Kleine Siege

Von Antje Diekhans · 21.09.2011
Bauen im Norden Äthiopiens haben gelernt, wie sie durch nachhaltige Landwirtschaft Dürreperioden überwinden können. Die Erfolge zeigen sich jetzt: Statt vertrockneter Felder gibt es grüne Flächen. Und der Weizen kann demnächst geerntet werden.
Ein schwarzer und ein brauner Ochse ziehen einen Pflug durch den Ackerboden. Angetrieben werden sie von einem schmalen Mann in einer löchrigen Hose. Alem Gobru ist Mitte 40 und sieht auf den ersten Blick nicht wie ein Gewinner aus. Aber er selbst fühlt sich als einer.

"Ich habe mehrere Felder und ich ernte drei Mal im Jahr. Ich pflanze Tomaten, Kartoffeln, Weizen und Mais. Die Bewässerung ist ja jetzt kein Problem mehr. Mir und meinen Kindern geht es viel besser als früher."

Der Farmer lebt im Norden Äthiopiens. Zurzeit leuchten die Felder hier in sattem Grün. Der Weizen steht so hoch, dass er in ein paar Wochen geerntet werden kann. Doch in den Achtzigerjahren wurde die Region von einer der schlimmsten Hungerkatastrophen der Geschichte heimgesucht. Mehrere Dürren in Folge hatten alles auf den Äckern vernichtet. Hilfe kam zu spät: Etwa eine Million Menschen starben. Die Bilder der leidenden Kinder haben sich vielen ins Gedächtnis eingebrannt. Auch Alem Gobru machte damals schreckliche Erfahrungen.

"Ich bin mit meiner Familie von hier in den Süden geflohen. Viele Menschen, die mit uns unterwegs waren, sind verhungert. Sie wurden auf Lastwagen verladen und dann in Massengräbern beerdigt. Das werde ich nie vergessen."

Erst 1990, nach vielen Jahren in Flüchtlingslagern, kehrte der Farmer in seine Heimat zurück. Ein Neuanfang mit vielen Schwierigkeiten.

"Ich bin jetzt 45 Jahre alt. Ich habe viele Herausforderungen meistern müssen. Ernten sind immer wieder durch Parasiten vernichtet worden oder es hat nicht geregnet. Häufig hatte meine Familie nur drei, vier Monate im Jahr genug zu essen. Aber jetzt hat sich das geändert."

Er hat sich ein bescheidenes aber sicheres Auskommen erwirtschaftet. Seine sieben Kinder können alle zur Schule gehen. Die Frau hilft auf den Feldern mit und kümmert sich um den Haushalt. Hunger fürchtet die Familie nicht mehr.

"In diesem Jahr will ich auch etwas verkaufen. Ich habe genug geerntet, um meine Familie zu ernähren. Was übrig bleibt, bringe ich zum Markt."

Auch wenn der Regen ausbleibt, werden der Mais und der Weizen auf seinen Feldern nicht verdorren. Denn Alem Gobru profitiert von einem neuen Damm.

Es ist ein idyllischer Ort. Grüne Wiesen ziehen sich um einen See. Hunde toben herum. Eine junge Frau wäscht am Ufer Kleidung. Dass dieser See nicht immer hier war, verraten allerdings ein paar Bäume, die mitten in der Wasserfläche aufragen.

"Das ist noch ganz neu, die Anlage ist gerade erst fertig geworden. Es ist das erste Mal, dass hier Wasser gespeichert wird."

Kiros Meles hat als Umweltexperte den See mitgeplant. Er arbeitet für das sogenannte Millenniumsprojekt. Wissenschaftler rund um den US-amerikanischen Starökonom Jeffrey Sachs wollen in insgesamt zwölf Dorfgruppen in Afrika beweisen, dass es möglich ist, die Millenniumsziele der Vereinten Nationen umzusetzen. Dazu gehört beispielsweise eine Halbierung der Armut.

In dieser Region Äthiopiens stand schnell fest, dass die Versorgung mit Wasser ausschlaggebend für die Entwicklung sein würde. Denn wenn es mal regnet, dann meist sehr heftig – bevor wieder monatelang kein Tropfen fällt.

"Das ist hier alles Wasser, das während der Regenzeit von den Bergen runterkommt. Wir stauen es einfach."

Dann hilft die Schwerkraft. Leitungen führen vom See zu tiefer gelegenen Ackerflächen. Dorthin geht alles, was nicht schon auf den umliegenden Feldern genutzt wird.

"Bauern, die ihr Land direkt am See haben, können Wasser rauspumpen. Andere zapfen aus den Leitungen ab. 23 Hektar können so bewässert werden."

Eine Fläche etwa so groß wie 30 Fußballfelder. In ähnlicher Form wird noch an sechs anderen Stellen in Nachbardörfern Regenwasser gestaut. Doch fast noch effektiver als die Dämme sind kleinere Becken. Sie sind überall auf den Feldern zu sehen. Die meisten so frisch angelegt, dass die ausgebuddelte Erde noch daneben aufgeschüttet ist. Die Becken sind etwa zwölf Meter tief und werden von Grundwasser gespeist. Die Mauern am Rand sorgen dafür, dass nicht wieder Erde nachrutscht.

"Diese Brunnen versorgen die angrenzenden Felder. Die Farmer können das Wasser rauspumpen. Insgesamt haben wir rund 350 dieser Brunnen angelegt - sie sollen mehr als 1400 Haushalten zugute kommen."

Das Feld von Henza Tesfai liegt direkt an einem der Becken. Ihr Weizen ist gut angegangen. Die Farmerin rupft Unkraut aus, damit er noch besser wachsen kann.

Wenn es nicht genug regnet, kann ich ja Wasser aus dem Brunnen nutzen, sagt sie. Nebenan pflanzt sie Tomaten und Kartoffeln.

"Mit dem Wasser kann sie wenigstens zwei Ernten einfahren. Und dann noch eine dritte Ernte nach der Regenzeit."

Investitionskosten für jeden der Brunnen: umgerechnet etwa 5000 Euro. Das System funktioniert allerdings nur, wenn genügend Grundwasser vorhanden ist. Darum werden die Ströme, die während der Regenzeit von den Bergen runterkommen, jetzt so geleitet, dass das Wasser langsam versickern kann.

"Wir halten es länger an der Oberfläche und dadurch dringt es nach und nach auch in tiefere Schichten ein. Früher ist der Regen sehr schnell wieder abgeflossen. Aber jetzt steigt der Grundwasserspiegel und darum können die Farmer das Wasser nutzen."

Ein Teufelskreis ist durchbrochen. Früher war der Boden nach der Regenzeit schnell wieder ausgetrocknet. Die Bauern konnten nichts anpflanzen. Aus Not fällten sie die letzten verbliebenen Bäume. Das führte dazu, dass beim nächsten Guss alles noch eher versickerte – und irgendwann gar nichts mehr wuchs.

"Früher war es hier fast kahl. Jeder hat Bäume und Sträucher geschlagen, wie es ihm passte. Aber jetzt schützen wir die Natur und es ist wieder grün geworden, mit vielen neuen Pflanzen. Das verhindert auch, dass Boden abgetragen wird."

Koordiniert werden die Arbeiten in ein paar einfachen Büros, die eher wie Garagen aussehen und sich um einen staubigen Platz ziehen. Die Basis von Kiros Meles und seinen Kollegen vom Millenniumsprojekt. Kopf der kleinen Truppe ist Aregawi Aklilu. Er erklärt, was den Anstoß zur Gründung der Millenniumsdörfer gab.

"In Afrika gibt es rund eine Milliarde Menschen, von denen viele von großer Armut betroffen sind. Darum arbeiten wir dafür, hier die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen umzusetzen. Das erste Projekt startete in Kenia. Als Zweites kam Äthiopien mit Koraro dazu."

Seit 2005 versuchen hier Soziologen, Landwirtschaftsexperten und Ingenieure zu beweisen, dass Entwicklungshilfe funktionieren kann. Koraro ist der Name des "Musterdorfes" - hier werden Konzepte erprobt, bevor sie auch in Nachbardörfern umgesetzt werden. Außer um nachhaltige Landwirtschaft geht es um Bildung, Familienplanung, Gleichberechtigung und eine bessere medizinische Versorgung. Insgesamt leben in der Region etwa 65.000 Menschen. Für jeden von ihnen dürfen 110 Dollar im Jahr investiert werden.

"Davon kommen 50 Dollar vom Millenniumdorf-Projekt. 30 Dollar zahlt die äthiopische Regierung, 20 steuern Partnerorganisationen bei und zehn Dollar müssen die Leute selbst aufbringen. So haben wir 110 Dollar pro Kopf, die wir für unsere Arbeit nutzen können."

Eine überschaubare Summe, die großen Fortschritt bringen soll. Das Millennium-Projekt will sicherstellen, dass eine Katastrophe wie in den achtziger Jahren sich hier nicht noch einmal abspielt.

"Diese Region, allgemein der Norden von Äthiopien, wird immer wieder von Dürren getroffen. Die früheren Regierungen haben die Gegend außerdem vernachlässigt. Vor dreißig Jahren sah man hier nichts als trockenen Boden. Nichts wuchs mehr. Die Leute sind von hier weggezogen."

Auch zurzeit erleben die Menschen am Horn von Afrika wieder eine schwere Dürre. In Äthiopien ist davon diesmal allerdings die Region im Süden betroffen. Am schlimmsten ist die Lage im Nachbarland Somalia. Die Vereinten Nationen befürchten, dass hier in den kommenden Monaten noch zehntausende Menschen an Hunger sterben werden. Etwa zwei Millionen Somalier sind von Hilfslieferungen abgeschnitten, weil eine radikal-islamische Miliz keine Unterstützung durch internationale Organisationen zulassen will. Der Projektleiter sieht große Parallelen zur Situation in Äthiopien in den Achtzigerjahren.

"Das Land befand sich damals im Krieg. Es gab keine Regierung, die sich irgendwie um Entwicklung gekümmert hätte. So ist es jetzt auch in Somalia. Die radikal-islamische Al-Shabaab-Miliz hat dort das Sagen, die mit der Terrororganisation Al Kaida zusammenarbeitet. Sie erlaubt keine Hilfe von außen. Dadurch wirkt sich die Dürre so besonders drastisch aus."

Es ist schwer vorstellbar, dass sich der Süden Somalias so wie jetzt die frühere Hungerregion in Äthiopien wieder zu einem lebenswerten Ort entwickeln könnte. Doch vor 30 Jahren hätten auch viele Menschen in Koraro nicht an eine Zukunft geglaubt.

In einer kleinen Bar in dem Dorf spielen Männer Pool-Billard. Es ist ein schlichter Raum, in dem ansonsten nur ein paar Tische mit Wachstuch-Decken und einfache Plastikstühle stehen. Aber dieses Lokal ist der ganze Stolz von Gebre Muluwork.

"Eigentlich bin ich ja Farmer. Aber dank des Projekts habe ich so viel erwirtschaftet, dass ich mich entschlossen habe, ein Restaurant zu eröffnen. Meine Frau kocht. Und wir haben den Billard-Tisch. Für mich hat sich viel geändert."

1984, während der Hungerkatastrophe, war Gebre 13 Jahre alt. Er erinnert sich nur mit Schrecken an die Erlebnisse.

"Wir waren eine große Familie mit neun Kindern. Weil wir nichts mehr zu essen hatten, haben wir angefangen, unser Vieh zu schlachten. Dann reichte auch das nicht mehr und wir sind in den Sudan geflüchtet."

Einen Monat war die Familie zu Fuß unterwegs, bis sie das Lager dort erreichte. Die größeren Kinder trugen die kleineren.

"Nicht alle haben es geschafft. Es gab Mütter, die sich entscheiden mussten, welche Kinder sie zurücklassen. Sie wussten, dass sie nicht alle durchbringen können."

Auch im Sudan starben noch viele an Hunger. Es gab nicht genug Wasser und Essen für alle Flüchtlinge. Von Gebres Angehörigen überlebten aber alle. Nach drei Jahren gingen sie zurück nach Koraro.

"Natürlich lebt es sich heute hier besser. Die Leute haben Arbeit. Das Millenniumsprojekt hat viel verändert. Es kann immer noch mehr Fortschritt geben – aber wir sind auf dem richtigen Weg."

Die neueste Errungenschaft für die Menschen in Koraro: Ein Bus. Er fährt regelmäßig zu den Nachbardörfern – und er ist immer voll. Ein Ticket kostet 14 Birr, das sind etwa 50 Cent. Das kann sich fast jeder leisten, meint der Fahrer.

"Sie fahren zu den Märkten, um ihre Ernte zu verkaufen. Oder um selbst etwas einzukaufen."

Bis vor Kurzem wäre das nicht möglich gewesen. Koraro war nicht nur die trockenste Region in ganz Äthiopien, das Dorf war auch besonders schlecht zu erreichen.

"Früher gab es keine Straße. Erst vor etwa einem Jahr wurde sie gebaut. Die Straße ist super – sie ist auch in einem viel besseren Zustand als andere Strecken."

Sonst waren die Menschen sechs Stunden zu Fuß bis in die Nachbardörfer unterwegs. Jetzt können sie zweimal am Tag den Bus nehmen. Auch der Dorf-Älteste Birhan Assefar steigt manchmal ein. Der Mann mit dem grauen Bart hat sein ganzes Leben in Koraro verbracht. Er sagt: Der Bus ist gut für die Wirtschaft.

"Die Bauern können morgens zum Markt fahren, um etwas zu verkaufen. Nachmittags arbeiten sie dann schon wieder auf den Feldern."

Der Norden Äthiopiens hat aus der Katastrophe der achtziger Jahre gelernt. Zumindest in Koraro und den Nachbardörfern werden die Menschen nicht so schnell wieder Hunger leiden. Viele kleine Änderungen haben einen großen Wandel gebracht.

"Es ist hier jetzt ein ganz anderes Leben als in der Zeit, als uns die großen Dürren plagten. Noch besser war es nur vor den Siebzigerjahren. Da hatten wir immer genug Regen. Aber jetzt ist es auch gut. Jeder kann arbeiten und jeder kann hier überleben."