Klassische Verkörperung der kulturellen Opposition

Von Carsten Probst · 14.04.2011
Die Deutsche Guggenheim Berlin hat die marokkanische Künstlerin Yto Barrada zur Künstlerin des Jahres 2011 erklärt und ihr sogleich die Möglichkeit zu einer großen Ausstellung eingeräumt. Darin setzt sie sich mit der postkolonialen Geschichte ihrer Heimat auseinander.
Yto Barrada ist eine starke Persönlichkeit. Sie ist keine hoffnungsvolle Newcomerin für den Kunstmarkt, sondern hat sich seit Langem schon jenseits desselben für eine Kultur des Widerstands in ihrer Heimatstadt Tanger engagiert, in dessen Mittelpunkt das alte Cinema Rif, ein Kinopalast aus der Kolonialzeit steht, dessen Direktorin Yto Barrada inzwischen ist – neben oder vielmehr mit all ihrer eigenen künstlerischen Arbeit.

"Das Cinema Rif ist ein sehr besonderer Ort, es ist ein Arthouse-Kino mit eigenem Archiv. Wir zeigen die ersten bewegten Bilder aus Marokko aus dem Jahr 1945 und viele andere mehr hier in dieser Ausstellung. Das Kino ist ein gesellschaftlicher Treffpunkt, ein Ort für Entdeckungen, Debatten, nicht nur für Entertainment. Wir schmuggeln da Kultur hinein. Wir bringen Weltkino nach Marokko. In Marokko gibt es natürlich Fernsehen und DVDs, aber im Kino erlebt man Gemeinschaft. Künstler tauschen sich hier über ihre Projekte aus. Ich bin stolz, dass das Kino von Tanger inzwischen einer der wichtigsten Künstlertreffs in Marokko überhaupt geworden ist. Weil es nicht kommerziell ist, brauchen wir immer ein bisschen Hilfe."

Die Sprache des Films, der Collage von Medien, die Subtexte erfundener oder wahrer Geschichten durchzieht Barradas Ausstellung in Berlin. Von sich selbst sagt sie, dass sie auch in Collagen denke. Neben Projektionen historischer Filme, die sie aus Archiven ausgegraben hat, hängen großformatige Fotografien an den Wänden, oder Skulpturen stehen im Raum. Auf einer Holzkonstruktion kann man wie auf eine Balustrade steigen und von oben herabblicken auf die Ausstellung, als wäre man selbst hier in einem Kino.

Immer wieder nimmt man unterschiedliche Perspektiven auf das Ganze ein, das sich nie als einheitlicher Kosmos, sondern eher als politische Wunderkammer erweist, wie exemplarisch auch einer von Barradas neuesten Filmcollagen "Hand-me-downs".

"Es ist eine Collage von Erzählungen, auch Lügengeschichten, allesamt erzählt in der ersten Person, aber den Rest muss der Betrachter sich selber vorstellen. Einige der Geschichten finden Sie auch in der Posterserie am Eingang. Es gibt häufig Wiederholungen, zum Beispiel die stilisierte Palme hier, die aussieht, als stamme sie von einem Kinoeingang der Fünfziger Jahre – gleichzeitig ist sie ein Symbol des Exotischen, oder auch ein Symbol der Macht. Wenn Sie meinen kleinen 'Baumführer für Gärtner und Herrscher' lesen, ein kleines Buch, das ich für die Ausstellung hier zusammengestellt habe, dann sehen Sie zum Beispiel, dass eine Palme eine Menge unterschiedlicher Bedeutungen haben kann."

Keine Frage, Barradas Metier ist die politische Ikonografie, das Engagement für die Unterdrückten und Armen in ihrem Land. Sie ist eine klassische Verkörperung der kulturellen Opposition, die auch in Tunesien und Ägypten eine Rolle gespielt hat. Auf die Revolutionen in arabischen Staaten angesprochen weicht sie jedoch aus. Die Bewegungen seien noch zu fragil, zu empfindlich, sagt sie. Und auf die Frage, wie sie in ihrem Land rezipiert werde, antwortet sie, das sei der Grund, auf diese Fragen zurückhaltend zu antworten.

"Ja, natürlich gibt es Zensur. Aber mein Hauptproblem ist es, Geld zu beschaffen - privat, öffentlich, ganz egal. Denn unsere Angebote für diese Gemeinschaft rund um das Kino sind extrem wichtig."

Natürlich sind es diese aktuellen Ereignisse von Nordafrika, die Barradas Kür zur Künstlerin des Jahres durch die Guggenheim Foundation. Sie nutzt diese Bühne völlig zurecht, und ihre Ausstellung gibt einen beeindruckenden Einblick in eine kulturelle Szene, die den Europäern oft genug völlig unbekannt ist. Dennoch, aktuell war Barradas Arbeit auch schon vor zehn Jahren, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Barradas Projekte hier vor den Karren einer Imagekampagne gespannt werden, die eine große deutsche Bank in eigener Sache initiiert.

Barrada ist sich dessen bewusst, und so hat sie ihrerseits bei allen Geschichten rund um ihre Heimatstadt auch Europas Verantwortung zumindest symbolisch immer fest im Blick.

"Der geschichtliche Hintergrund ist sehr wichtig, auch wenn ihn hier vielleicht nur wenige kennen. Diese Ausstellung ist um historische Figuren herum gebaut. Zum Beispiel oben die überdimensionalen Bauklötze sind ein Kommentar zur französischen modernen Architektur und den Vorstadtsiedlungen in Casablanca, die für die einheimische Bevölkerung hochgezogen wurden. Le Corbusier hatte ein Projekt in Algier, und, kurz gesagt, diese einheitlichen Wohnblöcke wurden Vorbilder für die Einwanderer-Siedlungen in den Banlieues französischer Städte."

Service:
Die Ausstellung "Yto Barrada: Riffs" ist vom 15.4. bis 19.6. 2011 in der Deutschen Guggenheim Berlin zu sehen.