Kinofilm "Heimatland"

Düstere Parabel über die Schweiz

Der Schweizer Regisseur Michael Krummenacher.
Der Schweizer Regisseur Michael Krummenacher. © picture alliance / dpa / KEYSTONE / Urs Flueeler
Michael Krummenacher im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 27.07.2016
Zehn Regisseure haben aus ihrem kritischen Blick auf die Schweiz den Film "Heimatland" gemacht. Darin werden die Schweizer zu Flüchtlingen, die auf geschlossene Grenzen stoßen. Letztere seien inzwischen Realität geworden, sagt Filmemacher Michael Krummenacher. Der Film kommt jetzt ins Kino.
Der Film "Heimatland", der jetzt auch in deutschen Kinos läuft, ist ein düsterer Blick auf die Schweiz: Eine dunkle, bedrohliche Wolke hängt über dem kleinen Land und mache die Schweizer zu Flüchtlingen – eine Situation, die seine Landleute im wirklichen Leben noch nie kennengelernt haben, sagt der junge Regisseur Michael Krummenacher.
Krummenacher hat das Filmprojekt gemeinsam mit neun anderen Regisseuren realisiert. 2015 feierte es Premiere, 2016 bekam der Film den Max Ophüls Preis in der Kategorie "Gesellschaftlich relevanter Film".

Schweizer Politik inspirierte die Filmemacher

Die Idee zum Film sei in einer Zeit entstanden, als die Schweiz international mit Volksabstimmungen zum Minarettverbot und Zuwanderungsbeschränkungen negative Schlagzeilen machte. Einige der düsteren Visionen, die der Film entwirft, seien nach dessen Fertigstellung von der Realität eingeholt worden – etwa die von Grenzen, die dicht gemacht werden. Krummenacher:
"Das war für uns eine Art von Fiktion. Wir haben uns gefragt, wie könnte das aussehen, wenn Grenzen geschlossen werden, und plötzlich waren dann letzten Herbst all diese Bilder da, und da wäre man, glaube ich, nicht mehr so frei mit dieser Metapher umgegangen."
Der Filmemacher geht im Deutschlandradio hart mit seiner Heimat ins Gericht: Die Schweiz sei nie neutral gewesen, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen gegangen sei – während des Zweiten Weltkriegs nicht und erst recht nicht heute. Die Schweiz sei ein Land,
"das Pakte geschlossen hat, um selbst gut aus der Nummer herauszukommen. Tatsächlich ist die Isolationspolitik, die in der Schweiz vorherrscht, so ein Stück weit ein verbindendes Element für uns zehn Leute, die diesen Film gemacht haben, weil wir das Gefühl hatten, das ist etwas, was uns betrifft, das ist etwas, das ist sowohl im weiteren Kontext, also im politischen so, als auch für die Figuren, die diesen Film durchleben."
Die zehn Regisseurinnen und Regisseure des Schweizer Films "Heimatland" beim Fototermin am 10.8.2015 während des Internationalen Film Festivals in Locarno: Michael Krummenacher, Jan Gassmann, Mike Scheiwiller, Tobias Noelle, Carmen Jaquier, Benny Jaberg, (hinten, v.l.n.r) Lisa Blatter, Gregor Frei, Lionel Rupp, Jonas Meier (vorne, v.l.n.r)
Die zehn Regisseurinnen und Regisseure des Schweizer Films "Heimatland" während des Internationalen Film Festivals in Locarno (2015).© picture alliance / dpa / Urs Flueeler
Krummenacher blickt mit Sorge auf die Schweiz: "Die letzte SVP-Volksabstimmung, die wir hatten, die ist ganz knapp abgelehnt worden. Zum Glück ist sie abgelehnt worden, aber so knapp, dass man sich sehr drum sorgen musste."

Das Interview im Wortlaut

Liane von Billerbeck: Eine Wolke braut sich über der Schweiz zusammen, eine schwarze Wolke, die nicht von außerhalb gekommen ist, sondern dort, in der Schweiz entstanden ist. Diese Wolke ist real und wird von den bedrohten Schweizern auch als Wolke und als Metapher verstanden. Die Schweizer werden zu Flüchtlingen. Das ist so die Ausgangskonstellation des Films "Heimatland", der am Donnerstag in die deutschen Kinos kommt. Zehn junge Schweizer Regisseure haben ihn gemeinsam erdacht, gedreht, geschnitten. Seine Weltpremiere hat der Film beim Festival in Locarno gefeiert, bekam in Saarbrücken den Max-Ophüls-Preis als bester gesellschaftlich relevanter Film und ist 2016 auch für den Schweizer Filmpreis als bester Spielfilm nominiert. Mitinitiator dieses Films ist Michael Krummenacher, Jahrgang 1985. Er lebt in München und ist gerade mit dem Film auf Tour. Ich grüße Sie!
Michael Krummenacher: Guten Tag!
von Billerbeck: Zehn junge Schweizer Regisseure, und gemeinsam machen sie ein solches Katastrophenszenario auf über das eigene Land, das überrollt wird von einer dunklen Wolke und dann keine Hilfe findet und es aber nicht mal in dieser Extremsituation schafft, Fremdenhass und Isolationismus abzulegen. Woher kommt er, dieser düstere Blick auf die eigene Heimat?

Ein ungutes Gefühl

Krummenacher: Das hängt sehr stark, glaube ich, zusammen, wann die erste Idee zu dem Projekt entstanden ist. Das ist mittlerweile ungefähr sechs Jahre her, da waren die ganzen Volksabstimmungen, also Minarettverbot und Zuwanderungsinitiative, all das kam in den letzten sechs Jahren, plus es ging ein starker Rechtsruck durch die Politik. Der andere Initiator ist Jan Gassmann. Wir haben uns in München an der HFF kennengelernt, wo wir beide studiert haben, und unser Gefühl war ein ungutes gegenüber dem, was sich da so zusammenbraut in unserem Heimatland. Und wir wollten was dagegen machen. Und was läge da näher als ein Film, wenn man Filmemacher ist?
von Billerbeck: Das ist also viel weniger ein Film, eine Parabel auf die heutige Flüchtlingspolitik, sondern eher gegen die politischen Strömungen gegen zunehmenden Populismus, den Sie schon damals erkannt haben, wenn das also schon fast sechs Jahre her ist, als die Idee entstand?
Krummenacher: Leider muss man sagen, hat die Realität dieses Projekt im Laufe seiner Mache eingeholt bis schlussendlich überholt. Zum Beispiel, als wir den Film letzten Sommer in Locarno gezeigt haben, da war die Flüchtlingsthematik noch nicht so stark wie als der Film dann im November in den Schweizer Kinos anlief. Der ist gewissermaßen immer aktueller geworden. Ich glaube auch, wir könnten den ein Stück weit heutzutage gar nicht mehr so machen, weil das für uns –
von Billerbeck: Warum?
Krummenacher: Das war für uns eine Art von Fiktion. Wir haben uns gefragt, wie könnte das aussehen, wenn Grenzen geschlossen werden, und plötzlich waren dann letzten Herbst all diese Bilder da, und da wäre man, glaube ich, nicht mehr so frei mit dieser Metapher umgegangen.
von Billerbeck: Sie sagen, Ihr Film ist quasi von der Wirklichkeit überholt, eingeholt worden. Man könnte ja auch sagen, dass in so einem Zeitraum, sechs Jahre fast, auch mehr Licht entsteht, mehr Kontrast, mehr Gegenstimmen, auch in der Schweiz. War das gar nicht so? … Tiefes Luftholen …
Krummenacher: Das wäre eigentlich zu hoffen, aber das ist meiner Meinung nach nicht passiert. Die letzte SVP-Volksabstimmung, die wir hatten, die ist ganz knapp abgelehnt worden. Zum Glück ist sie abgelehnt worden, aber so knapp, dass man sich sehr drum sorgen musste. Und ich glaube, es ist mittlerweile auch, sind das Themenbereiche, die längst nicht mehr nur die Schweiz betreffen. Ich glaube, wir leben in einem Zeitalter, wo mit Angst und mit geschürter Angst, sei das von Politikern, sei das von Medien, sehr viel Politik gemacht wird. Ich persönlich finde, dass Angst nie eine konstruktive Lösung ist, weder in der Politik noch beim Filmemachen noch irgendwie im Alltag.

Die Schweiz war nie neutral

von Billerbeck: Was die Flüchtlingspolitik betrifft: Man spricht ja immer von der neutralen Schweiz, aber kann man das eigentlich noch so sagen? Die Schweiz heute ist doch gar kein neutrales Land mehr. Sie ist ein isoliertes Land. Oder ich erinnere mich, dass ein ehemaliger Schweizer Botschafter in Deutschland und heutiger Nationalrat das mal so formuliert hat: Sie hat sich selbst "verzwergt".
Krummenacher: Die Frage ist, war die Schweiz jemals wirklich ein neutrales Land. Ich glaube, auch wenn man an die Geschichte der Schweiz zurückdenkt, sagen wir im Zweiten Weltkrieg, dann war die Schweiz schon immer ein Land, das Pakte geschlossen hat, um selbst gut aus der Nummer herauszukommen. Tatsächlich ist die Isolationspolitik, die in der Schweiz vorherrscht, war so ein Stück weit ein verbindendes Element für uns zehn Leute, die diesen Film gemacht haben, weil wir das Gefühl hatten, das ist etwas, was uns betrifft, das ist etwas, das ist sowohl im weiteren Kontext, also im politischen so, als auch für die Figuren, die diesen Film durchleben.
von Billerbeck: Sie haben es selbst schon erwähnt, was es alles gegeben hat in den letzten Jahren – Minarett-Verbot, die Islamdebatte. Aber es gab auch andere Dinge in der Schweiz. Die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen, die Abzocker-Initiative. Manchmal hat man ja das Gefühl, die Schweiz sei so eine Art Labor für die großen Probleme und Debatten aller westlichen Staaten. Man könnte also auch annehmen, dass Ihre Dystopie, Ihre düstere Sicht, die Sie in dem Film zeigen, auch allen anderen westlichen Staaten, also auch der Europäischen Union drohen könnte trotz der Flüchtlingspolitik.

Illusion der absoluten Sicherheit

Krummenacher: Ich glaube sehr stark, dass der Film und die Wolke, die sich in diesem Film zusammenbraut, dass das etwas ist, was als Metapher für unsere westliche Welt herhalten kann. Ich glaube, es war insofern, dadurch, dass wir alle Schweizer sind und den Film halt angefangen haben als einen Film über die Schweiz, war das sehr Schweiz-bezogen, aber ich glaube, dadurch, dass die Schweiz so ein kleines Land ist, ist die tatsächlich, wie Sie sagen, so eine Art Labor, oder kann ein Labor sein für vieles, im Positiven wie im Negativen. Leider hat meiner Meinung nach in der Politik viel Negatives überwogen in den letzten Jahren.
von Billerbeck: Können wir uns im reichen Westen eigentlich noch in Flüchtlinge hineinversetzen? Die Menschen in Ihrem Film, die Schweizer, die ja selbst zu Flüchtlingen werden, und Deutschland schottet sich dann ab und sie kommen nicht weg, werden das ja trotzdem nicht. Glauben wir also gut 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gar nicht mehr, dass uns auch das Flüchtlingsschicksal ereilen könnte, so was wie Krieg, Armut, Flucht?
Krummenacher: Ich glaube, wir haben es uns sehr gemütlich gemacht in einer Illusion von absoluter Sicherheit. Und das ist etwas, was uns, finde ich, zum Beispiel jetzt auch so aufrüttelt, wenn plötzlich Terror oder Amokläufe bei uns auch passieren. Ich glaube aber, dass die Reaktion darauf nicht sein darf, dass man sich noch mehr abschottet, sondern tatsächlich eher versucht, sich in diese Menschen oder in so eine Situation reinzuversetzen und dafür, sei das untereinander oder in der Politik, wirklich konstruktive Lösungen zu finden.
von Billerbeck: Der Regisseur Michael Krummenacher, Mitinitiator des von zehn jungen Schweizer Kinomachern gedrehten Spielfilms "Heimatland". Diese Woche kommt er in die deutschen Kinos. Ich danke Ihnen!
Krummenacher: Danke auch!
von Billerbeck: Und der Regisseur ist auf Gesprächstour auch mit dem Film, heute Abend übrigens in Nürnberg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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