommen braucht Bernd Arnold nicht einmal Schuhe. Die Kletterschuhe, eingeführt vor über 100 Jahren von Oscar Schuster, lässt er gern zuhause.
"Barfußklettern ist eine sehr sichere Form des Klettern, weil das Gefühl geht an den Kopf als Meldung. Ich bin mehr mit dem Felsen "verbunden". Ich bin ihm bissel näher. Und wenn man das dann richtig intensiv macht und perfekt die Bewegungen im Speicher hat, dann ist das einfach so wie Tanzen. Und das macht ganz große Freude, weil man dem Felsen ganz nahe ist. Und dann ist der Felsen nicht mehr der Feind, weil man den besiegen will, sondern der ist einfach Partner..."
Kopf einziehen. Eine Felsgrotte mit einer Inschrift, Poesie am Wegesrand.
"Hier sind wir in der Tümmel-Grotte. Mal sehen, ob ich das noch lesen kann, das ist schon ein bissel - äh - herrlich, kitschiger Spruch: Wohl mir, dass mir noch unverwöhnet die Lockung der Natur gefällt... Solch eines Wesens Freund versöhnet mich mit dem Überrest der Welt. Man wird des Lebens überdrüssig bei aller Ebb und Flut der Stadt. Doch hier, geschäftig oder müßig, wird keiner seines Daseins satt. Na ja. Ist schon wahr!"
"Poeten des Abgrunds"
Und weil Kitsch und Kunst, Poesie und Berge irgendwie zusammen gehören, organisiert Bernd Arnold in jedem Jahr auf der Hohnsteiner Burg Bergsommerabende. Dort trifft man die "Poeten des Abgrunds" und Puppenspieler, Kabarettisten, Filmemacher und natürlich: Bergsteiger. So manchen Veränderungen in der Sächsischen Schweiz, die seit der Wende zum Nationalpark wurde, kann man nur mit Humor begegnen: Einerseits beschränken strenge Naturschutzregeln das Klettern und halten vor allem Bergsteiger aus anderen Regionen fern. Keiner der vielen Felsen wird - so Bernd Arnolds Traum - für Sportkletterer mit mehr Sicherungen präpariert. Das Elitäre wird konserviert - andererseits legen Kreuzfahrtschiffe an und und es werden busseweise Touristen herangeschafft, um die Bastei zu bestaunen. "Boofen" - das für Bergsteiger traditionelle Übernachten in Felsenhöhlen - ist nur noch an wenigen Orten erlaubt, dabei ein Feuer zu machen, wurde ganz verboten. Doch weil einer, der auf Felsen klettert, gelernt hat, die Dinge von weit oben und mit großem Abstand zu betrachten, kann Bernd Arnold solch irdische Auseinandersetzungen nur sportlich nehmen. Oder poetisch. Der Spruch, den der 68-Jährige seiner Internetseite voran gestellt hat, ist von Goethe:
Menschen, die die Berge lieben,
sind aus tiefster Seele frei.
Sie entschweben leicht
dem trüben Alltagseinerlei.
Menschen, die die Berge lieben,
widerspiegeln Sonnenlicht.
Die anderen, die im Tal geblieben,
verstehen ihre Sprache nicht.
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