Klaus Lederer, Landesvorsitzender Die Linke Berlin

Wer braucht heute noch Die Linke?

Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Berliner Linken.
Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Berliner Linken. © picture alliance / Stephanie Pilick
Moderation: Panajotis Gavrilis · 06.08.2016
Am 18. September wählt Berlin ein neues Abgeordnetenhaus. Klaus Lederer ist zuversichtlich, dass es für eine rot-rot-grüne Regierung reicht. Der Spitzenkandidat der Linken warnt davor, sich im Wahlkampf bei der Flüchtlingspolitik an rechte Rhetorik anzulehnen.
Der Spitzenkandidat der Linken bei der Landtagswahl in Berlin, Klaus Lederer, kritisiert im Deutschlandradio Kultur die Äußerungen der Bundesfraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht. Er wisse nicht, was sie dazu motiviert hätte, solche Äußerungen wie nach den Gewalttaten in Würzburg und Ansbach zu machen. "Ich kann nur sagen, der Glaube, dass man irgendwas gegen rechte Wählerinnen und Wähler oder gegen rechte Mobilisierung tun könne, in dem man in Ansätzen und in Anklängen versuche dieselbe Rhetorik zu übernehmen, ist falsch. Das stärkt am Ende nur die Rechten", sagt Lederer. Solche oder ähnliche Äußerungen von Sahra Wagenknecht zur Flüchtlingspolitik wünsche er sich im aktuellen Wahlkampf nicht.
Er gebe Frau Wagenknecht aber an einer Stelle "völlig Recht", wie er hinzufügt: "Es reicht nicht sich hinzustellen und zu sagen, wir schaffen das, und danach Länder und Kommunen mit diesen Problemen allein zu lassen, weil man absurderweise an einer schwarzen Null festhält, die aus nichts anderem motiviert ist, als aus Ideologie."

Probleme zu verschweigen, ist nicht links

Dem Landesvorsitzenden der Berliner Linken zufolge, verschweige seine Partei überhaupt keine Probleme in Bezug auf die Flüchtlings- und Integrationspolitik. "Die Probleme fangen schon da an, wo beispielsweise ein homosexueller Geflüchteter zusammen in einer Massenunterkunft mit einem tiefgläubigen Muslim zusammenlebt." Er bezieht sich bei seiner Aussage ebenfalls auf eine von Sahra Wagenknecht getroffenen Aussage, Probleme zu verschweigen sei nicht links.
In Bezug auf die Gefahr vor möglichen Terroranschlägen in Deutschland, hält Klaus Lederer mehr Überwachung für falsch: "Da können Sie Video überwachen. Da können Sie V-Leute einstellen. Da können Sie die ganze Stadt mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten voll stellen. Sie werden solche Taten, so schlimm das ist, nicht verhindern können." Berlin sei eine sichere Stadt, sagt der Linken-Politiker. Aber da sei noch einiges zu tun – er fordert unter anderem mehr Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte.

"Warum soll das nicht in die Bundesebene ausstrahlen?"

Über den aktuellen Wahlkampf und der bevorstehenden Landtagswahl am 18. September schließt Lederer eine mögliche rot-rot-grüne Regierungskoalition nicht aus und zeigt sich zuversichtlich: "Warum soll das nicht in die Bundesebene ausstrahlen, genau wie vielleicht eine rot-rot-grüne Idee für Berlin dann auch mal auf die Bundesrepublik ausstrahlt?"
Über einen abgebrannten Wahlkampfbus der Berliner CDU äußert sich Klaus Lederer besorgt: "Es gibt eine allgemeine Verrohung der politischen Kultur." Es könne nicht sein, dass Gewalt, Drohungen, Hate-Speech Mittel politischer Auseinandersetzungen seien.
Klaus Lederer, geboren 1974 in Schwerin, ist seit 2003 Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin. Seit elf Jahren ist er Landesvorsitzender der Partei in Berlin und seit vier Jahren im Bundesparteivorstand. Bei der Landtagswahl in Berlin tritt er als Spitzenkandidat für seine Partei an.

Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandradio Kultur: Bei uns zu Gast ist Klaus Lederer, Vorsitzender der Linken in Berlin. Schönen guten Tag, Herr Lederer.
Klaus Lederer: Hallo, ich grüße Sie.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lederer, Sie sind seit 2003 Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit elf Jahren Landesvorsitzender in Berlin und Spitzenkandidat Ihrer Partei. Am 18. September wählt nämlich Berlin ein neues Abgeordnetenhaus. In Landtagswahlen in diesem Jahr spielte Die Linke so gut wie keine Rolle. Warum sollte es anders werden jetzt in Berlin?
Klaus Lederer: Also, zum einen, wir haben ja in Berlin eine Koalition, die jetzt seit fünf Jahren regiert und eigentlich eher nicht regiert. Also, die die wesentlichen Herausforderungen der Stadt nicht anpackt. Denken wir an das Landesamt für Gesundheit und Soziales, an den BER, an die Mietenentwicklung in der Stadt. Das sind alles so Dinge, die sind, glaube ich, auch über Berlins Grenzen hinaus bekannt geworden und haben der Stadt nicht zum Ruhm gereicht. Aber natürlich auch aus der Perspektive der Berlinerinnen und Berliner gibt es ganz viel, was hier im Argen liegt.
Und wir haben, nachdem wir hier zehn Jahre mit regiert haben, nachdem wir hier auch den Haushalt saniert haben und damit Bedingungen geschaffen haben, um politisch wieder gestalten zu können, in den vergangenen fünf Jahren immer wieder mit Vorschlägen auch versucht Druck zu machen für sozialen Zusammenhalt, für eine humane Flüchtlingspolitik, für demokratische Entwicklung der Stadt, so dass ich denke, dass die Berlinerinnen und Berliner – und Umfragen soll man jetzt auch nicht übermäßig trauen, aber man kann sie zumindest zur Kenntnis nehmen – bestätigen auch, dass wir da eine gewisse Resonanz mit erfahren haben.
Deutschlandradio Kultur: Aber gibt es irgendwo eine Befürchtung, dass es womöglich ein ähnliches Desaster geben könnte, wie es Die Linke zum Beispiel auch auf Landesebene, zuletzt vor allem in Sachsen-Anhalt erlebt hat, als sie nur 16 Prozent bekam, über sieben Prozentpunkte verlor und die AfD über 24?
Klaus Lederer: Also, das Phänomen der AfD ist ja das eine. Das Problem unserer Partei ist nochmal ein anderes. Da stellt sich zum einen natürlich die Frage…
Deutschlandradio Kultur: Die AfD wird aber auch in Berlin jetzt antreten.

"Ich würde die Fragen gerne unabhängig voneinander diskutiert sehen"

Klaus Lederer: Natürlich wird die in Berlin auch antreten. Ich denke nur, wir nehmen in öffentlichen Debatten oft wahr, dass Die Linke und die AfD sozusagen so in einem Atemzug genannt werden, als gäbe es irgendwie ein System kommunizierender Röhren zwischen Wählerinnen und Wählern der Linken einerseits und denen der AfD andererseits. Das bestätigen die Zahlen nicht. Das bestätigt die neue "Mitte"-Studie der Uni Leipzig nicht, die ja vor einem Monat vorgestellt worden ist, eine Langzeitstudie zu den Befindlichkeiten innerhalb der deutschen Bevölkerung. Insofern würde ich die Fragen gerne unabhängig voneinander diskutiert sehen.
Wir hatten in Thüringen mit Bodo Ramelow und der Spitzenkandidatur mit der Option einer rot-rot-grünen Regierung und auch mit dem Versagen der damaligen schwarz-roten Regierung in der Tat auch eine Option zur Veränderung in Thüringen. Das war in Sachsen-Anhalt nicht so.
Das schien am Anfang des Wahlkampfes der Fall zu sein. Die Sachsen-Anhaltinische Linke hat sich mit Wulf Gallert ja auch auf eine Ministerpräsidentenkandidatur, auch mit sozusagen Run auf das gemeinsame Regieren mit SPD und Grünen eingestellt. Dafür hat es am Ende nicht gereicht. Da trägt natürlich auch der Aufstieg der AfD bei. Und die Stärke der AfD hat dazu beigetragen, dass das so war. Aber da ist in der Tat dann vermutlich auf den letzten Metern dann auch ein bisschen die Luft ausgegangen. Ich weiß nicht, wie es in Mecklenburg-Vorpommern wird. Da kann man nur drüber spekulieren. Aber in Berlin, in einem sehr urbanen Milieu, in einem Milieu, wo die Linke in den vergangenen Jahren auch immer klar Position zu verschiedensten neuralgischen Fragen bezogen hat, da gehe ich erstmal davon aus, dass wir einen guten Rückenwind haben.
Deutschlandradio Kultur: Aber befürchten Sie nicht, dass Sie auch Stimmen womöglich auch an die AfD verlieren könnten?
Klaus Lederer: Also, das ist derzeit nicht mein Eindruck. Ich habe auch in Sachsen-Anhalt im Übrigen die Wahrnehmung gehabt, dass die AfD ganz stark aus dem nicht wählenden Milieu gewonnen hat, dass insbesondere die Mitte-Rechts-Parteien ein Problem haben in der Abgrenzung. Also, die AfD wirkt ja ein bisschen wie ein Magnet auf die rechten Milieus innerhalb der Gesellschaft. Es ist ja nicht so, dass beispielsweise völkisch-nationalistisches Denken oder auch in gewisser Weise fundamentalistisch christliches Denken, was die AfD, was Beatrix von Storch beispielsweise verkörpert, oder eine bestimmte …
Deutschlandradio Kultur: Aber es spricht die Leute zumindest an.
Klaus Lederer: Es hat eine große Resonanz auf das Nichtwählermilieu. Und es hat auch eine große Resonanz in Bezug auf die Wählerinnen und Wähler, die früher durchaus von CDU-CSU oder von SPD am rechten Rand eingefangen worden sind. Also, die "Mitte""-Studie beispielsweise belegt ja, dass völkisch-nationalistische menschenfeindliche Einstellungen gar nicht signifikant zugenommen haben. Sie sind nur hörbarer, sie mobilisieren sich und sie haben in der AfD gewissermaßen ein aktuelles Sprachrohr gefunden. Das ist, glaube ich, die Entwicklung, die wir haben.
Aber wir als Linke haben weder die Aufgabe, in diesen Milieus den Versuch zu unternehmen, durch Anwanzerei Wählerinnen und Wähler auf uns zu ziehen, noch kann eine linke Partei ernsthaft irgendwelche Konzessionen in die Richtung machen.
Insofern. Für mich stellt sich die Frage nicht, mit der AfD um Milieus zu konkurrieren, die völkisch-nationalistisch, rassistisch oder gegebenenfalls auch fundamental christlich denken.
Deutschlandradio Kultur: Es gab aber auch Leute aus den Wählermilieus von der Linken, die danach die AfD gewählt haben. Das gab es ja auch.
Klaus Lederer: Das mag schon sein, dass es Wechselwähler hier oder da gab. In Sachsen-Anhalt hat es das auch gegeben. Aber eine Partei kann ja nur, indem sie klar Position bezieht, verhindern, dass Leute dem Irrglauben unterliegen, Die Linke wäre für völkisch-nationalistisches oder rassistisches Gedankengut offen.
Deutschlandradio Kultur: Schauen wir nochmal ganz konkret auf den aktuellen Wahlkampf. Da ist jetzt ein Werbebus der CDU abgebrannt, mutmaßlich Brandstiftung. Der Staatsschutz ermittelt. Was bedeutet das für den Wahlkampf? Ich meine, wir stehen ja noch am Anfang.

"Es gibt eine allgemeine Verrohung der politischen Kultur"

Klaus Lederer: Also, was ich so wahrnehme, es ist ja nicht mein erster Wahlkampf, wir hatten in jedem Wahlkampf Sachbeschädigungen, zum Teil auch. Also, es gibt eine allgemeine Verrohung der politischen Kultur. Das ist nicht nur in den sozialen Netzwerken so. Da wird es ja jetzt sehr, sehr intensiv diskutiert. Es hat sich auch ausgedrückt beispielsweise in dem Attentat auf Henriette Reker. Wir haben im Zusammenhang mit der britischen Brexit-Debatte den Anschlag auf eine Labour-Unterhausabgeordnete gehabt. Also, es gibt in der Tat eine Tendenz der Verrohung und des Verlustes politischer Kultur im Umgang miteinander.
Deswegen bin ich auch sehr dankbar, dass die politischen Parteien im Abgeordnetenhaus sich zumindest in einer Frage komplett einig sind: Das kann nicht sein, dass Gewalt, Drohungen, Hate-Speech, dass das irgendwie ein Mittel politischer Auseinandersetzung ist. Das gehört geächtet. Und da tragen alle Akteure im politischen Spektrum, glaube ich, eine Verantwortung dafür.
Ich nehme wahr, dass über Pegida und andere Mobilisierungsbewegungen, aber auch bis hinein in die AfD ein antiaufklärerisches, antipolitisches, antidemokratisches Denken und Handeln Einzug gehalten hat in den politischen Diskurs: Angriff auf Journalistinnen und Journalisten, die doch sehr, sehr frontale Auseinandersetzung mit der Bundeskanzlerin. Es ist ja nicht so, dass ich mit ihr in allen Fragen einer Ansicht wäre, aber es ist schlicht inakzeptabel, wenn auf Demonstrationen, angeheizt auch durch politische Akteure, Sprüche in den Raum geworfen werden, die erinnern an die 30er Jahre. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen.
Deutschlandradio Kultur: Wir leben in einer aufgewühlten Zeit. Nationale Alleingänge in der EU und nach den Gewalttaten in Würzburg, München und Ansbach werden Rufe nach mehr Sicherheit laut, nach mehr Überwachung, nach mehr Law & Order, mehr Grenzen, mehr Abschottung. Der Diskurs scheint sich so ein wenig nach rechts zu bewegen. – Ist das eine reine Stimmungsmache für Sie oder ist es tatsächlich auch eine notwendige Konsequenz?

"Die sozialen und gesellschaftlichen Hintergründe dieser Taten sind völlig verschieden"

Klaus Lederer: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Leute Ängste haben und Sorgen haben. Wenn etwas, was bisher sehr weit weg ist, weil es sehr weit entfernt passiert ist, nun nahe rückt und plötzlich in beispielsweise Bayern, in Würzburg oder in Ansbach stattfindet, dann gibt es in der Regel erstmal diese Ängste. Es gibt natürlich auch den schnellen populistischen, wie ich finde, Ruf nach mehr Überwachung, nach mehr Abschottung, aber es gibt in der Regel keine sehr, sehr sachliche Diskussion über die Frage von Motiven und Hintergründen solcher Taten.
Wenn wir uns jetzt die Taten anschauen, stellen wir ja fest, dass die sozialen und gesellschaftlichen Hintergründe dieser Taten völlig verschieden sind. Also, ob ein Deutsch-Iraner, der sich für einen Arier hält und abrechnen will mit den seiner Ansicht nach nicht arischen Migrantinnen und Migranten oder ein anderer…
Deutschlandradio Kultur: In Ansbach und in Würzburg waren es ja geflüchtete Menschen.
Klaus Lederer: Geflüchtete Menschen, die vor Jahren hierher gekommen sind, die möglicherweise auch keine Alternative hierzulande gefunden haben und die dann, und das ist das Beunruhigende, einem "IS" oder anderen islamistisch fundamentalistischen Bewegungen – man muss ja da keine Eintrittskarte unterzeichnen, sondern man kann sich einfach darauf beziehen und kann sich selbst sozusagen einreihen in diese Armeen Gottes und so seine individuellen Abrechnungen vollziehen unter dem Ticket des IS. Das ist in der Tat eine ernsthafte Herausforderung auch für die Gesellschaft heutzutage. Und da muss man aber mit Augenmaß reagieren.
Deutschlandradio Kultur: Aber ich frage mich, zum Thema innere Sicherheit sagen Sie in Ihrem Wahlprogramm fast nicht,...
Klaus Lederer: Das ist nicht richtig.
Deutschlandradio Kultur: … wie sie den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl zumindest von Sicherheit geben können. Also, stattdessen liest man schön klingende Sätze wie "Stadt der sozialen Gerechtigkeit – ohne Armut".
Also, Sie fordern mehr Stellen, bessere Arbeitsbedingungen für Polizisten und sind gegen den Ausbau von Videoüberwachung und für die Abschaffung des Verfassungsschutzes. – Das schützt aber zum Beispiel die Hauptstadt Berlin nicht vor möglichen Anschlägen.

"Sie werden solche Taten, so schlimm das ist, nicht verhindern können"

Klaus Lederer: Also, gucken wir uns die Bilanz des Verfassungsschutzes an, um mal mit einem einzusteigen. Über Videoüberwachung und andere Dingen können wir dann gerne ja auch noch reden. Der Verfassungsschutz hat es nicht geschafft, eine marodierende Bande von Faschisten aufzudecken, im Gegenteil. Wir wissen heute aus den verschiedenen NS-Untersuchungsausschüssen, dass V-Leute-Führer und ähnliche Akteure aus dem Sicherheitsapparat diese Leute zumindest, ob bewusst oder unbewusst, gedeckt haben und ihnen zusätzliche Ressourcen zugeschossen haben.
Der Nutzen von V-Leuten, die selber aus diesen Milieus kommen, für die Aufklärung von Straftaten oder nur für die Prävention ist mehr als zweifelhaft. Und ich wundere mich schon, dass angesichts der derzeitigen Entwicklung und Bedrohung in den Sicherheitsdiskursen nichts anderes auf die Tagesordnung gesetzt wird als ein höheres Maß an Überwachung. Wir haben jetzt schon ein riesiges Maß an Überwachung. Denken wir an die NSA. Wir haben jetzt schon in vielen, vielen Bereichen V-Leute. Und wir werden trotzdem nicht verhindern… Sehen Sie sich die Taten an. All diese Täter, wird uns ja bestätigt, auch in Frankreich, sind vorher in Regelfällen nicht auffällig geworden, hatten keine direkten Kontakte zu islamistischen Gruppen, brauchen sie auch nicht, weil, jeder kann sich heute eine Fahne selbst basteln, eine IS-Fahne selbst basteln, kann sich ein Messer schnappen, kann sich einen Bus anmieten und kann in eine Menschenmenge rasen.
Das ist doch das Bedrohliche an dieser Konstellation. Da können Sie Video überwachen. Da können Sie V-Leute einstellen. Da können Sie die ganze Stadt mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten voll stellen. Sie werden solche Taten, so schlimm das ist, nicht verhindern können.
Und deswegen finde ich, ja, wir müssen in Berlin mehr Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte einstellen. Berlin ist eine sehr sichere Stadt, aber da ist noch einiges zu tun. Und wir müssen in der Tat auch dafür sorgen, dass die Aufklärungsquoten da, wo solche Taten verübt werden, gut sind und dass die Menschen besonnen agieren, dass sie aufmerksam sind in ihrem Umfeld, sich andererseits aber möglichst auch nicht in der Ausübung ihrer Freiheiten einschränken lassen. Das ist mir ganz persönlich wichtig.
Und ich sage es nochmal: Videoüberwachung, was nützt mir in der U-Bahn die Videoüberwachung, wenn – und wir wissen, dass in der Regel solche Taten aus dem Affekt oder auch unter Alkoholeinfluss begangen werden – diese Kamera nicht runter klettert und wirklich eingreift.
Deutschlandradio Kultur: Aber wer soll eine mögliche radikal islamistische Szene überwachen, wenn nicht der Verfassungsschutz?
Klaus Lederer: Die Einzeltäter, die wir derzeit haben, sind nicht die radikal islamistische Szene, sondern sind Einzeltäter, die sich völlig von sich aus über soziale Netzwerke…
Deutschlandradio Kultur: Es gibt aber auch Leute, die nach Syrien gehen und wieder zurückkommen und tendenzielle Gefährder sind. Und die sind unter der Kontrolle und Überwachung des Verfassungsschutzes.

"Nur vernünftige Aufklärungsarbeit ist das Beste"

Klaus Lederer: Das werden wir mal schauen, wenn das nächste Mal solche Taten passieren. Ich glaube, dass nur vernünftige Aufklärungsarbeit, und das ist nicht per se eine geheimdienstliche, das Beste ist, was man tun kann. Und das ist auch das, was gemacht werden muss.
Ich stelle mich nicht gegen vernünftige Vorschläge für mehr öffentliche Sicherheit. Ich stelle mich nur dagegen, dass jedes Mal, wenn solche Taten passieren, bevor überhaupt feststeht, was die Ursache war, wer die Täter waren, welche Motive, welche Netzwerke dahinter stehen, der automatische Ruf erfolgt nach Totalüberwachung, nach Bundeswehreinsätzen im Inneren. Und da, glaube ich, wir haben jedes Mal in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren, wenn so schlimme Taten passiert sind, auch nach dem 11. September in New York, den Ruf nach mehr Sicherheitsbehörden, nach mehr Überwachung, nach mehr geheimer Abschnüffelei von Kommunikationsverkehr gehabt. Und wir müssen trotzdem feststellen, dass sich absolute Sicherheit auch mit absoluter Überwachung nicht gewährleisten lässt.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lederer, die Bundesfraktionsvorsitzende Sarah Wagenknecht sagen wenige Tage vor den drei Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz in einem Zeitungsinterview: "Es können nicht alle Flüchtlinge kommen." Das sagte sie im "Berliner Kurier". – Wünschen Sie sich auch so ein Statement kurz vor der Wahl?

"Das Wichtige ist mir da immer, dass Linke ganz sensibel sind"

Klaus Lederer: Ich wünsche mir so ein Statement nicht. Es ist im Übrigen eine Banalität. Nur wenn es dann so ausgesprochen und vor einem bestimmten Kontext ausgesprochen wird, kriegt es natürlich ein Geschmäckle. Weil, wer hat denn in diesem Land gefordert, dass alle hierher kommen sollen? Und wer im Übrigen behauptet denn, dass alle überhaupt kommen wollen. Also, was wir derzeit an Flüchtlingsbewegung innerhalb der Welt haben, ist dramatisch genug, aber es ist nichts, was die europäische Aufnahmegesellschaft überfordern würde, wenn man es beherzt anginge. Und die Gefahr einer Überfremdung, die Gefahr einer Flut von Geflüchteten, die die hiesige Aufnahmegesellschaft überfordern würden, das ist normalerweise das Vokabular von Rechten. Und da bin ich dafür, dass wir als Linke hoch sensibel sind.
Auch da kann ich verstehen, dass Menschen Sorgen haben, dass Menschen sich die Frage stellen: Gelingt das? Kriegen wir das mit der Unterschiedlichkeit von kulturellen, von ethnischen Prägungen mit sehr, sehr unterschiedlichen Sozialisierungen, auch mit Traumatisierungen, ist das hier zu schaffen?
Ich bin fest davon überzeugt, es ist zu schaffen, wenn man es auf eine vernünftige Art und Weise angeht. Und das Wichtige ist mir da immer, dass Linke ganz sensibel sind – die Ängste einerseits ernst zu nehmen, die in der Bevölkerung existieren, auch auf die einzugehen, aber dabei nach Möglichkeit nicht die Parolen der Rechten zu reproduzieren.
Deutschlandradio Kultur: Aber was heißt konkret "die Ängste ernst nehmen"? Was meinen Sie damit?
Klaus Lederer: Na, damit meine ich schon…
Deutschlandradio Kultur: Zuhören, miteinander sprechen?
Klaus Lederer: Dazu gehört in der Tat auch Zuhören, auch miteinander sprechen. Dazu gehört auch Aufklärung. Ich würde mich nicht mit organisierten Nazis oder Pegidas zusammensetzen, aber ich habe am Wahlkampfstand jeden Tag diese Fragen zu beantworten. Ich muss jeden Tag mit Menschen, und tue das auch gerne, darüber diskutieren: Was sind die Herausforderungen der kommenden Zeit?
Aber ich denke natürlich: Wenn wir Berliner Verhältnisse sehen, über das LaGeSo habe ich vorhin schon gesprochen. Wenn Menschen zehn Monate lang in einer Turnhalle leben, und so was haben wir hier in Berlin, in einer Massenunterkunft mit anderen Menschen zum Teil unterschiedlicher Herkünfte, zum Teil auch konfliktgeladen, Christen und Muslime zusammen, schwule Migrantinnen und Migranten und tief religiöse muslimische Migranten, das ist natürlich konfliktgeladen. Und die Frage ist: Was ist die vernünftigste Antwort darauf?
Die vernünftigste Antwort aus meiner Sicht darauf ist, den Leuten erstens schnellstmöglich eine vernünftige Unterkunft, schnellstmöglich Zugang auch zu kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten zu geben, in den Beruf eine Ausbildung zu verschaffen und sie so weit wie möglich in die Situation zu versetzen, in dieser Gesellschaft anzukommen und auch mit den Teilen der Mehrheitsgesellschaft, mit den Flüchtlingsinitiativen, die sich ja da sehr engagiert haben, Zugang zu finden zu hiesigen Werten und Normen. Diesen Diskurs muss man allerdings miteinander führen. Aber das ist auch eine Geschichte, die ohnehin ansteht.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lederer, ich würde nochmal ganz kurz bei den Äußerungen von Sarah Wagenknecht bleiben. Zur Erinnerung, sie sagte nach den Attentaten in Ansbach und Würzburg: Die Ereignisse der letzten Tage "würden zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges 'wir schaffen das' uns im letzten Herbst einreden wollte".
Sie sagen: "Berlin hat Platz für alle. Berlin kann das." – Da stimmt doch was nicht.

"Es reicht nicht sich hinzustellen und zu sagen, wir schaffen das"

Klaus Lederer: Na ja, ich gebe Frau Wagenknecht an einer Stelle völlig recht. Es reicht nicht sich hinzustellen und zu sagen, wir schaffen das, und danach Länder und Kommunen mit diesen Problemen allein zu lassen, weil man absurderweise an einer schwarzen Null festhält, die aus nichts anderem motiviert ist, als aus Ideologie.
Also, klar, es ist natürlich eine erhebliche Herausforderung. Man muss dann auch investieren in Bildung, in Integration, in Partizipation. Man muss investieren in eine vernünftige Unterbringung, eine vernünftige Begleitung. Man muss auch investieren in Demokratieerziehung, in Antisemitismusprävention, in Aufklärung. All das muss man tun. Und insofern teile ich auch die Kritik an Frau Merkel, zu sagen, wenn ich, und das ist eine grundsätzlich richtige Aussage, "Wir schaffen das" in den Raum stelle und ich bin politisch verantwortlich an der Spitze der Bundesregierung, dann folgen daraus auch weitere Schritte. Und da ist Frau Merkel bisher, finde ich, sehr, sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, uns zu unterstützen.
Was ich falsch finde an der Äußerung von Sarah Wagenknecht, ist, das in den Kontext zu stellen mit diesen Anschlägen, weil ich nicht unterstellen kann, wir haben hier in Berlin 25.000 Geflüchtete derzeit, jetzt pauschal zu sagen, das sind alle potenzielle Terroristen.
Deutschlandradio Kultur: Aber Frau Wagenknecht hat auch gesagt, sie fühlte sich missverstanden, verteidigte sich und sagte: Probleme zu verschweigen sei nicht links. – Was verschweigt denn Die Linke? Was für Probleme?

"Die Linke verschweigt überhaupt keine Probleme"

Klaus Lederer: Die Linke verschweigt überhaupt keine Probleme. Ich habe ja die ganze Zeit deutlich gemacht, die Probleme fangen schon da an, wo beispielsweise ein homosexueller Geflüchteter zusammen in einer Massenunterkunft mit einem tiefgläubigen Muslim zusammenlebt.
Deutschlandradio Kultur: Ist denn Frau Wagenknecht dann in der falschen Partei? Oder ist Ihre Partei auf dem falschen Weg?
Klaus Lederer: Sarah Wagenknecht hat all die Beschlüsse, die wir zur Flüchtlingspolitik, zum Umgang mit Geflüchteten in den vergangenen Jahren gefasst haben, mit unterstützt. Was das anbetrifft sozusagen, habe ich an Sarah Wagenknecht überhaupt nichts zu monieren. Was ich von ihr verlange, ist, diese Position dann auch durchzuhalten. Ich stecke ja nicht in ihr drin. Ich weiß insofern auch nicht, was sie dazu motiviert hat, solche Äußerungen zu treffen. Ich kann nur sagen, der Glaube, dass man irgendwas gegen rechte Wählerinnen und Wähler oder gegen rechte Mobilisierung tun könne, indem man in Ansätzen und in Anklängen versucht dieselbe Rhetorik zu übernehmen, ist falsch. Das stärkt am Ende nur die Rechten. Und das ist etwas, was ich auch immer wiederholen werde, wenn es nötig ist.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lederer, lassen Sie uns ein bisschen über den Begriff "links" sprechen. Sie sagen: "Und immer fragen, ob es nicht anders geht, besser für alle, eben links im 21. Jahrhundert."– Das klingt für mich relativ wenig konkret. Was heißt links heute?
Klaus Lederer: Für mich ist links heute, in der Tat für soziale, für demokratische Entwicklung der Gesellschaft einzustehen. Das ist jetzt auch wieder sehr allgemein, also eine Gesellschaft, in der niemand zurückgelassen wird, in der sich alle auch an der demokratischen Gestaltung des Gemeinwesens beteiligen können und in der Menschen mit unterschiedlichen Lebensweisen, mit unterschiedlichen religiösen Herkünften tatsächlich auf Augenhöhe und gleich miteinander zusammenleben. Also, letztlich irgendwie ein Stück weit schon auch die Verwirklichung der Ideale der bürgerlichen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Und aufs Aktuelle gespiegelt: Ich glaube ja, dass dieses Anwachsen völkisch-nationalistischer Bewegungen oder das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in Europa auch ein bisschen was damit zu tun hat, dass wir eigentlich seit 1989/90 immer nur gepredigt bekommen haben, es gebe zum herrschenden, zur Mainstream-Politik, zum auch neoliberalen und Austeritätsregime keine Alternative. Es gibt keine Alternative.
Und ich glaube, dass für Linke heute im Jahr 2016 besonders wichtig ist, den Blick mal wieder zu öffnen, auch die gesellschaftliche Debatte mal wieder zu öffnen, dass es selbstverständlich Alternativen gibt zu einem Kurs von immer mehr Einsparung, von immer mehr Marktregiment, vom freien Spiel der Kräfte und dass es für Linke heute wichtig ist, sich dafür einzusetzen, dass es dafür gesellschaftlichen Rückhalt gibt.
Deutschlandradio Kultur: Warum tut sich Die Linke so schwer gerade in Europa?

"Das hat mit einer Geschichte einer revolutionären Linken zu tun"

Klaus Lederer: Also: Die Linke links neben der Sozialdemokratie tut sich schwer. Die Sozialdemokratie selbst hat natürlich auch eine Entwicklung genommen über Schröder und Blair, wo sich heute viele fragen, was daran überhaupt noch links ist.
Nein. Das hat natürlich mit einer linken Geschichte zu tun. Und das hat mit einer Geschichte einer revolutionären Linken zu tun, die vor hundert, hundertfünfzig Jahren davon ausgegangen ist, das man eine Revolution machen und den ganzen Kladderadatsch einfach wegsprengen könnte. Und danach würde sozusagen aus den Trümmern der alten Gesellschaft die sozialistische Weltrepublik wachsen. – Das war natürlich nicht nur naiv, sondern es hat natürlich in der Art und Weise, wie es dann ausprobiert wurde, über die sowjetische Revolution, über den Stalinismus, auch zu ganz, ganz finsteren Begleiterscheinungen geführt.
Und seit 1989/90 ist eben genau dieser Versuch Gesellschaft zu verändern, kläglich zugrunde gegangen. Und es schien so, als ob der Kapitalismus für immer das Ende der Geschichte ist. Eine Linke links der Sozialdemokratie hat sich schwergetan und tut sich immer noch schwer mit diesem auf dem Rücken lastenden Erbe der Vergangenheit vernünftig umzugehen und im Wissen um diese Geschichte und auch ohne diese Geschichte beiseite zu packen, tatsächlich heute praktische, kluge, motivierende, auch auf politische Veränderungen Lust machende Vorschläge zu unterbreiten und auch bereit zu sein, auf Kompromisswegen solchen gesellschaftlichen Entwicklungen näher zu kommen.
Ich plädiere ja in meiner Partei, werde dafür durchaus ja auch kritisiert, auch von außerhalb der Partei, doch für ein sehr pragmatisches Durchsetzen der eigenen Zielvorstellungen, wo immer man es kann. Man kann ja nur so lernen, wie sich Gesellschaft verändern lässt. Und man kann auch nur so Menschen Mut machen, Gesellschaft zu verändern. Das ist mir wirklich wichtig.
Deutschlandradio Kultur: Aber das klingt auch nach einem Eingeständnis, dass Die Linke durchaus auch noch immer noch sehr dogmatisch denkt. Ist das vielleicht gar nicht mehr alles zeitgemäß und im Endeffekt auch nicht mehr wählbar?

"Es war nicht so ganz einfach, sich vom dogmatischen Erbe frei zu buddeln"

Klaus Lederer: Ach, ich glaube, die PDS ist ja damals aus der SED entstanden und natürlich war es nicht so ganz einfach, sich vom dogmatischen Erbe frei zu buddeln. Und trotzdem war da `89 der Anspruch, mit dem Erbe des Stalinismus unwiderruflich zu brechen.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt immer noch Nostalgiker.
Klaus Lederer: Ach, die gibt es natürlich. Es gibt auch irgendwelche Zeitschriften. Nun erlebe ich aber in der Tat ja meinen Landesverband mit den 6000 Mitgliedern auch. Bei uns treiben sich davon nicht mehr viele rum. In der Tat, diese Suchprozesse, dieses Neugierigsein auf gesellschaftliche Veränderung, Lust zu haben sich einzubringen und Lust zu haben es drauf ankommen zu lassen, ist vielleicht auch eine Geschichte, die dann die Generationen darunter machen müssen und leisten müssen. Ich meine, ich bin jetzt 42 Jahre alt. Viele meiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter sind es auch. Wir haben aus dem Piratenmilieu unglaublich viele sehr, sehr kreative linkslibertäre Menschen gewonnen, die jetzt bei uns mitmachen. Da verändert sich auch einiges.
Na ja, letztlich muss es bewegt und bewirkt werden. Und da versuche ich, da versuchen viele andere, eine Menge für zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Aber denken wohl mehr, auch mehr, als manche zugeben wollen, in der Linken womöglich auch tatsächlich ein bisschen nationaler und auch rechtspopulistischer?

"Unsere Mitglieder engagieren sich in den Geflüchteten-Initiativen"

Klaus Lederer: Also, da kann ich an der Stelle auch wieder nur sagen: Das mag in den 90er Jahren, wo die PDS auch durchaus bestimmte Subalternitätsempfindungen in Ostdeutschland versucht hat progressiv aufzuladen und zu nutzen. Also bei der Gleichstellung von Ostdeutschen mit Westdeutschen, bei der Rentenfrage, beim Aufholen des wirtschaftlichen Aufschwungs in Ostdeutschland und beim Umgang, bei der Anerkennung von Biographien in Ostdeutschland, dass es da auch Leute gegeben hat, die so denken. Und ich will auch überhaupt nicht ausschließen, dass es den einen Wähler oder die andere Wählerin gibt, die möglicherweise nationalistisch denken und trotzdem aus welchen Gründen auch immer Die Linke wählen. Das wird übrigens keine Partei, inklusive der Grünen oder der CDU oder der SPD, ausschließen können. Und ich bin sogar sicher, Einschub, ich wundere mich auch immer, dass, wenn Sigmar Gabriel zwischendurch mal so blinkt oder wenn Herr Hermann anfängt, völkisch-nationalistisches Zeug zu erzählen, dass es diese Empörungswelle an der Stelle dann nicht so gibt. Aber von Linken erwartet man natürlich auch was anderes.
Dass wir solche Leute haben, will ich gar nicht ausschließen. Unsere Mitglieder engagieren sich in den Geflüchteten-Initiativen. Die stehen nicht davor und protestieren dagegen.
Deutschlandradio Kultur: Ist vielleicht Berlin auch irgendwie eine Blase? Weil, wenn man sich bundesweit anschaut, da stellt sich doch die Frage, zumindest mir: Wer braucht eigentlich noch Die Linke?
Klaus Lederer: Fragen Sie mal die Leute in Thüringen, wer Die Linke braucht. Oder fragen Sie die Leute in Rostock, wo Steffen Bockhahn als Sozialsenator derzeit versucht, unter ja nicht ganz einfachen Bedingungen eine funktionierende soziale Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Ich glaube, die Frage lässt sich so pauschal nicht beantworten.
Letztlich muss aber eine Linke selbst dafür sorgen, dass sie gebraucht wird. Und das heißt, praktische Angebote machen, Mut zu machen zu Veränderung, auch ein paar Ideen zu haben von Einwanderungspolitik über Politik öffentlicher Sicherheit bis hin eben auch zu wirtschaftspolitischen Fragen. Das ist natürlich unsere Aufgabe. Da wünsche ich mir mitunter noch eine lebendigere Partei, aber ich meine, es ist natürlich an uns selbst dafür zu sorgen, dass wir auch ausstrahlen – diese Lebendigkeit, diese Lust an der Beteiligung, am Mitmachen. Berlin hat natürlich mit seinem urbanen Milieu, es sind auch aufgrund der ganz spannenden Situation, dass hier eigentlich die deutsch-deutsche Vereinigung im Kleinen passiert zwischen Westberlin und Ostberlin. 25, 26 Jahre später redet davon keiner mehr, das ist ein ganz spannendes Labor. Ich würde nicht sagen eine Blase. Ich würde eher sagen ein Labor.
Und wenn es in Berlin gelingt, eine starke, eine streitbare, eine spannende Linke tatsächlich auch auf Dauer zu etablieren, na ja, warum soll das nicht in die Bundesebene ausstrahlen, genau wie vielleicht eine rot-rot-grüne Idee für Berlin dann auch mal auf die Bundesrepublik ausstrahlt?
Deutschlandradio Kultur: Schauen wir nochmal ganz kurz konkret auf Berlin, auf die Wahlen in Berlin in knapp eineinhalb Monaten. Die großen Themen sind Zuwanderung, Integration, soziale Gerechtigkeit, Bildung. Das LaGeSo, das Landesamt für Gesundheit und Soziales, ja eigentlich der Inbegriff für das Berliner Chaos im Umgang mit Flüchtlingen, das LaGeSo wurde diese Woche ersetzt durch das LAF, das "Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten". Statt 165 sind das nun 550 Mitarbeiter. Es gibt eine neue Leiterin. Das ist doch ein Schritt in die richtige Richtung.

"Da ist noch längst nicht alles in Ordnung"

Klaus Lederer: Also, zumindest ist nach anderthalb Jahren endlich auch im Senat klargeworden, dass diese Verhältnisse, wie wir sie dort erlebt haben, und dieses Nebeneinanderher her völlig unterschiedlicher Senatsverwaltungen absolut inakzeptabel ist und massive Probleme nach sich zieht.
Jetzt reicht es natürlich nicht aus, einfach ein paar Abteilungen in ein anderes Haus umziehen zu lassen und ein neues Schild draußen ranzuschrauben.
Ja, die Leute sitzen jetzt nicht mehr vorm LaGeSo, weil, da findet es nicht mehr statt. Aber sie sitzen nach wie vor in den Gängen der Verwaltungen und warten zum Teil sehr, sehr lange, bis die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, die ihnen zustehenden Leistungen ausreichen. Also, da ist noch längst nicht alles in Ordnung. Da muss noch eine ganze Menge getan werden. Aber natürlich ist es erstmal richtig, auch darüber nachzudenken, welche neuen Strukturen braucht man dafür.
Nun muss man mal gucken. Also, ich gebe Frau Langeheine eine Chance. Ich gebe auch diesem Flüchtlingsamt eine Chance. Aber was wir vor allem brauchen, ist eine Kooperation zwischen den Senatsverwaltungen: Inneres, Soziales, Integration, Gesundheit. Also in vielen Bereichen, auch Bildung, muss da gemeinsam kooperiert werden. Und in der Vergangenheit haben wir nur erlebt, dass sich diese Verwaltungen eher gegenseitig blockiert und bekämpft haben.
Deutschlandradio Kultur: Schauen wir nochmal auf das Thema Wohnungen. Berlin boomt und wächst, liegt mit seinen Mieten im bundesweiten Vergleich eigentlich sogar zurück. Die Mieten steigen trotzdem. Aber eigentlich könnte man sagen, für eine Metropole ja immer noch ganz angemessen.

"Die Entwicklung der Mieten ist natürlich beunruhigend"

Klaus Lederer: Also, die ziemlich exponentiale Entwicklung der Mieten ist insofern natürlich beunruhigend, als Berlin zwar Metropole, aber eben auch Hauptstadt der prekären Beschäftigung ist, auch Hartz-4-Hauptstadt ist. Also, die Einkommen halten nicht mit. Und wir haben derzeit die Situation, dass 57 Prozent der Berlinerinnen und Berliner Haushalte über ein Einkommen unter oder bis 1050 Euro monatlich verfügen. Menschen, die hier Transferleistungen bekommen, kriegen vom Staat zugestanden: 5,71 Euro pro Quadratmeter. Und der Senat hat jetzt angekündigt: Neubau von Wohnungen, von geförderten Wohnungen, 1600 im Jahr, also in den nächsten zehn Jahren 16.000 Wohnungen, mit einer Einstiegsmiete von 5,50 €. Da bleibt eine massive Differenz.
Wir haben ja auch einen Bauboom. Wenn wir hier rausgucken, sehen Sie ganz viele Kräne. Nur, was für Wohnungen werden da gebaut? Gestern kam der Atlas der Immobilienwirtschaft raus. Berlin ist eine hoch attraktive Kapitalanlage. Wer hier Wohnungen kaufen will und spekuliert darauf, dass sie in den nächsten Jahren an Wert gewinnen, der hat hier gute Aussichten.
Deutschlandradio Kultur: Was ist verkehrt daran?
Klaus Lederer: Na, in diese Wohnungen werden nie die Leute einziehen, die hier in Berlin leben und die hier drin Wohnraum brauchen, sondern solche Kapitalanlagen dienen in der Regel Spekulationszwecken, werden dann möglicherweise auch als Ferienwohnungen oder als Luxusobjekte vermietet, möglicherweise auch selbst bezogen. – Darum muss sich der Staat nicht kümmern. Aber wie wir es schaffen, den Anteil bezahlbaren Wohnraums in den nächsten Jahren massiv auszuweiten in der Stadt, das ist die Frage, die beantwortet werden muss. Der Senat hat sie derzeit nicht beantwortet.
Die Wohnungsbaugesellschaften sollen neu bauen, aber wie sie die Kosten stemmen, die mit einem solchen Neubau verbunden sind, die Frage hat der Senat unbeantwortet gelassen.
Das führt jetzt dazu, dass die Bestandsmieterinnen und Bestandsmieter über drastische Mieterhöhungen, auch im öffentlichen Wohnungssektor, diesen Wohnungsbau quer subventionieren. Das geht nicht.
Wir haben vorgeschlagen, und das Geld ist da, bei der letzten Haushaltsberatung hat die Koalition es abgelehnt, die Eigenkapitaldecke der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften zu stärken, damit wir langfristig in öffentlicher Regie bezahlbaren Wohnraum entwickeln und ausbauen können. Das ist, glaube ich, das Sinnvollste.
Deutschlandradio Kultur: Das Statistische Bundesamt meldete aber zum Beispiel auch, dass Ende 2015 ein Fünftel weniger Menschen Wohngeld als im Jahr zuvor bezogen haben. Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger nahm um 7000 im vergangenen Jahr ab. Es gibt so viele Jobs wie seit sieben Jahren nicht mehr. Es gibt doppelt so starkes Wachstum wie im deutschen Durchschnitt. Es läuft doch alles prima. – Warum wollen Sie das ändern?

"Wirtschaftliche Entwicklung voranbringen, sozialen Zusammenhalt stärken"

Klaus Lederer: Ach, das will ich gar nicht ändern. Ich habe nichts dagegen. Wir haben ja unter Rot-Rot hier in den zehn Jahren wirtschaftspolitisch überhaupt erst wieder begonnen, an den eigenen Potenzialen der Stadt anzuknüpfen – in der Verkehrswirtschaft, in der Gesundheitswirtschaft, in der Kulturwirtschaft. Ich will überhaupt nicht Wachstum abwürgen. Ich will überhaupt nicht Zukunftspotenziale nicht entwickeln. Doch, das machen wir alles.
Und trotzdem müssen wir die Frage beantworten: Wo sollen Menschen hier in der Stadt wohnen, die sich diesen Wohnraum, von dem wir vorhin geredet haben, nicht leisten können?
Und wir haben auch eine Studie, da kann ich sozusagen unsere Studie gegen Ihre legen, die ist jetzt zwei Monate alt, als Linksfraktion in Auftrag gegeben, die zu dem Ergebnis kommt: Es fehlt in Berlin derzeit an 150.000 Wohnungen in einem Marktsegment, wo Menschen mit niedrigen oder durchschnittlichen Einkommen einziehen können. Das sind die Fakten, die ich kenne. Und man muss beides tun: Wirtschaftliche Entwicklung voranbringen, sozialen Zusammenhalt stärken. Aber man muss auch an die Menschen denken, die sich einen Wohnraum im privaten Sektor zu Mietpreisen von zwölf Euro netto kalt nicht können leisten. Und das sind in Berlin einfach unglaublich viele.
Deutschlandradio Kultur: Der Wahlausgang dient als möglicher Test für alle Parteien, eigentlich auch auf Bundesebene, knapp ein Jahr vor der geplanten Bundestagswahl. Welche Koalitionen sind möglich? Sie haben es vorhin schon angesprochen. Träumen Sie schon von Rot-Rot-Grün?
Klaus Lederer: Wir haben jetzt eine schwarz-rote Koalition, die für fünf Jahre Stillstand verantwortlich ist und die, so man da mal genau hinguckt, eigentlich keinerlei Fortsetzungschance hat. Nicht nur, weil die Mehrheiten nicht stimmen, CDU und SPD hätten derzeit keine Mehrheit, sondern auch, weil die Parteien miteinander eigentlich nichts mehr verbindet, weder inhaltlich, noch im persönlichen Umgang miteinander. Das heißt, Schwarz-Rot ist tot.
Wenn wir uns jetzt überlegen, was sind mögliche Konstellationen nach Wahlumfragen, ich bin ja kein so großer Freund von Spekulationen…
Deutschlandradio Kultur: Es gibt immer noch die AfD. Die könnte mit der CDU zusammen koalieren.
Klaus Lederer: Die AfD erklärt ja in Berlin selbst, dass sie auf keinen Fall mit irgendwem koalieren will Sie versucht sich ja auch als quasi Antiallparteienkonstellation zu inszenieren. Und selbst die Berliner Union, trotz der einen oder anderen inhaltlichen Übereinstimmung, lehnt die Kooperation mit der AfD ja ab. Also, das ist eine hypothetische, aber keine reale Chance.
Übrig bleibt nach derzeitigem Stand eigentlich eine rot-rot-grüne Konstellation. Und je nach dem, ob die FDP reinkommt oder nicht, schwarz-grün-Zeugs…
Ich glaube, wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es passieren kann. Und ich hoffe, dass es inhaltlich geschieht und nicht, weil es keine Alternativen gibt.
Deutschlandradio Kultur: Herr Lederer, letzte Frage: Wird unter einer möglichen Regierungsbeteiligung der Linken der Berliner Flughafen endlich fertig?
Klaus Lederer: Na, das hoffe ich doch.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für das Gespräch und für den Besuch bei uns.
Klaus Lederer: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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