Klaus von Beyme: "Bruchstücke"

Weder Diplomat noch Wichtigtuer

Klaus von Beyme, deutscher Professor für Politikwissenschaft, Autor von zahlreichen Standardwerken zu politischen Systemen
Klaus von Beyme, deutscher Professor für Politikwissenschaft, Autor von zahlreichen Standardwerken zu politischen Systemen © picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Von Eckhard Jesse · 02.01.2016
Er war ein unorthodoxer Sozialwissenschaftler, mal als "nationalbolschewistisch" mal als "scheißliberal" angesehen. Klaus von Beyme erinnert sich unprätentiös in "Bruchstücken" an ein sehr produktives akademisches Leben.
Er ist der produktivste Sozialwissenschaftler Deutschlands. Allein nach seiner Emeritierung 1999 hat Klaus von Beyme 15 Bücher geschrieben, durchweg Monografien und stets als Alleinautor. Nun folgen seine weithin chronologisch gehaltenen Erinnerungen.
Der Verfasser spricht von "Bruchstücken" wohl deshalb, um die Unvollständigkeit anzudeuten. Wie sein Großvater mütterlicherseits, Kurt von Rümker, ein berühmter Pflanzenzüchter, sieht sich Beyme als ordnungsliebender Pedant, der Vorbehalte gegen schriftliche Erinnerungen hegt – nicht zuletzt deshalb, weil oft Langweiligkeit das Ergebnis ist.
Erfrischend, ohne Pathos schildert er die wesentlichen Stationen seines Lebens: die Kindheit in Schlesien als Sohn eines Gutsbesitzers, die Flucht aus Schlesien und dann bald die Flucht aus Sachsen-Anhalt, die Schulzeit in Niedersachsen. Auf dem Abiturzeugnis stand ein "Einser" in Deutsch, ein "Fünfer" in Mathematik.
Es folgte die für ihn wenig ergiebige Buchhändlerlehre in Braunschweig, das Studium verschiedener Fächer – Jura brach er ab, die Assistentenjahre als Politologe in Heidelberg, die Tübinger Zeit als "Jungprofessor" und schließlich von 1973 bis 1999 wieder Heidelberg. Fortan widerstand er allen Versuchungen, an andere akademische Orte im In- und Ausland zu gehen.
Er weckte das Misstrauen von Geheimdiensten
Klaus von Beyme, der wohl mehr Bücher schrieb als sein Vater überhaupt besessen hatte, zog es früh immer wieder in seine Heimat. Das erweckte gleichermaßen das Misstrauen östlicher und westlicher Geheimdienste. Seine unorthodoxen Schritte stießen nicht nur auf Beifall.
"Als Lehrling 1954-1956 im Westermann-Verlag Braunschweig langweilte ich mich auf meiner Bude. Ich hatte nicht einmal Geld genug, um ins Kino zu gehen, wohl aber politische Interessen.
Die wurden gratis befriedigt, wenn man Parteiversammlungen besuchte, selbst die Russisch-Kurse an der Volkshochschule waren teuer. Am spannendsten fand ich die Extremisten: KPD oder die rechte Szene."
Fritz Bauer, später hessischer Generalstaatsanwalt, teilte ihm seinerzeit vertraulich die Einschätzung des Verfassungsschutzes mit, er gelte als "nationalbolschewistisch". So manche Episode wirft kein gutes Licht auf den damaligen Zeitgeist.
Hans-Joachim von Merkatz, Bundesminister unter Konrad Adenauer, wollte seinen Neffen Klaus von Beyme in den fünfziger Jahren als Bundestagsassistenten einstellen, doch musste dies wegen der Bedenken des Verfassungsschutzes unterbleiben.
Er trat 1957 – keineswegs zum Wohlgefallen der Familie – in die SPD ein, nachdem er noch 1953 Adenauers Wahltriumph bejubelt hatte. In der Politik brachte es der Wissenschaftler nicht weit, wie sein Scheitern bei der Wahlkreiskandidatur 1972 belegt. Von Beyme, dem Diplomatie abgeht, ist froh, keine Laufbahn als Politiker eingeschlagen zu haben.
Wissenschaftlich fühlt er sich in vielen Ländern heimisch
Mit souveräner Lässigkeit lässt der Autor diese oder jene Erfahrung Revue passieren. Er versagt sich heftige Kritik an Kollegen. Nur manchmal sind kleine Spitzen unübersehbar.
"Meine Assistentenkollegen in Heidelberg kamen Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre auch ohne Habilitation auf Lehrstühle, wie Udo Bermbach, Franz Nuscheler, Peter Haungs, Arnd Morkel oder Klaus Landfried – die drei letzten in Rheinland-Pfalz, wo unser alter Assistentenkollege Bernhard Vogel es zum Kultusminister gebracht hatte."
Der Autor ist ein Schnellschreiber, dem nie an sprachlicher Eleganz gelegen war, obwohl – oder vielleicht: weil – kein Hochschullehrer der Politikwissenschaft so viele Sprachen beherrscht wie er. In seinen Erinnerungen finden sich anschaulich-lebendige Einblicke, wie sehr er sich in vielen Ländern heimisch fühlte. Und die eingestreuten Gedichtsverse, die den Autor an die eine oder andere Episode erinnern, tragen zu beträchtlicher Kurzweiligkeit bei.
Als Klaus von Beyme mit den vier Geschwistern nach der deutschen Einheit den Ort im Ostharz besuchte, in dem die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg kurzfristig eine Heimstatt gefunden hatte, entdeckte er in den Mauern des Schlosses die Kritzeleien seines Gedichtes, verfasst als Zehnjähriger 1945:
"In der Oder da rauschen die Wasser, der Wind, der singt sein Lied,
über traurig verlassene Dörfer, in denen das Glück einst geblüht."
Am Hochschuldasein in Tübingen und Heidelberg ist ihm beispielsweise bemerkenswert, dass es in der zweiten Hälfte der sechziger und der ersten Hälfte der siebziger Jahre von Auseinandersetzungen mit studentischer Renitenz geprägt war. Der "Scheißliberale", heftiger attackiert als so mancher Konservative, zog sich mit Wortwitz und Courage aus der Affäre.
Von der Gründergeneration der deutschen Politikwissenschaft kommt sein Lehrer Carl Joachim Friedrich besser weg als der Tübinger Kollege Theodor Eschenburg, Eschenburg seinerseits besser als der Heidelberger Dolf Sternberger, dessen Lehrstuhl von Beyme übernahm.
Vom Tod wünscht er sich einen selbstbestimmten Abgang
Wer sich weniger für politikwissenschaftliche Interna interessiert, wird durch freimütige Einblicke in das Familienleben entschädigt. Klaus von Beyme habe von seiner Frau, einer Psychologin, gelernt, "loslassen" zu können. Das bezieht sich aber nicht auf das Bücherschreiben.
Die Erinnerungen sind erfreulich unprätentiös geschrieben, frei von Wichtigtuerei. Der Leser ist immer wieder erstaunt darüber, was dieser wissenschaftliche Tausendsassa alles erlebt und unternommen hat, etwa bei seinen jugendlichen Tramptouren in den Ostblock.
Die Autobiografie schließt mit diskussionswürdigen Ansichten über den Tod. Beymes Wunsch: "ein selbstbestimmter Abgang" in Gelassenheit. Auf seiner Todesanzeige sollen die letzten Zeilen eines Gedichtes von Sergej Jessenin stehen, das dieser kurz vor seinem Freitod verfasst hatte:
"Auf Wiedersehen, mein Freund, wortlos und ohne Händedruck,
Trauere nicht, und nimm es nicht so schwer:
In diesem Leben ist der Tod nichts Neues,
und auch das Leben bringt nichts Neues mehr."

Klaus von Beyme: Bruchstücke
...der Erinnerung eines Sozialwissenschaftlers
Springer-Verlag, Heidelberg 2016
242 Seiten, 29,99 Euro, auch als ebook erhältlich

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