"Kirche von unten" über Familiensynode in Rom

Mehr Spielräume, aber keine Reformen

Vier Bischöfe auf dem Weg zur Familiensynode im Vatikan
Uwe-Karsten Plisch: "Je kleiner das Ergebnis, desto größer war vermutlich die Kontroverse." Vier Bischöfe auf dem Weg zur Familiensynode im Vatikan. © dpa / picture alliance / Fabio Frustaci / Eidon
Uwe-Karsten Plisch im Gespräch mit Dieter Kassel · 26.10.2015
Lange saßen die Bischöfe in Rom zusammen, die Ergebnisse werden von vielen als dürftig empfunden. Auch Uwe-Karsten Plisch von der Initiative "Kirche von unten" kann den Empfehlungen der Familiensynode kaum etwas abgewinnen.
Die Initiative "Kirche von unten" ist von den Ergebnissen der Bischofssynode in Rom enttäuscht. Im Deutschlandradio Kultur sagte Uwe-Karsten Plisch von der Initiative, es werde sich wohl wenig ändern. Einzelfallprüfungen für wiederverheiratete Geschiedene erhöhten die Spielräume – diese könnten jederzeit aber auch wieder verengt werden. Die Synode hatte sich unter anderem mit der Frage befasst, wie wiederverheiratete Geschiedene wieder stärker in die christliche Gemeinschaft integriert werden können. Dass die Frage des Umgangs mit Homosexuellen nur am Rande vorgekommen sei, beurteilte Plisch als "nicht überraschend" und verwies auf einen polnischen Priester, der sich kurz vor der Synode geoutet hatte. Die Synode in Rom hatte sich für eine vorsichtige Öffnung ausgesprochen, ohne aber echte Reformen anzustoßen. Wiederverheiratete Geschiedene dürfen hoffen: So könnte die Zulassung zur Kommunion künftig von Einzelfallprüfungen durch Priester abhängen.

Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Drei Wochen saßen 265 Bischöfe aus der ganzen Welt in Rom zusammen, um über die Zukunft der katholischen Familienlehre zu verhandeln. Es gab 90 offizielle und Dutzende inoffizielle Sitzungsrunden. Vorher gegangen waren dem Ganzen weitere Treffen und zwei weltweite Umfragen unter vielen Hunderttausend Katholiken.
Und das Ergebnis, das ist ein 33-seitiges Abschlussdokument, das zum Beispiel der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz als Erfolg und als positiven Input bezeichnet hat, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend aber als teilweise enttäuschend.
Wir wollen jetzt fragen, was die Initiative Kirche von unten dazu sagt, und wir werden das erfahren von Uwe-Karsten Plisch von der Initiative Kirche von unten. Schönen guten Morgen, Herr Plisch!
Uwe-Karsten Plisch: Guten Morgen!
Kassel: Ist das in etwa das Ergebnis, das Sie auch erwartet hatten?
Das Ergebnis: Es bleibt alles wie es ist - mit ein bisschen Bewegung am Rand
Plisch: Ja, leider ja. Ich saß am Samstagabend mit einem befreundeten Theologen zusammen, und wir haben so kurz vor der Bekanntgabe mal scherzhaft Prognosen abgegeben. Er sagte, man wird auf die Geschiedenen zugehen, ich sagte Einzelfallprüfung, und so ist es dann auch gekommen.
Kassel: Das heißt, man kann das so interpretieren, dass jetzt auf den 33 Seiten im Wesentlichen steht, die eigentliche katholische Familienlehre bleibt unverändert, aber individuelle Ausnahmen und Sonderregelungen sind auch unverändert prinzipiell möglich?
Plisch: So könnte man das zusammenfassen, ja.
Kassel: Wird sich denn dann für Katholiken in Deutschland überhaupt irgendetwas ändern?
Plisch: Eher wenig. Wenn man überhaupt etwas Positives an dem Papier finden will, ist, dass Einzelfallprüfung natürlich Spielräume eröffnet, die man auch jederzeit wieder verengen kann. Das war aber genau genommen vorher auch schon so. Und es hängt eben immer sehr daran, mit welchem Priester Sie zu tun haben. Haben Sie einen guten, gibt es mehr Spielraum, haben Sie einen eher konservativen Hardliner, dann wird es schwierig.
Kassel: Das heißt, es kann auch weiterhin sein, dass bei einer Gemeinde in der Innenstadt zum Beispiel mit wiederverheirateten Geschiedenen völlig anders umgegangen wird als in der südlichen Vorstadt?
Plisch: Durchaus, ja.
Kassel: Nun kann man immer diese Glas-halb-voll-/Glas-halb-leer-Geschichte machen, auch bei dieser Überlegung. Immerhin sagt dieses Dokument, und der Papst hat das ja auch noch mal betont gestern bei dem, was er dazu gesagt hat, diese Ausnahmen sind wichtig und möglich, man muss jeden Fall als einzelnen Fall sehen.
Auf der anderen Seite heißt das ja aber auch, wenn ein Pfarrer das sehr individuell sieht, kann er theoretisch ja vom Vatikan auch wieder zurückgepfiffen werden, auch in Zukunft.
Plisch: Ganz genau. Wie gesagt, es öffnet Spielräume auf allen Seiten, die man jederzeit auch verengen kann.
Kassel: Mir scheint aber auch, dass es eigentlich doch bei dieser dreiwöchigen Synode und auch den ganzen Vorbereitungstreffen um mehr hätte gehen sollen als nur die Frage des Umgangs mit geschiedenen Katholiken. Aber in dem ganzen Papier kommt ja zum Beispiel die Frage des Umgangs mit Homosexuellen nur am Rande vor.
Wenn Bischöfe über wiederverheiratete Geschiedene reden, reden sie über Andere
Plisch: Ja. Das ist nicht überraschend, mal abgesehen davon, dass sich ja ein Kurienkollege auch kurz vor der Synode ja auch noch geoutet hat, was die Neigung, sich mit dem Thema zu befassen, vermutlich nicht gestärkt hat.
Aber wenn fast 300 Bischöfe über wiederverheiratete Geschiedene reden, dann reden sie ja erst mal grundsätzlich über Andere, denn keiner der Bischöfe ist ein wiederverheirateter Geschiedener, ihn betrifft das nicht. Das ist immer leichter. Wenn man natürlich über den Umgang mit Homosexuellen reden will, dann redet man über sich selbst. Und dann tut es weh, und dann geht es ans Eingemachte.
Kassel: Glauben Sie denn, geredet wurde zumindest darüber? Ich meine, es steht in dem Dokument nichts drin, aber sie hatten ja genug Zeit. Ich habe erwähnt, 90 Treffen – es wurde schon drüber geredet, oder?
Plisch: Das glaube ich auch. Wenn man vielleicht etwas Positives aus dem Ergebnis ziehen möchte, kann man sagen, je kleiner das Ergebnis, desto größer war vermutlich die Kontroverse. Denn es gehört ja zum Wesen solcher geschlossener Systeme, dass sie nach außen hin Geschlossenheit demonstrieren wollen, das heißt, es wird am Ende nur abgestimmt, was konsensfähig ist. Und das war eben wenig, was man mit Zweidrittelmehrheit durchwinken kann. Das war ja dann am Ende sicher keine Überraschung, das wird man vorher getestet haben. Das heißt, über alles andere wird es schon ganz schön gerumst haben, und darüber erfährt man dann natürlich nichts.
Kassel: Aber zeigt nicht dieses Ergebnis auch eines, nämlich, dass die katholische Weltkirche so groß ist und dass unsere Welt gerade jetzt, vielleicht mehr als je zuvor so unterschiedlich ist, dass eine wirklich gemeinsame Familienlehre für alle katholischen Gemeinden auf dieser Erde sich eigentlich gar nicht finden lässt?
Kaum möglich: Eine katholische Familienlehre für alle Gemeinden weltweit
Plisch: Das wird so sein, weil die individuellen Rahmenbedingungen in den diversen Weltregionen natürlich sehr unterschiedlich sind. Und wenn ein, was weiß ich, europäischer Reformer die Abschaffung des Zölibats fordern würde zum Beispiel, dann würden wir ihn sogleich nolens volens als Progressiven eintakten. Und wenn dann ein nigerianischer Bischof vehement widersprechen würde, würden wir ihn als konservativ wahrnehmen. Aber das trifft es natürlich vielleicht auch gar nicht.
In vielen Ländern steht ja Homosexualität unter Strafe nach wie vor, und dann bietet der Zölibat für schwule Priester natürlich auch einen Schutzraum, das hat sich historisch so entwickelt. Das heißt, ein Konservativer oder vermeintlich Konservativer, der dann widerspricht, schützt im Grunde auch nur seine Leute. Diese Rahmenbedingungen muss man sicherlich im Blick haben in einer ausdifferenzierten Welt.
Kassel: Was aber auch heißt, das Ganze bleibt in manchen Punkten eine relativ verlogene Geschichte, oder?
Plisch: Ja, sowieso. Bei dem Kurienpriester, der sich kurz vorher geoutet hat, war ja das Problem auch nicht, dass er schwul war, das sind viele andere auch. Das Problem war auch nicht, dass er sein Gelübde gebrochen hat, das machen viele andere auch, auch heterosexuelle Priester, sondern dass er öffentlich gemacht hat.
Das ist immer das, was ich am Katholizismus auch am wenigsten verstehe, dass die Sünde, die im Verborgenen geschieht, irgendwie weniger schlimm ist als die, die öffentlich gemacht wird. Dabei steht eigentlich schon im Johannes-Evangelium, die Wahrheit wird euch frei machen. Und bei Matthäus heißt es, es gibt nichts Verborgenes, das nicht offenbar werden wird. Also, ab und zu mal sich Jesus Worte zu Herzen zu nehmen, könnte auch schon helfen beim Herangehen an diese Probleme.
Kassel: Aber dazu rät ja regelmäßig Papst Franziskus. Diese Worte ernst nehmen, aber auch im Herzen bewegen, Barmherzigkeit ist einer seiner Lieblingsbegriffe. Wie steht denn der Papst jetzt eigentlich da nach dieser Synode? Dazu habe ich auch völlig gegenteilige Urteile schon gehört. Die einen sagen, er hat als Reformer gewonnen, und die anderen sagen, er ist jetzt als Reformer deutlich geschwächt worden. Wie sehen Sie das?
Alte Männer beraten - einen weiteren alten Mann
Plisch: Das Kuriose an der ganzen Veranstaltung ist ja, dass diese Synode gar keine Ergebnisse präsentiert, gar keine Beschlüsse fasst, sondern tatsächlich nur Empfehlungen an den einen alten Mann an der Spitze gibt, der dann das Ganze in kirchenrechtliche Dinge fassen muss. Also wieder: Alte Männer beraten und geben dann einem alten Mann eine Empfehlung. Das ist ja eigentlich ein etwas bizarres Verfahren, wenn man mal ganz von außen drauf guckt.
Und wenn der eine Mann an der Spitze ein Guter ist, dann kann er vielleicht den Spielraum an der Spitze stärker nutzen, aber er wird auch nicht weit über das hinausgehen können, was innerhalb der Synode Konsens gewesen ist.
Ehrlich gesagt, ich weiß auch nicht so genau bis heute, wo der Papst eigentlich hin will. Er kommt unglaublich menschlich und sympathisch rüber, ist aber, glaube ich, vom Herkommen auch ein eher Konservativer. Und das macht mich immer ein bisschen ratlos.
Kassel: Tja. Da sind Sie nicht der einzige, nicht nur, wenn es um den Papst geht. Uwe-Karsten Plisch war das von der Initiative Kirche von unten, über das Ergebnis der Bischofssynode zur katholischen Familienlehre, das man unterschiedlich interpretieren kann und das, sagen wir mal, auch unterschiedliche Erwartungen ermöglicht, was die Zukunft angeht. Herr Plisch, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Plisch: Ich danke Ihnen!
Kassel: Schönen Tag noch!
Plisch: Danke. Tschüs!
Kassel: Tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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