"Klausur" - Fotoband zu Frauenklöstern

Bilder aus einer verborgenen Welt

Buchcover: Klausur - Vom Leben im Kloster, Bildband aus dem Verlag Antje Kunstmann
Laien können sich das Leben im Kloster oft nicht vorstellen. © Verlag Antje Kunstmann
Christoph Kürzeder im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 19.06.2016
Sie leben in einer leisen, oft verborgenen Welt: Frauen, die sich einer Ordensgemeinschaft angeschlossen haben. Der Kulturwissenschaftler Christoph Kürzeder und der Fotograf Thomas Dashuber haben sich dem Leben im Kloster mit der Kamera genähert.
Kirsten Dietrich: Das Leben mit religiöser Vielfalt, gerade um des Glaubens willen, war bis jetzt unser Thema – nun möchte ich mit Ihnen den Blick sozusagen umkehren und eintauchen in die Welt derer, die sich ganz in ihren Glauben vertiefen. An keinem Ort kommt man dem wohl näher als im Kloster. Über Jahrhunderte hat sich dort eine ganz eigene Kultur herausgebildet, in der der Einzelne sein Leben Gott widmet und doch immer auch in Gemeinschaft lebt. Dieses Leben geschieht normalerweise und fast naturgegeben verborgen vom Blick der Öffentlichkeit. Und wer es besonders ernst meint, wählt ein Leben in Klausur, verlässt das Klostergebäude also nur noch im Notfall.
Ein aufregender und schöner Fotoband dokumentiert jetzt dieses Leben: Zehn Frauenklöster in Bayern, in denen Nonnen meist bis heute in strenger Klausur leben, hat der Kulturwissenschaftler Christoph Kürzeder besucht und mit dem Fotographen Thomas Dashuber dokumentiert, welche Spuren ein Leben hinterlässt, das sich ganz dem Glauben widmet. Mit Christoph Kürzeder habe ich vor der Sendung gesprochen – zunächst einmal über den Titel des Projekts: Klausur. Das klingt verborgen und abgeschieden, aber auch geheimnisvoll – den Titel des Buches ziert ein Detail aus einem Gemälde, in dem eine Nonne den Finger an die Lippen legt.
Christoph Kürzeder: Sie haben ja schon das Stichwort gesagt: Es ist nicht geheim, sondern eher verborgen. Es ist ja eine geschlossene, eine verschlossene Welt – Klausur –, und eine Welt, die uns eigentlich fremd ist. Als Nicht-Mitgliedern einer Ordensgemeinschaft ist es eine für uns nicht zugängliche Welt gewesen - die längste Zeit. Und so ist es eine geschlossene, verschlossene Welt, aber eigentlich im strengen Sinn keine geheime Welt, denn geheim würde ja bedeuten, man müsste auch etwas verbergen. Und darum geht es ja im Kloster nicht.

Thomas Dashuber und Christoph Kürzeder: Klausur - Vom Leben im Kloster
Verlag Antje Kunstmann, München 2016
608 Seiten, 35,00 Euro

Dietrich: Wie sind denn Sie dann in diese verborgene Welt reingekommen, als männlicher Kulturwissenschaftler mit einem männlichen Fotografen, nämlich Thomas Dashuber? Wie kommt man in diese abgeschlossene Welt hinein?
Kürzeder: Das hat damit zu tun, dass diese Welt derzeit sich in einem großen Umbruch befindet. Eine Welt, die über viele Jahrhunderte unsere Kultur sehr geprägt hat und die jetzt langsam und leise auch langsam verschwindet in vielen Bereichen.
Wir haben das Problem, dass viele dieser Klöster Nachwuchsmangel haben und deswegen ja gerade in Auflösung sind und einfach auch langfristig nicht mehr so zahlreich sein werden, wie sie mal waren. Und in dieser Phase, als Leiter eines Diözesanmuseums, haben wir uns zunächst erst mal um die Dinge gekümmert, also um Kultur und Kunst in diesen Häusern. Und wir haben dann sehr schnell gemerkt, dass die Dinge im Kontext nicht nur der Räume, sondern im Gebrauch der Menschen, der Frauen, natürlich noch einmal einen ganz anderen Aussagewert haben. Und so haben wir diese Dokumentation begonnen, von zehn Frauenklöstern wirklich Orte, Dinge und Menschen zu zeigen, zusammen in diesem Kosmos einer Klosterwelt.
Blick auf das Kloster im bayerischen Beuerberg, das 2014 aufgegeben wurde.
Blick auf das Kloster im bayerischen Beuerberg© imago
Dietrich: Diese Dinge, die sprechen ja, finde ich, auf eine ganz bezaubernde Art und Weise miteinander, vor allen Dingen in so einer Mischung von Alltäglichem und Religiösem. Da gibt es zum Beispiel ein Foto, da sieht man ein Sortiment Bügeleisen aus den 60er-Jahren, daneben einen Wäschekorb aus Plastik von heute und drüber dann ein Andachtsbild der Heiligen Familie. Oder immer wieder diese lebensgroßen Jesus-Statuen, aber eben dann vor einem Fenster mit 70er-Jahre-Vorhängen und Heizkörper oder im Winkel eines Treppenhauses. Also immer die Mischung aus Alltäglichem und Religiösem. Ist diese Mischung so eine Art Programm in den Klöstern?
Kürzeder: Das ist ganz typisch für Klöster. Die Welt kann man nicht in profan und sakral im Kloster trennen. Das Sakrale durchdringt eigentlich den ganzen Alltag. Allein schon die Auffassung, was ist mein Leben in diesem Kloster, wie ist der Tag geordnet, wie ist die eigene Biografie und eben auch Jahr und Tag geordnet? Das Ganze ist immer wieder spirituell-religiös gedeutet, und das macht sich auch in der Ausstattung der Klöster, in der Architektur natürlich bemerkbar. Und dieses Durchdrungensein von religiösem Gedankengut – man kann von einer Spiritualisierung der Gebäude, der Räume sprechen, das ist ganz typisch. Und da gibt es natürlich auch Brechungen, wie Sie sagen. Die Bügeleisen mit der heiligen Familie drüber. Aber da geht es natürlich zum Thema Arbeiten. Es ist auch programmatisch immer wieder zugeordnet. Das sind auch immer wieder auch religiöse Leitvorstellungen zu den einzelnen Arbeitsbereichen, zu den einzelnen Bereichen auch des Betens, der spirituellen Versenkung. Und die werden dann immer wieder auch bildlich gedeutet.
Dietrich: Das heißt, die Klosterküchen haben zum Beispiel ein anderes Bildprogramm als die Wäscheräume?
Buchcover: Klausur - Vom Leben im Kloster
Klausur - Vom Leben im Kloster© Verlag Antje Kunstmann
Kürzeder: So kann man es sagen, ja. Man versucht immer, den Ort auch zu deuten, ganz beispielhaft bei den Salesianerinnen. Schon in der Ordensregel ist vorgesehen, dass der Bild- und eben auch der Textschmuck – da gibt es in jedem Raum auch Texttafeln, Texte aus der Heiligen Schrift, Zitate von Ordensstiftern – beziehen sich jeweils auf das, was dort passiert. Zum Beispiel in der Küche: Martha und Maria – Vita contemplativa, Vita activa –, also Martha, die dann in der Küche arbeitete. Wir haben ein wunderbares Bild in einem Kloster, da kommt die Martha aus der Küche und ist etwas verärgert, weil Jesus mit Maria eben theologisch diskutiert. Aber das spiegelt eben auch die verschiedenen Charismen in einem Kloster wider.

Thomas Dashuber, Jahrgang 1971, studierte Bildjournalismus und arbeitete bis 2001 als freier Redakteur und Dokumentarfilmer für den Bayerischen Rundfunk, die ARD und arte. Seither portraitiert er Menschen aus Wirtschaft, Politik und Kultur für nationale und internationale Publikationen.

Dietrich: Im Kloster wird ja sozusagen Besitz für alle sortiert und bewahrt. Sie zeigen immer wieder, wie so große Mengen an Dingen sortiert werden. Das reicht von Stickgarn über Kassetten mit Predigten bis zu Schädelknochen, die als Reliquien verehrt werden, oder auch einer Schublade, die fand ich besonders schön, eine Schublade für verschiedene Dinge, von heiligmäßigen Personen Gebrauchtes. Und über allem steht dann immer wieder die Ordensregel als die religiöse Ordnung. Wie wichtig ist dieser Punkt der Ordnung, dieser Gedanke der Ordnung?
Kürzeder: Die Ordnung ist ganz entscheidend. Ich fange mal an, natürlich, es ist der große Haushalt zunächst. Sie beschreiben ja genau schon diese Bereiche des Wirtschaftens, des Arbeitens, des Kunsthandwerks et cetera. Und das sind alles Dinge, die müssen natürlich auch räumlich gefasst werden. Die müssen auch ihren Ort haben. Dieses Ordnungsprinzip ist nicht nur jetzt der Dinge, sondern auch das menschliche Zusammenleben, das soziale Zusammenleben, das natürlich durch die Ordensregel bestimmt ist und eben auch durch die spirituellen Vorstellungen, die sich in einer Ordnung des Tages, dem Gebet folgend, auch wiederum ausdrückt. Und diese Ordnung zieht sich eigentlich durch all diese Häuser. Und wir haben das Phänomen bei einem Kloster, die Schwestern haben vor zwei Jahren das Kloster verlassen. Wenn wir die Schwestern jetzt fragen an ihrem neuen Wohnort, wir suchen etwas in dem Haus: Sie können uns relativ genau sagen, wo wir es finden. Dritter Stock, zweiter Schrank rechts, drittes Fach. Also, diese Ordnung haben die Frauen auch sehr verinnerlicht und haben damit auch gelebt, um auch diesen Kosmos zu bändigen. Zum einen den Kosmos der Dinge, aber zum anderen auch die Ordnung des eigenen Lebens nach den geistlichen Prinzipien, die sich eben auch im Tagesablauf widerspiegeln und in der Regel.

Christoph Kürzeder hat in München Katholische Theologie und Volkskunde studiert. Seit 2012 leitet er eines der weltweit größten kirchlichen Museen, das Diözesanmuseum Freising.

Dietrich: Was verraten denn die Dinge über den Glauben, der mit ihnen gelebt wird?
Kürzeder: Ganz unterschiedlich. Wir haben ja verschiedene Qualitäten von Dingen. Wir haben Dinge der Andacht, die sind natürlich sehr analog zu verstehen als Objekte der Meditation, der Andacht, jeweils natürlich zeitabhängig. Wir haben in den Klöstern, die wir jetzt besucht haben, sehr viele Objekte des 19. Jahrhunderts der Frömmigkeit, das ist eben das Wiederaufleben der Ordensgemeinschaften mit einem ganz klaren Bildprogramm, geprägt durch die Theologie des 19. Jahrhunderts. Wir haben dann natürlich jetzt im 20. Jahrhundert gewisse Frömmigkeitsmoden, die sich in diesen Dingen widerspiegeln. Ob das dann natürlich im späten 19. Jahrhundert die Lourdes-Madonna, die wir in jedem Kloster finden, später kommt Fatima, also verschiedene Glaubensbilder, die jeweils in der Zeit eine wichtige Rolle spielen. Und wir haben dann natürlich auch noch den großen Kosmos von Dingen, die einfach nur den praktischen Belangen dienen, und der ist natürlich auch sehr groß. Aber die auch teilweise wieder religiös aufgeladen sind. Zum Beispiel der Bereich des Kunsthandwerks im Bereich der Paramentenstickerei. Dieses Handwerk ist nicht nur Tun, sondern ist Ausdruck eines Gebetes, ein praktischer Ausdruck eines Gebetes, ein sichtbares Gebet, das dann eben auch in diesem liturgischen Gewand seinen äußeren Ausdruck findet.
Dietrich: Sie zeigen viele Dinge, aber Sie zeigen nur relativ wenige Nonnen, außer im letzten Kapitel, das "Schwestern" heißt. Was war der Gedanke dahinter?
Kürzeder: Das haben wir ganz bewusst gemacht. Zum einen, wenn Sie in ein Klausurkloster kommen, ist es nicht so, dass Sie von der ganzen Gemeinschaft sofort begrüßt werden. Das heißt, man wird von der Ordensoberin, der Leiterin der Hausgemeinschaft begrüßt und wird begleitet. Aber es ist nicht so, dass man die restliche Gemeinschaft kennenlernt. Das war eigentlich nur selten der Fall. Wir haben die Möglichkeit gehabt, sehr viele Lebensbereiche sehen zu können und auch dokumentieren zu können. Wir wollten aber auch ganz bewusst nicht viele Frauen zeigen, denn die Entscheidung, sich in ein Kloster zurückzuziehen, ist ja eine Entscheidung, jetzt nicht so präsent zu sein. Und diese Entscheidung ist natürlich schon etwas, was wir auch respektiert haben. Also diesen Rückzug, dieses von der Welt auch verborgen zu sein. Das wollten wir dann nicht in einer sehr analogen Form – einfach jetzt Bild und Idee und Mensch dazu –, wir wollten diesen Schutzraum auch der Frauen bewahren dadurch und diesen ganz persönlichen auch.
Dietrich: Sie zeigen eine Welt, die – Sie haben es ja eben schon gesagt – am Aussterben ist. Auf den Fotos sind fast nur alte Frauen zu sehen. Ganz bewegend fand ich so ein Bild: Da sieht man ein geschnitztes Kruzifix, fast lebensgroß an der Wand mit einem sehr jungen, kräftigen Jesus, und darunter hat jemand einen Rollator geparkt. Ist dieser Blick in die Klausur einer voll Wehmut?
Kürzeder: Da ist sehr viel Wehmut dabei, denn nicht alle Gemeinschaften, die wir zeigen, werden in den nächsten Jahren verschwinden. Einige haben ja auch wirklich Nachwuchs. Aber in den Häusern, die im Bewusstsein jetzt schon leben, dass sie irgendwann als Gemeinschaft nicht mehr bestehen werden, ist natürlich – diese Wehmut steht im Raum und die sieht man auch in diesen Bildern. Es sind natürlich auch Bilder des Abschieds, denn diese Häuser konnten auch in den letzten Jahren nicht mehr so bewirtschaftet werden, wie das eigentlich so üblich war. Wir haben nicht mehr die Wirtschaftsbereiche wie Bäckerei, eine große Küche. Das gibt es noch irgendwie , aber natürlich nicht mehr in dieser belebten Form.
Und diese Orte sind jetzt noch mehr Rückzugsorte, vielleicht auch dieser Einsamkeit geworden, die man auch spürt. Es ist ein Sich-Einziehen in vielen dieser Häuser, und das spürt man natürlich, und diesem Gefühl kann man sich nicht entziehen. Wir kamen ja in Ordensgemeinschaften, wo klar war, dass sie in wenigen Wochen diesen Ort verlassen werden. Und da steht natürlich eine Wehmut im Raum, und zwar bei allen Seiten. Bei den Schwestern, aber auch bei uns, weil wir natürlich auch in dieses emotionale Gefühl hineinkamen und auch versucht haben, mit diesen Bildern diese Stimmung auch einzufangen.
Dietrich: "Klausur" – ich sprach mit Christoph Kürzeder, dem Leiter des Diözesanmuseums Freising. Das Fotobuch mit den wunderbaren Bildern von Thomas Dashuber ist erschienen im Verlag Antje Kunstmann und kostet 35 Euro. Bis Oktober gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, in einem der porträtierten Klöster einen direkten Blick in die Klausur zu werfen: im Kloster Beuerberg nämlich – die Nonnen haben es vor zwei Jahren verlassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.