Kleines Wörterbuch des Krieges

Feind

Hand in Hand am "Menschenfresserberg": Gemeinsam gedachten die Präsidenten Deutschlands und Frankreichs, Gauck und Hollande, im Elsass der Opfer des Ersten Weltkriegs.
Hand in Hand am "Menschenfresserberg": Gemeinsam gedachten die Präsidenten Deutschlands und Frankreichs, Gauck und Hollande, im Elsass der Opfer des Ersten Weltkriegs. © AFP PHOTO/POOL/CHRISTOPHE KARABA
Von Manfred Schneider  · 15.09.2014
Auch wenn es in Kriegszeiten unvorstellbar scheint: Der aktuelle Feind kann später zum Freund werden. Deutschland und Frankreich sind ein berühmtes Beispiel für einen solchen Beziehungswandel.
Feinde – das zeigen die Erfahrungen der Geschichte und in der Politik der letzten Jahre – sind nicht für alle Zeiten Feinde. Deutsche und Franzosen haben nach vielen Kriegen seit 1789 ihre sogenannte "Erbfeindschaft" nicht mehr weitergegeben. Und die Amerikaner mussten die Erfahrung machen, dass ihre einstigen Freunde im Kampf gegen die alte Sowjetunion, die Talibanrebellen in Afghanistan, plötzlich zu Feinden wurden, als diese die Macht in ihrem Land eroberten.
Wie im Deutschen zeigen auch andere Sprachen an, dass Freund und Feind sehr ähnliche Namen haben und sich daher ähnlich sind: Das gilt für "fiend" und "friend" im Englischen, oder "amico" und "nemico" im Italienischen. Die romanischen Sprachen folgen dem Lateinischen, wo das Wort für Feind "inimicus" nur die Verneinung des Wortes für Freund "amicus" ist.
Warum verwandeln sich nicht nur sprachlich, sondern auch empirisch und vor allem politisch Freunde so schnell in Feinde, während der umgekehrte Vorgang sehr viel länger dauert?
Der Feind ist durch Worte verunstaltet
Der Feind, vor allem der politische Feind, mit dem ich in Krieg führe, ist nicht irgendeine Gestalt, sondern eine moralisch verworfene Person. Wir wollen nicht die Kriegspropaganda unserer Tage zitieren, etwa welche Worte mit den tödlichen Raketen und Bomben zwischen der palästinensischen Hamas-Organisation und Israel hin- und herflogen.
Nehmen wir ein altes literarisches Beispiel. In dem mittelalterlichen Rolandslied, das von der Schlacht zwischen den Heiden und dem Christenheer Karls des Großen erzählt, ruft der Kaiser Karl seinen fränkische Rittern zu: "Seht die Heiden! Es sind Schurken und Feiglinge."
Es gibt keine Feinde, ohne dass ihnen neben Speeren und Kugeln auch üble Worte um die Ohren fliegen. Der Feind im Krieg, im Nationenkrieg, im Bürgerkrieg, im Religionskrieg und im Guerillakrieg ist durch Worte verunstaltet. Ritter und Soldaten richten nur auf moralisch und ästhetisch entstellte Feinde ihre Schwerter oder Kanonen. Der deutsche Dichter Heinrich von Kleist suchte 1809 den Hass der Deutschen auf die Franzosen zu schüren, indem er Napoleon so vorstellte: "Als einen verabscheuungswürdigen Menschen; für den Anfang alles Bösen und das Ende alles Guten. (…) Als einen, der Hölle entstiegenen, Vatermördergeist (…)." Der Feind hat kein Gesicht, sondern ist aus Worten gemacht.
Heute, nach 200 Jahren, treten die einstigen Freunde unter Karl dem Großen und Feinde unter Napoleon oder Wilhelm II. in Gestalt des französischen Präsidenten und des deutschen Bundespräsidenten vor die Gräber der unzähligen Toten der beiden Weltkriege, Hand in Hand. Der Feind ist ein ehemaliger und künftiger Freund.
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