Kirche zur Debatte um Atommüll

"Schwierigster Konflikt der letzten Jahrzehnte"

In Schacht Konrad in Salzgitter dürfen in rund 1200 Meter Tiefe 303 000 Kubikmeter Atommüll von geringer Wärmeentwicklung entsorgt werden. Es ist bislang das einzige Endlager in Deutschland.
Auch im Schacht Konrad in Salzgitter darf Atommüll entsorgt werden. Doch viele Bürger fürchten um ihre Sicherheit. © picture alliance / dpa - Julian Stratenschulte
Ralf Meister im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 29.04.2016
Im Entscheidungsprozess um Atommüll-Endlager führe kein Weg an einem "Nationalen Gremium" vorbei, das die Sorgen der Bürger ernst nehme, meint der hannoversche Landesbischof Ralf Meister. Der Kirche komme dabei eine Vermittler-Rolle zu.
Liane von Billerbeck: Wo soll es hin, das strahlende Dreckzeug, dieser ganze Atommüll, den keiner haben will, niemand und nirgends? Danach wird gesucht und die Endlagerkommission des Bundestages will dabei helfen, auch indem sie die Öffentlichkeit beteiligt. Und für die Evangelische Kirche Deutschlands sitzt Ralf Meister in dieser Kommission. Er ist der Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Ralf Meister: Guten Morgen, ich grüße Sie!
von Billerbeck: Heute gibt es ja im Entwurf die Konsultationen zum Endlagerbericht Ihrer Kommission. Was erhoffen Sie sich davon?
Meister: Wir erhoffen uns offene, ehrliche Rückmeldung. Also, ein Teil dieser Kommissionsarbeit ist eben auch darin zu sehen, dass es schon, während diese 33 Mitglieder der Kommission arbeiten, es Beteiligungsformen gibt und Menschen, die betroffen sind oder auch nicht betroffen sind, Stellungnahmen abgeben können. Die können sich einmischen. Und wir haben einen Teil des Berichts ja im Netz und diskutieren nun kurz vor Abschluss der Arbeit noch einmal mit vielen Menschen darüber: Stimmt die Richtung? Was sind vielleicht auch Details, an denen man noch korrigieren muss?
von Billerbeck: Sie werben ja als Kommission für eine dauerhafte Beteiligung der Öffentlichkeit, auch im Hinblick auf die Endlagersuche, und damit für eine Art nationales Begleitgremium. Wer bitte soll das sein, wie soll dieses Gremium arbeiten?

"Vergleichbar mit einem Ethikrat"

Meister: Das ist, muss man ehrlicherweise sagen, zurzeit noch ein umstrittener Punkt. Dass es ein nationales Begleitgremium geben soll, steht schon in dem Standortauswahlgesetz. Also, das ist sozusagen gesetzlich schon eine Vorgabe. Und nun entsteht natürlich die Frage, welche Möglichkeiten, welche Rechte hat solches Gremium? Und meine Vorstellung ist schon, dass es eher vergleichbar – ganz vorsichtig mal gesagt – mit einem Ethikrat verglichen werden kann. Das heißt, dass dort Menschen mit einer öffentlichen Reputation sitzen, die in einem der zentralen, vielleicht sogar der schwierigsten Konflikte unserer Gesellschaft der letzten Jahrzehnte vermittelnd eingreifen können, eingreifen können, wenn keine Bürgerbeteiligung stattfindet oder nicht ausreichend stattfindet, wenn Streit auftaucht und die dann die Möglichkeit haben, Konflikte zu schlichten. Aber wie das im Detail aussieht, genau darüber beraten wir zurzeit noch.
von Billerbeck: Bei dem Thema Atommülllagerung oder Endlagerung, wie wir immer sagen, da besteht ja bei den meisten in der Öffentlichkeit vor allem der Gedanke: Herr, lass diesen Kelch an mir vorüberziehen. Oder anders gefragt: Was kann denn die Öffentlichkeit leisten außer "Bleib mir vom Leibe mit dem Zeug!"?

"Es wird Konflikte und Auseinandersetzungen geben"

Meister: Ich glaube, das ist genau die richtige Frage, die Sie stellen. Die Illusion, es würde jetzt ein Verfahren geben, auch mit intensiver öffentlicher Bürgerbeteiligung, das ohne Konflikt geht und ohne diese Grundreserve, "Not in my backyard!", also "Nicht bei mir!", diese Illusion ist, glaube ich, tatsächlich eine Illusion. Also, es wird Konflikte geben und es wird auch Auseinandersetzungen geben. Und was gewährleistet sein muss, glaube ich, ist ein extrem transparentes und faires Verfahren. Viele Menschen, eigentlich jeder, der will, müsste möglichst zu jedem Zeitpunkt wissen: Woran wird gearbeitet, was sind die Kriterien, nach denen gearbeitet wird? Wer ist beteiligt und welche Möglichkeiten habe ich selbst als betroffener Bürger, zu intervenieren, Information zu bekommen, mitzusprechen? Und je fairer, je offener dieses Verfahren ist, glaube ich, umso weniger Konflikte werden wir bekommen.
von Billerbeck: Es geht ja bei dieser Lagerung von Atommüll auch noch um ganz andere Fragen, nämlich fast philosophische: Es können sich ja auch die Umstände ändern, unter denen Atommüll gelagert wird. Also einmal was den Wissensstand angeht und die Geologie, aber auch was die politischen Machtverhältnisse betrifft. Wie reagiert man denn auf so was?

"Die mit Ewigkeit Erfahrungen haben, sind die Kirchen"

Meister: Ja, es gibt ja manchmal die Frage: Was machen die Kirchen da eigentlich in so einer Kommission? Das sind ja nun keine Geophysiker und in der Regel auch keine Politikwissenschaftler. Und ich sage manchmal halb scherzhaft: Die Einzigen, die mit Ewigkeit ein paar Erfahrungen haben, das sind die Kirchen. Wir reden ja über Kontingenz, wir reden sozusagen über die Geschichte des Zufalls, der auch auf uns zukommt. Wir wissen nicht, was für politische Gemeinwesen wir in zehn Generationen haben. Und wir reden über einen Zeitraum von vielen Hunderttausend Jahren. Wir wissen nicht, wie der Wissensstand sein wird in vielen Zehntausend Jahren und wie dann die Erde aussieht. Und ich glaube, in eine Solche Situation verlässlich heute Möglichkeiten einzubauen, dass auch die kommenden Generationen Freiheit haben zu entscheiden, ist ein wichtiger Punkt. Und das hat die Kommission auch weitestgehend entschieden – zum Beispiel Ausdruck darin findet, dass es eine Rückholbarkeit geben muss. Also, die Entscheidungen, die jetzt bei der Endlagerung gefällt werden, sind nicht, möglichst kurzfristig alles endgültig zu verschließen, sondern für die nächsten hundert Jahre auch noch Rückholmöglichkeiten einordnen zu können.
von Billerbeck: Das heißt, Theologen helfen dabei, die richtige Gesteinsformation zu finden?

"Für Fairness und Gerechtigkeit in diesem Verfahren sorgen"

Meister: Nein, das genau nicht. Dann wären wir eben die besseren Geophysiker, Bergbautechniker oder anderes. Ich glaube, die wichtige Funktion ist schon, für Fairness und Gerechtigkeit in diesem Verfahren zu sorgen. Und ich würde auch ganz zurückhaltend sagen, auch an manchen Stellen einmal über das Menschenbild nachzudenken, den Freiheitscharakter des Menschenbilds, und Möglichkeiten, einen fairen gesellschaftlichen Prozess zu organisieren. Das ist, glaube ich, die Berechtigung, dass man sagt, auch die Kirche als relevante gesellschaftliche Gruppe darf in einer solchen Kommission mitarbeiten.
von Billerbeck: Ralf Meister sagt das, Landesbischof der Evangelischen Kirche Hannover und Vertreter der EKD in der Endlagerkommission. Heute gibt es Konsultationen über den Entwurf des Endlagerberichts. Herr Meister, ich danke Ihnen!
Meister: Einen schönen Tag!
von Billerbeck: Den wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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