Kleinformatig und untheatralisch

Von Wolf-Dieter Peter · 28.04.2010
Zum Auftakt der Münchner Bienniele wurde das Böse fokussiert. "Die Gesänge des Maldoror", 1874 unter dem Pseudonym "Lautreamont" erschienen und von Phillip Maintz für die Münchener Biennale in Musik gegossen.
Klangschöne Eröffnungstakte: Dunkel, schwebend, vielleicht auch drohend hat Philipp Maintz Akkordflächen übereinander geschichtet für die Eröffnungsszene "Ozean" seines Musiktheaterwerkes "Maldoror". Der "guten" Hauptfigur Lautréamont, der dann auftretende Ur-Autor des Textes "Les Chants de Maldoror", darf kantable Linien singen.

Er steht vor zwei bühnenbreiten und -hohen Halbrunden, die mit ihrer Gitterstruktur eine anfangs mal offene, am Ende geschlossene Röhre bilden. Doch Roland Aeschlimanns ästhetisches, nie gefährliches Bühnenbild signalisiert, leicht wiegend auf- und abfahrend, nicht den Ozean: Der spielt nämlich weiter keine Rolle.

Die übereinanderliegenden Halbrunde sind aber auch nicht Gefängnis für die weitere Handlung. Denn Maldoror, das von Lautréamont abgespaltene Böse, bleibt so kleinformatig wie alles Folgende: Mord am Kind, Mord an den Eltern, Tod Lautréamonts.

Grandios-Apokalyptisches wie der Untergang von Städten und Menschen, der adlergleiche Triumph des Bösen – all das wird nur behauptet, nicht theatralisiert, ist mattes Wortgeklingel. Komponist Maintz, Librettist Thomas Fiedler und das Regie-Duo Delnon-Rathke führen zwar Theatererfahrung an, doch ihre zwei Stunden reichten in keinem Augenblick an Theaterbezugspunkte heran: nicht an Cenodoxus, schon gar nicht an Bösewichte wie Macbeth, Richard III., Jago oder Scarpia. Erst recht darf niemand bei der Dualität von Gut und Böse an Faust und Mephisto denken, sonst versinkt das Maintz-Fiedler-Opus in die Bedeutungslosigkeit. Den Beifall hatten allein Dirigent Marcus Bosch, das Sinfonieorchester Aachen und die guten Sänger verdient.

Am Abend darauf dann "Die weiße Fürstin" des in Deutschland ausgebildeten und arbeitenden Ungarn Márton Illés. Das zugrundeliegende Rilke-Gedicht umkreist eine abgehobene Hofgesellschaft, deren Fürstin auf einen halb imaginierten, halb realen Bräutigam wartet, während ringsum die Pest grassiert.

Ein diese unsere Jahre doch bewusst erlebender Komponist wie der 35jährige Illés hätte daraus getreu dem Biennale-Motto "Der Blick des Anderen" eine durch und durch kritische Studie unserer disparaten Welt machen können: der Abgehobenheit unserer neuen Finanz-Aristokratie, während im Großteil der Welt Elend und Seuchen herrschen. Doch hat Illés als sein eigener Librettist keine Handlung, sondern eine assoziative Zustandsbeschreibung gefiltert, die er "polydimensional" nennt.

Dazu führen ein mal solistisch abseits stehendes, mal ins Instrumentalensemble eingebundenes Klavier, führen sechs Klarinetten, Blechbläser, Streicher und Schlagzeug dann nahezu alle Spielarten modernistischen Komponierens vor: Cluster, irisierendes Piano, schrille Dissonanzen, Trompetenfanfaren, gekratzte Violinsaiten, gezupftes Klavier, bis zum lärmenden Chaos geschichtete Klänge. Fast nichts, außer des mehrfach komplexen Durcheinanders von Sprechtext, Gesang und Klangcollage ist dabei text- oder handlungsbezogen. So wirkt die Musik kaum bühnenbezogen und somit austauschbar. Die Placierung der von Georg Fritzsch geleiteten Instrumentalisten auf der Bühne und hinter einer weißen Pool-Terrasse brachte auch keinen Klanggewinn.

Noch disparater wurde der Eindruck der 75 Minuten langen Aufführung durch die Regie von Andrea Moses und Christian Wiehles Ausstattung. Aus dem verstiegenen Gedanken-Geschwurbel der in zwei Sängerinnen und eine Schauspielerin aufgespalteten Fürstin und ihrer allerlei "Rollen" andeutenden Entourage versuchten sie doch so etwas wie eine andeutungsweise psychologisch realistische, mitunter sogar krude naturalistische Handlungsfetzen zu inszenieren: der stotternde Bote kratzt sich blutig; in den Wasserbecken am vorderen Bühnenrand wird gebadet und lesbisch erotisch geplanscht; Champagner macht hysterisch und lässt auf Illés Musik auch Disco tanzen; weißer Seuchen-Rauch wird im Plexiglas-Loft von den Männern mit Atemmasken und "Tatort"-Ganzkörperanzügen bekämpft ... und in all dem Wust nirgendwo Musiktheater für das Jahr 2010.

Beiden Komponisten wäre also statt Stipendien in abgehoben elitären Villen ein mindestens einjähriges "Leben im Theater" zu sponsern. Diese beiden Werke zeigen "Elfenbeinturm-Mentalität".

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