Klangpostkarte aus einer düsteren Landschaft

Von Martina Seeber · 03.05.2012
"Greeting music ist ein sehr trauriges Stück. Es sollte aufgeführt werden, ohne dass sich auf den Gesichtern ein Ausdruck zeigt ... und der Körper sollte nur die notwendigsten Bewegungen ausführen ... die fünf Musiker sollen mehr wie Zombies aussehen. Das Stück hat etwas mit einer hoffnungslosen Welt zu tun, wo nichts mehr getan oder gefühlt wird." (Claude Vivier)
Es liegt etwas Makabres im Titel dieses Quintetts. Zombies haben keine Seele. Wie eine Klangpostkarte aus postkatastrophaler Erstarrung weht diese Musik der Untoten in den Konzertsaal herüber.

In eigentümlichem Gegensatz zur gespenstischen Szene beginnt "Greeting music" mit einem traumverloren langen Klaviersolo. Aus den suchenden Tonrepetitionen entwickeln sich die Ansätze einer einsamen Melodie. Die vier anderen Musiker des Quintetts nehmen erst später ihre Plätze ein, auch das geschieht einzeln, wie ferngesteuert und ohne emotionalen Austausch mit den anderen.

Die Einsamkeit ist eines der Themen, die das gesamte Schaffen des früh verstorbenen Kanadiers durchziehen. Sein Werk handelt von der Sehnsucht des Individuums nach Gemeinschaft, Liebe und Erlösung und – wie unter Zwang – immer auch vom Tod.

Claude Vivier, der seine leiblichen Eltern nie kennengelernt hat, wurde 1948 in Montréal geboren und kam im Alter von zwei Jahren in eine Adoptivfamilie. Man hielt ihn zunächst für taubstumm, denn erst mit sechs Jahren begann er zu sprechen. Später wollte er Priester werden, er musste das Seminar aber aus "Mangel an Reife" verlassen. Daraufhin entschied sich Vivier für die Musik, für eine geradezu radikale Subjektivität und bekannte sich auch zu seiner Homosexualität. Seine Musik, ob vokal oder instrumental, sagt immer "ich". Es gibt wenige Komponisten seiner Generation, die sich bedingungsloser dem Gefühlsausdruck verschrieben haben.

In "Greeting music" findet sich an der klanglichen Oberfläche allerdings nichts von alledem. Der optischen Gefühlsstarre steht eine Musik gegenüber, die sich dunkel und langsam, wie unter Anstrengung, vorwärts tastet. Nur allmählich formulieren die Stimmen eine schleppende, in Wiederholungen gefangene, Melodie. Es ist eine Musik, deren Traurigkeit aus dem Unvermögen zu trauern entsteht. In dieser gespenstischen Landschaft klingt jede Glocke wie eine Totenglocke, selbst Vogelrufe verlieren ihre Vitalität – ebenso das unvermittelte Lachen eines Instrumentalisten, das einmal mehr darauf verweist, dass es sich bei "Greeting music" um eine latent theatralische Kammermusik handelt.


Ferne Welten - Das Ensemble Laboratorium und der Dirigent Manuel Nawri
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