Klerikaler Kopfschmuck

Von Michael Hollenbach · 02.07.2011
Wenn Papst Benedikt XVI. im September nach Deutschland kommen wird, dann wird wieder viel über Kleidung und Schuhe des Manns in Weiß zu lesen und zu hören sein. Kenner wie Dieter Philippi sehen auch in den kleinsten Details des Papst-Outfits theologische Aussagen.
Dieter Philippi ist Stammkunde bei dem traditionellen römischen Schneiderunternehmen Gammarelli, das bereits seit 1792 die jeweiligen Päpste einkleidet. Die Leidenschaft von Dieter Philippi gilt dem Scheitelkäppchen, der Mitra, dem Saturno und dem Birett, den Kopfbedeckungen christlicher Geistlicher. Bei Gammarelli hat er sich ein besonderes, 12 Zentimeter hohes Augustinerbirett anfertigen lassen.

"Ich habe es mir machen lassen in schwarzer Seide mit Moireeffekt, also Moire ist dieses Changierende. Was es nur bei Kardinälen gibt und bei apostolischen Nuntien."

Dieter Philippi ist ein Liebhaber des Details. Das spürt man auch, wenn er vorsichtig über die Pompons, die Bommeln auf dem Birett, streicht:

"Auch wenn man drüber fasst, das knautscht so richtig. Das sind hundertste Millimeter große Seidenfäden, die es möglich machen, dass der Pompon so aufrecht steht und nicht kollabiert."

Der Papstschneider Gammarelli hat auch kleine Birette im Angebot, denen selbst Papst Benedikt als eine Art klerikaler Scherzartikel nicht widerstehen konnte:

"Kleine Miniaturbirette, fünf mal fünf mal drei Zentimeter, für den Bücherschrank oder als kleines Souvenir. Kardinal Ratzinger hatte das auf dem Klavier, da hatte er so einen kleinen Teddy, und auf dem Teddybär war dann dieses kleine Miniaturbirett, das hatte der Teddy auf dem Kopf. Und ich habe es bei einem anderen Priester in der Wohnung gesehen, der hatte es als Stopfen auf der Whiskyflasche."

Der Papst mit Anzug und Krawatte, ein Kardinal in Jeans und Baumwollhemd, ein Bischof mit Cordhose und Pullunder – kaum vorstellbar. Klerikale Kleidung ist eher feminin und vor allem vollkommen unmodern. Der Mannheimer Modepsychologe Carlo Michael Sommer:

"Also solche Amtskleidung ist in der Regel immer etwas hinter der Zeit. Die kann nicht modisch sein. Weil sie dann nicht den Zeitläuften unterworfen ist und scheinbar aus einer Vorzeit stammt, die ihre Legitimation aus sehr alter Zeit bekommt, und im Grunde auch den Alltagsdefinitionen enthoben ist. Das entrückt sie ein bisschen und verdeutlicht ihre übergeordnete Funktion."

Es gab in den vergangenen Jahrzehnten durchaus Versuche, die klerikale Kleidung der aktuellen Mode anzupassen:

"Man hat auch Modeschöpfer damit beauftragt. Es hat sich herausgestellt, das ist sehr schwierig, wenn man in den Alltagbereich kommt, in den Bereich der heutigen Mode kommt, dann kann diese Funktion nicht immer so ernst genommen werden."

Der Trend geht ohnehin eher in die andere Richtung. Junge Priester, vor allem aus den USA, tragen wieder bewusst die Soutane, das knöchellange Gewand katholischer Geistlicher. Sie wollen sich auch im Alltag als Kleriker zu erkennen geben. Besonders ausgeprägt ist das bei sehr konservativen Orden wie der Piusbruderschaft. Für den Modepsychologen Carlo Michael Sommer ist es durchaus nachvollziehbar, dass sich im Vatikan und bei Priestern eine Art Retrokult bemerkbar macht:

"Wenn wir die Situation der christlichen Religionen heute betrachten in der westlichen Welt, ist ja eine gewisse Säkularisierung zu beobachten insofern, als die Kirche immer mehr auf die moderne Welt zugeht. Das Problem ist, dass dann die Identität der katholischen Kirche immer etwas aufgeweicht wird. Und in dem Moment, wo diese Aufweichung stattfindet, ist es relativ wahrscheinlich, dass ein Teil der Funktionsträger sagt: Wir müssen unsere Identität wahren und dann auch nach außen deutlich machen zum Beispiel durch das Tragen der Kleidung."

"What I need … a pair of socks .. I need purple and red... ""

Dieter Philippi kauft beim Papstschneider noch einige Kleidungsstücke ein. Die Socken in den klerikalen Farben priesterschwarz, bischofsviolett, kardinalsrot und dem päpstlichen Weiß sind bei Touristen besonders beliebt, weiß Juniorchef Stefano Gammarelli. Natürlich wird hier in der Edelschneiderei keiner sein Karnevalskostüm kaufen.

"Manches kann jeder kaufen, manches nicht. Die Sachen für den Papst, die darf sonst keiner kaufen."

Gammarelli kleidet Papst Benedikt ein - wie er auch schon bei Johannes Paul II. Maß genommen hat:

"Es gibt einen kleinen Unterschied zwischen dem alten Papst und diesem Papst. Aber im Grunde ist das doch mehr oder weniger das Gleiche. Dieser Papst ist etwas konservativer."

Deswegen registrierten viele Medien besonders aufmerksam, dass Benedikt XVI. im Dezember 2005 den Camauro aufsetzte :

"Der Camauro ist eine mit Hermelinfell besetzte rote Samtmütze. Er war vom Mittelalter, etwa dem 12. Jahrhundert, bis ins 19. Jahrhundert die offizielle Kopfbedeckung der Päpste außerhalb der Liturgie. Mit der napoleonischen Zeit kam der Camauro aus der Mode und nach der Amtszeit Leos XIII. außer Gebrauch."

"Der Papst hat nur gesagt: ‚Das war kalt, es war ein Mittwoch Nachmittag, es war eisekalt, ich hatte Angst mich zu erkälten und habe deshalb diesen Camauro, diese rote Samtmütze, getragen, aber nur weil es kalt war, und nicht, weil ich damit ein Signal setzen wollte.'"

Sagt Dieter Philippi. Doch der Camauro blieb kein Einzelfall. Benedikt holte auch die Ostermozetta wieder aus dem päpstlichen Kleiderschrank:

"Eine Mozetta ist ein bis zu den Ellenbogen reichender Schulterkragen, zum Teil mit kleiner Kapuze für höhere Geistliche der katholischen Kirche. Die Mozetta wird über dem Chorhemd getragen."

Und ein weiterer Hingucker: die Ferula.

"Die Ferula ist ein in der römisch-katholischen Kirche dem Papst vorbehaltenes Insigne. Es handelt sich um einen Stab, der am oberen Ende ein Kreuz trägt."

Unter dem neuen Zeremonienmeister Guido Marini nahm Benedikt XVI. einen neuen Stab mit einem viel größeren goldenen Kreuz an. Für den Münsteraner Liturgiewissenschaftler Clemens Richter ist Papst Benedikts neue Schwäche für die alten Kleider und Symbole auch Ausdruck für ein rückwärtsgewandtes Kirchenverständnis.

"Er hat die Ferula von seinen Vorgängern Johannes Paul II. und Paul VI. abgelegt, und sich einen neuen Bischofsstab zugelegt, und der ist exakt nachgearbeitet nach einem Vorbild von Pius IX., also aus dem 19. Jahrhundert. Und solche Dinge haben ja eine besondere Symbolkraft. Man nimmt nicht etwas aus dem 19. Jahrhundert, wenn ich dazu nicht einen besonderen Zugang habe, dazu passt dann die Wiederzulassung der tridentinischen Messe. Das sind alles Schritte zurück in die Zeit vor dem Konzil.""

Für öffentliche Diskussionen sorgen auch immer wieder die roten Schuhe des Papstes. Lange Zeit wurde gemunkelt, der Papst trage Prada. Doch Dieter Philippi versichert:

"Die Schuhe werden hergestellt von Adriano Stefanelli, das ist ein 65 Jahre alter Schuhmacher aus Novarra bei Mailand, und der mir auch nach einem halben Jahr Rumreden ein Paar Schuhe gemacht hat.""

Seit 13 Jahren sammelt Dieter Philippi klerikale Kopfbedeckungen quer durch alle Religionen. Zeugnis seiner Passion ist ein vier Kilo schwerer und mehr als 700 Seiten dicker Band über die Kopfbedeckungen in Glaube, Religion und Spiritualität. Ein opus magnum der Sammelleidenschaft.

"Es ist sicherlich so, dass man sich über das Objekt, also über so ein Pektoralkreuz, einen Ring oder einen Hut einer Religion annähern kann, und das hat mich fasziniert, zunächst das Objekt zu erwerben und dann über das Objekt nachzulesen, Literatur zu wälzen und dann zu gucken, welche Facetten diese Religion hat."

Die meisten Kopfbedeckungen hat er in der Ewigen Stadt gekauft. Aber manchmal muss er um die halbe Welt fliegen, um das Objekt der Begierde zu bekommen – zum Beispiel einen Hut der chassidischen Juden:

"Der Schtreimel in New York, wo ich dann über einen Rabbiner in New York dran gekommen bin, das ist so ein Pelzhut, das sieht etwa so aus wie ein Rad von einem Vespa-Roller, etwa in der Größe, so zwölf, 13 Zentimeter hoch, und den konnte man überhaupt nicht im Internet bestellen, was für mich gar nicht nachvollziehbar war, dann bin ich wirklich nach New York gefahren und habe einen Hütemacher aufgesucht, der mir diesen Schtreimel verkauft hat. Der hat mich auf fünfmal gefragt, warum ich das haben will, um sicher zu gehen, dass ich das nicht als Fassnachtsverkleidung auf dem Karneval tragen will."

In der Sammlung von Dieter Philippi fehlt auch nicht der Galero, wie ihn zum Beispiel Raymond Leo Burke trägt, ein Kardinal aus Wisconsin.

"Er ist Vollausrüster, und hat sowohl die Cappa Magna, eine bis zu acht Meter lange Schleppe aus roter Seide, ein extrem teures Kleidungsstück, auch den Galero, jenen Kardinalshut mit den 18 Quasten, den Statushut eines Kardinals, anfertigen lassen und benutzt sie auch bei Zeremonien."

"Die Cappa Magna ist ein Mantel mit einer Kapuze und einer Schleppe. Sie wird getragen von Kardinälen und Bischöfen. Die Cappa der Kardinäle ist rot und in der Fasten- und Trauerzeit violett."

"Der Hut wird dann durch einen Mann vor dem Kardinal hergetragen als Zeichen der Kardinalswürde und diese Cappa Magna, diese lange Schleppe, eben auch als Insignie der Kardinalswürde, und die muss ja schon hinten von jemanden festgehalten werden, dass sie nicht über den Boden schleift. Das hat schon einen prozessionsartigen Charakter, das ist schon ein eindeutiges Zeichen an eine vorkonziliare Zeit. Das kann man nicht anders sehen."

Das sieht auch David Berger so. Der Kölner kennt den klerikalen Klüngel in Rom. Der Theologe war jahrelang Chefredakteur der konservativen Zeitschrift "Theologisches" und Professor der Päpstlichen Akademie des heiligen Thomas von Aquin – bis er sich im vergangenen Jahr als Homosexueller outete:

"Ich war manchmal zu Gast in solchen Zusammenkünften von traditionellen Priestern. Da unterhält man sich über die liturgische Gewänder, was es da wieder für tolle Angebote gibt, aber auch über bestimmte Ämter, die man bekommen kann, weil man dann zum Beispiel lila Socken und Knöpfe tragen darf, und man ist begeistert, dass der Heilige Vater den Camauro wieder aufsetzt, dass bei den Bischöfen wieder die Cappa Magna in Gebrauch kommt, also das, was seit Paul VI. abgeschafft wurde, das kommt wieder und da ist die Begeisterung einhellig und da flippen manche geradezu aus und geben auch ein Vermögen für solche Gewänder aus, da kann die Brüsseler Spitze gar nicht lang genug sein, und der Brokat gar nicht dick genug, weil das so toll ist, also jede Travestiekünstlerin stirbt vor Neid, wenn sie sieht, was die da abziehen können."

Und da anziehen können. Gespannt beobachten nun die vatikanischen Auguren, welches Kleidungsstück Papst Benedikt als nächstes aus dem Kleiderschrank der Kirchengeschichte holt.

"Da stecken auch Inhalte dahinter. Das ist auch so ein monarchistisches Selbstverständnis, dass man sagt: Passt auf, das mit der Demokratie war ein kleiner Ausrutscher, der uns beim Konzil passiert ist, aber jetzt weht ein anderer Wind. Und wenn man das erst einmal ästhetisch zeigt, ist das leichter zu schlucken, weil richtig schlecht sieht das ja auch nicht aus."

Das meint auch Dieter Philippi, Sammler von mehr als 550 klerikalen Hüten und Mützen. Im Bereich des Katholizismus hat er eigentlich alles an Kopfbedeckungen – nur eins hat ihm der Papst voraus:

"Es gibt nur ein Stück, das in der Sammlung fehlt, das ist die Tiara, aber das wird ewig Wunschdenken bleiben, weil eine Tiara heute anzufertigen, das geht weit in die Hunderttausend rein, wenn man dann Saphir, Rubine, Smaragde reinmacht."
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