Klassik in der Krise?

Von Uwe Friedrich · 04.03.2010
Eine Langzeitstudie der Zeppelin University in Friedrichshafen hat ergeben, dass das Klassik-Publikum immer älter wird. Dennoch ist Alarmismus fehl am Platz.
Das Konzertpublikum ist älter geworden, das ist das Ergebnis einer neuen Studie. Ist das wirklich etwas Neues?

Selbstverständlich wird das Publikum älter, die gesamte Gesellschaft wird älter. Auch Erstgebärende werden immer älter. Schon in den 50er- und 60-er Jahren war das Konzertpublikum "älter", klassische Musik ist einfach eine Angelegenheit für gesetztere Semester, die sich Konzert- und Opernbesuche überhaupt leisten können. Und was soll so schlimm daran sein, wenn ältere Menschen ins Konzert gehen? Irgendwo müssen sie ja hin und in Clubs und Discos wären sie wohl deplatziert.

Unbestreitbar gibt es allerdings ein Nachwuchsproblem. Kinder und Jugendliche kriegen kaum noch Musikunterricht, gehen kaum ins Konzert. Was kann man da machen?

Es findet kaum noch Musikunterricht statt, und wer nicht totaler Überflieger ist, hat aufgrund der Schulzeitverkürzung und Ganztagsbeschulung überhaupt keine Zeit mehr für Instrumentalunterricht. Viele Orchester antworten darauf mit Jugendprojekten, aber die Orchester alleine können das Problem nicht lösen. Klassische Musik kann man natürlich einfach so genießen, aber wie bei Malerei und Literatur hat man mehr davon, wenn man die Erzählweisen, Strukturen und die Geschichte kennt. Dieses Verständnis muss man lernen.

Anspruchsvoll muss ja nicht unbedingt elitär heißen, populär muss nicht gleichbedeutend sein mit anspruchslosem Boulevard. Es sind schließlich durchaus neue Vermittlungsformen denkbar, die allerdings Fantasie und originelle Ideen erfordern. Wie innovationsfreudig sind denn unsere Kulturinstitutionen?

Das ist ganz unterschiedlich. Einige Orchester und Opernhäuser probieren durchaus Neues aus, manches ist erfolgreich, anderes nicht. Da ist natürlich auch viel Scharlatanerie dabei, besonders der Internetkrimskrams ist teilweise ganz ordinäre Ranschmeiße an ein jugendliches Publikum. Häufig zeigen sich auch die Verwaltungsapparate sehr unbeweglich, was neue Marketingkonzepte angeht. Konzertveranstalter sind häufig extrem konservativ und setzen noch immer auf die vermeintlich sichere Bank herkömmlicher Konzerte, obwohl schon eine abenteuerlustige Programmierung beispielsweise mit zeitgenössischer Musik zum Erfolg führen kann. Das Artemis-Quartett oder das auch Henschel-Quartett machen das in ihren Konzertreihen mit vermeintlich schwerer Kost immer wieder vor.

Zeitgenössische Musik gilt in den Konzertsälen noch immer als Abonnentenschreck, wieso ist gerade sie so populär bei einem jungen Publikum?

Meine Theorie: Bei diesen Kompositionen sind Strukturen und harmonische Verläufe nicht mehr so wichtig, in ihren Klangflächen eher der Technomusik ähnlich. Zeitgenössische Musik hat nicht mehr den Hang zum Gesamtkunstwerk und zur Überwältigungsästhetik, sondern bildet unser fragmentiertes Dasein ab. Ähnlich übrigens wie Barockmusik, die ebenfalls gerade einen Boom erlebt. Das Berliner Radialsystem schafft den Spagat zwischen intellektuellem Ansatz und "trendy location" und zieht ein junges "vergnügungssüchtiges" Publikum ebenso an wie Kenner.

Müssen wir uns Sorgen um die Zukunft der klassischen Musik machen?

Vielleicht sehen wir wirklich gerade das Ende des üblichen Konzerts, was ich eigentlich nicht glaube. Die Musik des 19. Jahrhunderts erfordert gewisse Riten und Orte, aber auch hier ändert sich das Rezeptionsverhalten. Einerseits ist es wichtig, den "Markenkern" der bürgerlichen Musik des 19. Jahrhunderts nicht zu verlieren, andererseits ist Angst vor Veränderung nie ein guter Ratgeber. Neue Vermittlungsformen können ein Weg sein, neues Publikum anzulocken, aber auch wenn unsere Kulturtempel untergehen, bin ich überzeugt, dass das nicht das Ende der Oper oder des Symphoniekonzerts sein wird. Und falls sie sich doch als nicht überlebensfähig erweist: Den Dinosauriern hat am Ende der Kreidezeit auch niemand hinterher geweint ... .