Klasse trotz Masse

Wie artgerecht kann Nutztierhaltung sein?

Ferkel drängen sich am im Ferkelaufzuchtbereich des Schweinezuchtbetriebes Seegers in Großenkneten (Niedersachsen).
Ferkel in einem niedersächsischen Ferkelaufzuchtbereich. © picture alliance / dpa
Moderation: Klaus Pokatzky · 23.01.2016
Einerseits stehen die Züchter unter immensem Druck, schon der Begriff "Massentierhaltung" gefällt den Verbrauchern nicht. Andererseits sind sie aber auch sehr sparsam und kaufen das billig hergestellte Fleisch. Wie unter diesen Umständen artgerechte Tierhaltung aussehen könnte, darüber diskutieren Agrarökonom Folkhard Isermeyer und der Schweinezüchter Peter Seeger mit unseren Hörern.
Ein Kilo Schweinebraten für 2,99 Euro, das Kilo Putenschnitzel für 3,19 Euro – viele Verbraucher greifen bei diesen Schnäppchenpreisen gern zu. Nur: Unter welchen Bedingungen wurde dieses Fleisch erzeugt? Wie wurden die Tiere gehalten? Ist eine artgerechte Nutztierhaltung – wie immer mehr Verbraucher fordern – angesichts solcher Preise überhaupt möglich? Immerhin verzehren die Deutschen statistisch gesehen pro Kopf 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr; Deutschland gehört zu den größten Fleischproduzenten weltweit. Gleichzeitig wären rund 80 Prozent in Umfragen bereit, höhere Preise für Fleisch und Wurst zu zahlen, wenn sie dadurch zu besseren Haltungsbedingungen der Tiere beitragen können.
Klasse trotz Masse – Wie artgerecht kann Nutztierhaltung sein?
"Solange die Verbraucher an der Ladentheke die freie Wahl haben, werden die meisten Menschen morgens billig einkaufen und sich dann abends vor dem Fernseher darüber entrüsten, dass die Fleischerzeugung so einseitig auf Kostenminimierung ausgerichtet ist", sagt Prof. Dr. Folkhard Isermeyer, Leiter des Thünen-Institut in Braunschweig; das Institut berät das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.
Seine Erfahrung: Appelle bringen nichts. "Wenn wir gesellschaftliche Ziele erreichen wollen, muss die Politik aktiv werden und die Spielregeln für Wirtschaft und Verbraucher ändern."
Der Agrarökonom plädiert für eine teilweise Umlenkung der Agrarsubventionen – immerhin fünf Milliarden Euro –, die bisher eher gießkannenmäßig verteilt worden sind. Diese müssten vom Acker in den Stall wandern, damit mehr Tierzüchter ihre Ställe artgerechter gestalten können. Und er fordert ein staatliches Tierschutzlabel, das eindeutig über Herkunft und Qualität des Fleisches informiert. "Dann gibt es – einfach gesprochen – Null-Sterne-Fleisch, Ein-Sterne-Fleisch, Zwei-Sterne-Fleisch. Und das schafft dann Ordnung."
"Tierwohl" ist eine Brancheninitiative
"Eine Wende funktioniert nur mit allen Bauern", sagt der Landwirt und Schweinezüchter Peter Seeger aus dem südhessischen Otzberg. Auf seinem Hof leben über 3000 Schweine: Sauen für die Ferkelzüchtung und Mastschweine für die Schlachtung. Als Großmäster ist seine Familie auch der Kritik von Tierschützern ausgesetzt; gleichzeitig haben sie die Erfahrung gemacht, dass die meisten Verbraucher gar nicht wissen, wie es in einem modern betriebenen Tierstall aussieht. Sie fühlen sich diffamiert durch Begriffe wie Massentierhaltung. "Die Bio-Betriebe haben einen Heiligenschein. Nur, die haben dieselben Probleme; sie haben genauso kranke Tiere wie wir auch – aber der konventionelle Bauer ist böse."
Er habe keine Angst vor der Konkurrenz der Bio-Betriebe. "Aber im Schweinebereich liegt der Bio-Anteil unter einem Prozent; wir haben leider den Riesentrend, dass unsere Bio-Produkte aus dem Ausland kommen. Würden allein die 15 Prozent Grünen-Wähler 'öko' einkaufen, wäre das supergeil. Aber selbst die kaufen es nicht – das ist die Realität!"
Die Seegers beteiligen sich an der Brancheninitiative "Tierwohl"; dabei zahlen die großen Einzelhandelsunternehmen wie Aldi und Edeka seit dem 1. Januar 2015 in einen Fonds ein – vier Cent pro verkauftem Kilo Fleisch. Tierhalter können sich bewerben und bekommen einen Zuschuss, wenn sie ihren Tieren beispielsweise mehr Platz im Stall zur Verfügung stellen, Spielmöglichkeiten und artgerechte Lichtverhältnisse. Die Seegers bemühen sich auch um Transparenz: Sie bieten regelmäßig Hofführungen an und haben die Initiative "Frag' den Landwirt" mit angestoßen. Kathrin Seeger bloggt regelmäßig aus dem Hofalltag. Ihr Motto: "Redet mit uns, statt über uns."

Wie artgerecht kann Nutztierhaltung sein? – Darüber diskutiert Klaus Pokatzky heute von 9:05 Uhr bis 11 Uhr mit Prof. Dr. Folkhard Isermeyer und Peter Seeger. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de sowie auf Facebook und Twitter.

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