Kleine Kulturgeschichte Schwedens

08.05.2013
Über 20 Jahre lang hat der schwedische Autor Lars Gustafsson in den USA gelebt. Im Alter ist er in seine Heimat zurückgekehrt. Mit seiner Frau hat er nun ein Buch über Schweden geschrieben - eine Melange aus heiterer Melancholie, analytischem Witz und intimer Perspektive.
Es braucht schon den sensiblen Insiderblick und ein Wissen, das in keinem Reiseführer steht, um ein geliebtes Urlaubsland wie Schweden von der verklärenden Patina zu befreien. Der Romancier, Lyriker, Philosoph Lars Gustafsson und seine Frau Agneta Blomqvist sind dazu in der Lage. In Co-Autorschaft haben sie bereits "Herr Gustafssons familjebok" (2006) verfasst, das in der nordischen Tradition der Haus- und Familienbücher steht, und auch "Frau Blomqvists matbok" (2008), eine vergnügliche Tour durch das kulinarische Schweden, gemeinsam publiziert. Mit den nun vorliegenden Schrift-Bildern wollen sie keine schwedischen Kuriositäten bebildern, sondern einen differenzierten Einblick in die rasante Zeitgeschichte ihres Landes geben.

Private Erinnerungen, gemischt mit Hintergrundwissen
Die frühe, kindliche "Einübung in die Wirklichkeit" wird dabei als ein äußerst bedeutsamer Vorgang beschrieben. Denn in einer Kultur wirklich beheimatet zu sein, bedeutet zu wissen, was "in ihrer Landschaft genießbar und was ungenießbar" ist: von Moorbeeren und Pilzen bis zum Vätternsaibling. Zum Schmecken, Betrachten, Ertasten aber benötigt man Zeit, die in der Erwachsenenwelt rar ist.

Während in einigen der insgesamt 30 Kapitel diese scheinbar privaten Erinnerungen einen großen Raum einnehmen, haben andere den Charakter eines informativen Lexikons. Man erfährt, dass Sankt Petersburg um 1900 ebenso viele schwedische Einwohner hatte wie das schwedische Västerås. Und wenn Gustafsson & Blomqvist zu einer Busfahrt mit der Linie 2 durch das von 14 Inseln durchzogene Stockholm einladen, erinnern sie auch an August Strindbergs Blick vom Stadtteil Söder auf "Slussen" – jener Schleuse, die das Süßwasser des Mälaren vom Salzwasser der Ostsee trennt. Denn damit beginnt sein berühmter Roman "Das rote Zimmer" von 1879.

Schifffahrt zur Quelle der schwedischen Poesie
Gustafsson & Blomqvist üben Kritik an den störenden Stadtgeräuschen, von denen der Theatermann Strindberg nur träumen konnte, sowie an den architektonischen Sünden des Städtebaus in den 1960/70er-Jahren. Schließlich klären sie darüber auf, dass 72 Prozent der Bevölkerung Mitglieder der Schwedischen Kirche sind und ihre Kultur eigentlich eine "Wasserkultur" ist. Nichts liegt also näher, als eine Schifffahrt über den Mälaren – den großen "See der schwedischen Literatur" – zu machen, weil die Poesie des Landes dort ihren Ursprung hat. Sie ankern vor Mariefred, wo der berühmte deutsche Dichter und Berliner Feuilletonist Kurt Tucholsky begraben liegt und meinen, dass es die Poeten sind, die in ihren Texten eine unvergessliche Landschaften bewahrt haben.

In einer Melange aus heiterer Melancholie, analytischem Witz und intimer Perspektive ist eine kleine Kulturgeschichte Schwedens entstanden, die es in sich hat. Beim nächsten Besuch wird man genauer hinschauen und die Eigenarten dieses "inspirierenden Landes" besser verstehen.

Besprochen von Carola Wiemers

Lars Gustafsson / Agneta Blomqvist: Das Lächeln der Mittsommernacht. Bilder aus Schweden.
Carl Hanser Verlag, München 2013
157 Seiten, 14,90 Euro