Kinofilm "Nichts passiert"

Der Mann, das konfliktscheue Wesen

Der Schauspieler Devid Striesow kommt am 15.01.2016 zur Verleihung des Bayerischen Filmpreises im Prinzregententheater in München (Bayern). Der Bayerische Filmpreis ist eine der begehrtesten und renommiertesten Preise der deutschen Filmbranche. Foto: Ursula Düren/dpa
Der Schauspieler Devid Striesow am 15.01.2016 bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises in München © picture alliance / dpa / Ursula Düren
Devid Striesow im Gespräch mit Susanne Burg · 06.02.2016
In Micha Lewinskys neuem Film "Nichts passiert" spielt Devid Striesow einen harmoniesüchtigen Familienvater. Er tut alles, um das Aufbrechen von Konflikten zu verhindern - und erreicht das Gegenteil. "Für mich ist er von Anfang an Täter", sagt Striesow.
Devid Striesow ist einer der viel beschäftigtsten Schauspieler Deutschlands: Gerade erst lief "Ich bin dann mal weg" im Kino, die Verfilmung des Hape-Kerkeling-Bestsellers, in dem Striesow die Hauptrolle spielte und dafür viel Lob bekam, nun kommt ein weiterer Film mit ihm in die Kinos: "Nichts Passiert" des Schweizer Regisseurs Micha Lewinsky. Ein Spielfilm über eine Familienreise, die gründlich schief geht.
((Filmausschnitt))
Susanne Burg: Ein Ausschnitt aus dem Film "Nichts Passiert". Und in einem Studio in München begrüße ich jetzt den Schauspieler Devid Striesow. Herzlich willkommen!
Devid Striesow: Danke schön! Hallo!
Einem Mann beim Scheitern zuschauen
Burg: Die Ausgangssituation in dem Film ist ja, Sie sitzen als Thomas in einer Therapiestunde und erzählen der Therapeutin, dass Sie ein ganz normaler Mann sind, keiner, um den man sich Sorgen machen muss und so weiter. Man ahnt schon als Zuschauer, dass das wohl so nicht ganz stimmen kann. Warum sollte man sich aus Ihrer Sicht um Thomas doch Sorgen machen?
Striesow: Also, an der Stelle sollte man sich erst mal keine Sorgen machen, da sollte man sich freuen, dass man noch 90 Minuten vor sich hat, wo was passiert, auch wenn der Titel "Nichts passiert" heißt. Ich will nicht zu viel verraten, aber es ist wirklich das Gegenteil der Fall.
Es wird in den darauf folgenden 90 Minuten einiges los sein, es wird für einige auch nicht glimpflich ausgehen. Man ist eingeladen, einfach voyeuristisch in schönster Form dem Scheitern eines Mannes zuzuschauen, der versucht, mit allen Mitteln das, was er für Glück hält, zusammenzuhalten und dabei etwas betriebsblind zu übersehen, dass es dieses, was er zusammenzuhalten sucht, dass es das schon lange nicht mehr gibt – das Gefühl habe ich.
"Erotik ist auch null"
Burg: Wir wollen nicht zu viel verraten, aber ich glaube, so viel dürfen wir verraten: dass er mit seiner Familie in den Skiurlaub in die Schweiz aufbricht, eigentlich hat keiner so richtig Lust, dann kommt auch noch die ...
Striesow: Er schon.
Burg: Er schon, genau.
Striesow: Ist aber der Einzige.
Burg: Genau, aber weder die Tochter noch die Frau, und dann kommt auch noch die Tochter des Chefs mit. Eigentlich versteht sich keiner mit keinem...
Striesow: Erotik ist auch null.
Burg: Ja, genau.
Striesow: Zwischen den Ehepartnern gibt es keine große ...
Mann ohne Rückgrat
Burg: Und das große Problem, was sich schnell rausstellt, ist, dass Thomas eigentlich, ja, kein Rückgrat hat und zu allem so ein bisschen Ja sagt, er will niemandem wirklich wehtun, es allen recht machen. Das führt dann zu Konflikten. Der Regisseur Micha Lewinsky hat gesagt, er wurde viel darauf angesprochen, dass das ja eine sehr männliche Charaktereigenschaft sei, dass man eben niemandem wehtun will, zu allem Ja sagt. Sie als Mann, wie viel identifizieren Sie sich mit der Figur?
Striesow: Na ja, ich habe das Gefühl, man versucht schon, immer so ein bisschen die Dinge körperlich zu lösen. Man denkt, wenn man dann was bewegt hat, also wenn sich was bewegt hat, so auf dem praktischen Sektor, dann sind damit die Probleme gelöst und überstanden.
Aber die Probleme sind nicht überstanden, weil man es einfach im Kopf lösen muss und für sich Entscheidungen treffen muss, auch an Stellen, wo es in dem Moment zwar manchmal schwerfällt, weil es hart ist, aber langfristig oder mittelfristig gesehen ist es denn auch eine Lösung. Thomas findet keine Lösung für sich und für die anderen schon gar nicht. Für die anderen ist es ja noch brutaler, was er da versucht zu schützen und untern Tisch zu kehren.
Lavieren, um die Kontrolle zu behalten
Burg: Genau, es geht ja solange gut, wie das Leben normal weitergeht, aber es kommt dann eben ein Konflikt: Der Tochter des Chefs passiert was, sie will aber nicht zur Polizei gehen, und Thomas geht mit und verstrickt sich dann immer mehr in Lügen. Ab welchem Punkt kippt es für Sie, wann wird aus diesem netten Mitwisser, der es gut meint und alles deckt, dann auch ein Täter?
Striesow: Na ja, wenn man genau sein will, wird er schon zum Täter nach der ersten Nacht dort in der Schweiz in dem Urlaubsort. Er ist ja sich lange selber nicht schlüssig, welche Handlung als Nächstes zu folgen hätte. Er macht das ja immer an den Reaktionen seines Gegenübers ein bisschen fest, um auszutarieren, wie er jetzt am besten laviert, damit die Geschichte an der Stelle nicht außer Kontrolle gerät. Und dabei gerät sie natürlich immer mehr außer Kontrolle, bis er sogar das in Kauf nimmt, was lebensbedrohlich wird.
Das ist ja das Perfide an der ganzen Geschichte, darum ist er für mich von Anfang an ein Täter. Ich kenne aber den Film, ich habe den Charakter ja selber gespielt, ich weiß ja, wohin die Reise geht. Für mich ist er von Anfang an Täter, und so ein Typ gehört irgendwie betreut, also dem dürfen keine minderjährigen Menschen anvertraut werden, finde ich.
Burg: Insofern hätte er doch bei seiner Therapeutin bleiben sollen.
Striesow: Er hätte das Ding erst mal richtig ... Ja, er sagt ja schon am Anfang, er ist ein netter Mann, da sollte man schon hellhörig werden, wenn er selber der Meinung ist, er ist austherapiert und darf auf die Menschheit losgelassen werden. Ich würde dem nicht mal einen Schnürsenkel abkaufen.
"Eine große Freude, solche Charaktere zu spielen"
Burg: Der ist ja so sanft und gleichzeitig so brutal. Wie schwierig war es für Sie, ihn glaubhaft zu verkörpern? Er ist ja irgendwie unsympathisch letztlich, und doch fühlt man ja auch mit ihm.
Striesow: Weil er in allem so für sich den Sonnenschein des Lebens sieht. Er ist ja erst mal eine positive Figur – wenn er da so sitzt und lächelt und meint, alles im Griff zu haben, und auch das Publikum meint es für einen Moment, er hat alles im Griff. Aber schon das Beladen des Autos ist ja schon ein Hinweis darauf, wie gut er alles im Griff hat. Und die Beziehung ist ja auch ziemlich schnell entlarvt, wie die beiden zueinander stehen, und wie die Beziehung so läuft, das sieht der Zuschauer ja ziemlich schnell.
Es ist immer eine große Freude, solche Charaktere zu spielen. Ich erinnere auch an den Matratzenverkäufer im Film "Lichter", der auch immer davon sprach, dass er noch die Projekte hat und die Projekte, und das läuft alles, und er hatte ganz viel Ideen und so. Und dann guckt man hinter die Fassade, und er schläft ganz armselig in seinem Matratzenlager und keiner gibt ihm mehr Geld, er hat hohe Schulden. Und so sieht die Realität aus.
Schadenfreude gegenüber der Filmfigur
Es gibt ganz, ganz viele Leute, die meinen, es im Griff zu haben, und es eben nicht im Griff haben. Das macht dem Schauspieler große Freude, diese Ambivalenz zu spielen. Das hat mir große Freude gemacht beim Buchlesen – es ist auch ein bisschen Schadenfreude, muss ich sagen, die ich habe, wenn ich jetzt so einen Charakter spiele.
Burg: Schadenfreude, wie meinen Sie das?
Striesow: Ich will ihn als Schauspieler natürlich in die Katastrophe laufen lassen. Ich will ja nicht auf der Straße den Menschen, dem ich das ansehe, dass er ähnlich tickt, den will ich ja nicht in die Katastrophe laufen lassen. Aber im Film muss das ja in die Katastrophe laufen, das ist ja der Film. Und darum bin ich ein bisschen Voyeur, wenn ich als Schauspieler ein Bein so daneben habe und immer so von außen draufgucke.
Burg: Wenn, dann schon richtig.
Striesow: Auf jeden Fall, mehr als richtig.
"Schauspielen ist ein ganzkörperlicher Vorgang"
Burg: Sie sind ja gerade überall wieder präsent – im Film "Ich bin dann mal weg" haben Sie Hape Kerkeling gespielt, vor zwei Wochen lief der "Tatort" aus Saarbrücken, jetzt nun "Nichts passiert". In allen Filmen gibt es im Spiel, finde ich, so eine Ähnlichkeit: Sie haben eine sehr körperliche Art zu spielen, also man hat nie das Gefühl, Sie lernen Dialoge auswendig, und die kommen dann aus dem Kopf heraus, sondern die kommen immer aus dem Körper heraus. Wie wichtig ist Ihnen diese Körperlichkeit im Spielen?
Striesow: Spielen ist ein ganzkörperlicher Vorgang, das hängt nicht nur mit dem Theater zusammen, sondern der Anfang jeder schauspielerischen Handlung beginnt im Kopf. Im Kopf beginnt die Figur, im Kopf beginnt das andere Denken, darum ist eigentlich der Großteil der schauspielerischen Arbeit für mich, bevor der Dreh beginnt.
Das heißt, ich lese das Buch, ich beschäftige mich mit der Figur, ich versuche, so viel wie möglich Fantasie zu mobilisieren, in langen Spaziergängen oder auch an Abenden mich mit der Figur zu beschäftigen, ohne dass ich es jetzt aktiv tue, mich hinsetze und mir einen Zettel nehme und Dinge aufschreibe, sondern das passiert automatisch im Unterbewusstsein, weil man sich mit dem Thema eigentlich ununterbrochen beschäftigt im Unterbewusstsein.
Und wenn es dann zum Drehen kommt, dann fängt es an, dass die Figur lebendig wird, weil die Gedanken sich verselbständigen, weil man nicht mehr darüber nachdenkt, was mache ich jetzt oder warum mache ich das jetzt nicht, sondern man macht's und man stellt's nicht mehr infrage. Und das ist das, was den Körper natürlich dann – wie beim Billardspielen, die eine Kugel schubst die andere an –, was den Körper nach sich zieht. Ich finde, dass das ganz, ganz wichtig ist.
"Natürlich zu agieren ist mir sehr wichtig"
Burg: Ihnen mag die Frage vielleicht auch komisch vorkommen, ich habe mich nur gefragt, wie selbstverständlich dieses körperliche Spiel ist. Ich finde es bei vielen deutschen Schauspielern eben gar nicht so selbstverständlich.
Striesow: Dazu muss man sagen, dass man natürlich im Kino viel mehr die Möglichkeit hat, ganzkörperlich aufzutreten. Der Bildausschnitt ist einfach größer, man erzählt sehr viel in der Halbtotalen und Totalaufnahmen, was ich sehr, sehr angenehm finde, auch als Zuschauer, dass man einfach in eine Geschichte reingezogen wird, die einem einen Bildausschnitt präsentiert. Gerade jetzt bei den Schweizer Bergen und beim Schnee ist es jetzt in diesem Fall so wahnsinnig wichtig, dass man einen Eindruck von der Stimmung bekommt – das transportiert sich ja wunderbar. Und dann ist man da angehalten, natürlich zu agieren, und ja, das ist mir sehr, sehr wichtig.
Der deutsche Film braucht mehr Leute wie Sebastian Schipper
Burg: In ein paar Tagen beginnt nun die Berlinale, und es gibt die alte, leidige Diskussion: Es gibt nur einen deutschen Film im Wettbewerb. Was wünschen Sie sich beim und für den deutschen Film, Devid Striesow?
Striesow: Oh – ich wünsche mir, dass es viele solche mutigen Versuche und dann erfolgreichen, glücklicherweise erfolgreichen Versuche wie 'Victoria' gibt, dass es Leute gibt wie Sebastian Schipper, die sich Gedanken machen über Möglichkeiten.
Es gibt diese Leute natürlich, ich hoffe, dass noch mehr diesen Erfolg haben wie Sebastian, dem ich das voll und ganz gönne und wo ich mich so wahnsinnig für den freue, dass der mit dem Denken, was die Konventionen sprengt, nicht nur, dass man in einer Einstellung einen Film dreht, das ist ja nichts ganz Neues, aber dass man's dann tut und dass man eben die Leute mit auf die Reise nimmt und dann auf einmal dasteht und sagt, oh, ihr findet das alle toll, dass da wirklich was dran ist.
Dass man diesen Mut hat, das einzugehen, das wünsche ich ganz, ganz vielen, die jetzt beginnen, ihre Karriere starten, und das wünsche ich auch ganz vielen, die schon Filme gedreht haben – dass sie jedes Mal frisch ins Wasser springen und sich diesen Herausforderungen stellen.
Burg: Nun kann man Sie, Devid Striesow, erst mal in der Hauptrolle in dem Film "Nichts passiert" sehen, der Film läuft am Donnerstag an. Herzlichen Dank fürs Gespräch!
Striesow: Ja, ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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