Kinofilm "Café Belgica"

Sex, Drugs und Nostalgie

Regisseur Felix Van Groeningen und Schauspielerin Charlotte Vandermeersch während der Premiere des Films "Café Belgica" von Van Groeningen am 28. Februar 2016 in Gent.
Regisseur Felix Van Groeningen und Schauspielerin Charlotte Vandermeersch vor der Premiere des Films "Café Belgica". © imago stock
Regisseur Felix van Groeningen im Gespräch mit Patrick Wellinski · 18.06.2016
Der flämische Film "Café Belgica" erzählt von den unterschiedlichen Brüdern Jo und Frank. Der eine steckt in der Midlife-Crisis, der andere mitten im Party-Leben. Zusammen gründen sie einen Club. Regisseurs Felix van Groeningen mischt Autobiografisches mit fiktiven Elementen.
Patrick Wellinski: "Sell it with your face" von der Musikgruppe Soulwax aus Belgien. Und diese Band spielt eine sehr wichtige Rolle in dem flämischen Film "Café Belgica" des Regisseurs Felix van Groeningen, der nächste Woche in unsere Kinos kommt. Es geht darin um zwei ungleiche Brüder, die gemeinsam den Nachtclub "Belgica" in der Stadt Gent betreiben, und der Club wird zum wichtigsten Party-Hotspot der ganzen Stadt für Junge und Alte, Arme und Reiche - jeder ist eingeladen. Sex, Drugs and Rock-'n'-Roll bestimmen dann auch den Alltag der beiden Brüder, mit sehr negativen Folgen für ihr Privatleben und eben auch für das Leben als Geschäftsführer. Denn mit der Zeit müssen die beiden eben auch ernsthafte Entscheidungen treffen.
"Da kümmern wir uns lieber selber drum, und ich glaube, das haben wir gut im Griff."
"Ihr habt keinen für den Einlass. Ihr werdet Probleme kriegen: Gangs, Penner, Marokkaner, Neger. Und wenn die erst mal drin sind, wenn es eine Schlägerei gibt, ist es wahnsinnig schwer, die wieder rauszukriegen."
"Ich verstehe schon. Doch euch brauchen wir wirklich nicht. Wir sind doch … wirklich nicht so ein Laden wie … so ein Laden, wie heißt das?"
"Wir sind kein Club."
"Ja, genau."
Wellinski: Eine kurze Szene aus Felix van Groeningens Film "Café Belgica". Ich konnte mit dem Regisseur, der für sein letztes Werk "Broken Circle Breakdown" für einen Oscar nominiert wurde, vor der Sendung sprechen, und ich habe ihn am Telefon in seiner belgischen Heimatstadt erreicht und wollte zunächst von ihm wissen, ob denn dieser Film "Café Belgica" wie eben sein ganzes Werk auf einer persönlichen Erinnerung beruht.
Felix van Groeningen: Ja und nein. Mein Vater hatte einst eine Bar, die auch ein bisschen so aussah wie das "Café Belgica", und ich habe da als Jugendlicher auch gearbeitet, so zwischen 16 und 20. Aber dann hat mein Vater das verkauft, und zwar an zwei Brüder. Und der Film ist jetzt ein Mix geworden aus all diesen Geschichten. Also es ist nicht wirklich autobiografisch, sondern eher so ein Mix, den ich da erzähle.

"Die wissen, dass sie sehr unterschiedlich sind"

Wellinski: Wie haben Sie denn Ihre Geschichte konstruiert? Diese beiden Brüder sind ja sehr gegensätzliche Charaktere?
van Groeningen: Ich fand in erster Linie interessant, da zwei Männer miteinander zu konfrontieren, die sich eigentlich ergänzen. Die wissen schon, dass sie sehr unterschiedlich sind, aber am Anfang funktioniert das ganz gut. Und da entsteht auch etwas Tolles aus dieser Zusammenarbeit.
Aber irgendwann sind dann doch die Unterschiede einfach zu stark, und dann geht das alles in eine richtig falsche Richtung. Dann tolerieren sie sich auch nicht mehr, und das geht kaputt, und wie das dann auseinanderreißt, das ist etwas, was ich sehr interessant fand. Die Beziehung der Brüder zueinander verändert sich auch während des Films. Und dann wird es wirklich so, dass der kleine Bruder eigentlich immer mehr zum älteren Bruder wird.
Wellinski: Manchmal dachte ich mir auch, dass Sie auch von den Schwierigkeiten und Problemen eines Familienbetriebs erzählen. Die Geschäftspartner sind in dem Fall ja Brüder. Meinen Sie, es ist schwerer ein Geschäft zu führen, wenn der eigene Partner ein Bruder ist?
van Groeningen: Ich bin mir da nicht so sicher. Es gibt ja nun auch viele Beispiele, wo das funktioniert hat zwischen zwei Brüdern. Bei anderen geht es dann eben schief. Letztendlich müssen es auch nicht unbedingt Brüder sind. Die Dynamik ist ja oft die gleiche. Bei meinem Vater beispielsweise und seinen Partnern hat es dann auch nicht geklappt.

Das alles war "eine Achterbahnfahrt"

Aber mir war das schon wichtig, dass sie Brüder sind. Und dadurch wird das irgendwie, geht einem das näher. Das hat auch etwas Mythisches und ist irgendwo herzzerreißender, wenn es dann zu einer Trennung kommt. Das steht einem, glaube ich, als Zuschauer einfach näher, wenn man da zwei Brüder beobachtet, bei denen es dann auch so definitiv ist, wenn es kaputt geht.
Wellinski: Ihr Film hat ja zwei unterschiedliche Rhythmen. Da ist zum einen dieses rauschhafte Partyleben im "Belgica" selbst, Sex, Drugs and Rock-'n'-Roll, und daneben eben das Leben der Brüder, die Beziehung, die sie führen, die Familie des einen, die Freundin des anderen. Wieso war Ihnen gerade dieser doppelte Ton sehr wichtig?
van Groeningen: Wenn man die ganze Zeit nur einen Film über Sex, Drugs and Rock-'n'-Roll gemacht hat - genau darin bestand sozusagen die Gefahr des Films, das wäre dann irgendwann langweilig geworden. Klar, das selbst mal zu erleben, das selbst mal mitgemacht zu haben, das macht schon irgendwo Spaß. Aber es auf Dauer nur so zu zeigen, das wirkt irgendwann einfach nur oberflächlich.
Aber was dann zwischen den Brüdern geschieht und welchen Einfluss dieses Nachtleben letztendlich auf ihr Privatleben hat, auf die Beziehung zu ihren Frauen, das fand ich dann schon sehr viel spannender. Interessant war aber, beim Dreh haben wir Folgendes bemerkt: In diesen ruhigen Momenten, wenn es dann mehr um das Private ging, wenn dann auch die Kameraführung ein bisschen ruhiger war, wenn man sich ein bisschen mehr Zeit genommen hat, ist man dann wieder zurückgekehrt natürlich in diesen etwas wilderen Szenen in dem Nachtclub. Und da hat man dann schon gespürt, dass das alles eine Achterbahnfahrt war. Beim Drehen, aber vor allen Dingen auch für diese Figuren.

Der Film ist dann irgendwann "nostalgisch geworden"

Ich denke denke mir einfach, wenn man permanent nur dieses Nachtleben lebt - und ich habe das als junger Mann nur so ein bisschen ausgekostet, dann kommen einfach zwei Dinge auf dich zu, entweder dieser Beat und diese laute Musik ist etwas, das du nicht mehr aus deinem System herausbekommst, oder aber es lähmt dich. Und der eine Bruder, der kann einfach irgendwann nicht mehr. Es wird ihm zu viel, es macht ihm keinen Spaß mehr, und er steigt aus.
Wellinski: Ist Ihr Film auch vielleicht auf eine gewisse Weise so, wie Sie das gerade erzählt haben, auch nostalgisch gemeint? Denn "Café Belgica", das sind ja so Orte, die es ja fast nicht mehr gibt, wo alle hinkommen können und alle erlaubt sind und alle auch irgendwie begrüßt werden?
van Groeningen: Es war sicherlich nicht die Absicht, einen nostalgischen Film zu drehen, aber er ist dann irgendwann einfach nostalgisch geworden. Es hat natürlich immer wieder neue "Belgicas" gegeben, immer wieder Orte, wo man aus Idealismus versucht und mit viel Energie, etwas aufzubauen, und dann irgendwann merkt man manchmal, dass man alle Ideale nicht durchsetzen kann und sich irgendwo anpassen muss. Aber ich möchte jetzt auch nicht sagen mit diesem Film, so etwas wie das "Belgica" wird nie wieder möglich sein.
Ich stelle aber schon fest, dass ich in den vergangenen 15 Jahren irgendetwas verändert hat. Es herrscht eine andere Stimmung vor, und von daher denke ich, wird es so nicht noch einmal wiederkommen, aber so nostalgisch bin ich nun auch nicht, dass ich sage, die Zeit ist ein für alle Male vorbei.
Wellinski: Die Figuren in Ihrem Film sind immer so roh, so vom Leben gezeichnet. Das sind keine polierten Körper, es sind eher kantige, verwundete Menschen. Jo, der eine Bruder, hat nur ein Auge zum Beispiel. Was reizt Sie denn an dieser Art von Figuren? Wieso erzählen Sie gerade deren Geschichten?
van Groeningen: Ich glaube, jedes Projekt hat bei mir auch einen anderen Ursprung. Mein Film davor, "Broken Circle Breakdown", basiert auf einem Theaterstück, und ich habe mich in dieses Stück verliebt, ich wollte es adaptieren. "Belgica" wiederum ist mehr etwas, was ich auch erlebt habe, was ich auch beobachtet und gesehen habe. Dass jetzt einer der Brüder beispielsweise nur ein Auge hat, das basiert dann auch auf einer Beobachtung, die ich gemacht habe.
Ich kenne einen Barbesitzer, der nur ein Auge hat. Und dann habe ich mir natürlich auch gewisse Fragen gestellt. Er hat es bestimmt auch nicht immer leicht gehabt deswegen. Und hier in diesem Film ist eben dieser Bruder, der nur ein Auge hat, letztendlich steht er für das moralische Zentrum in diesem Film. Und er setzt sich am Ende durch, er wird nachher der große Boss. Das fand ich dann auch irgendwie sehr schön, das hat irgendwo auch was Authentisches. Und ganz ehrlich, ich glaube, es gibt wirklich kaum Filme, wo die Hauptfigur einäugig ist. Und dann wollte ich die Sache, wenn ich das mal schon mich wage, auch richtig machen.

"Ich kenne Soulwax schon seit über 20 Jahren"

Wellinski: Im Fall von "Café Belgica" müssen wir natürlich auch über die Musik reden. Die kommt vom belgischen Musikduo Soulwax. Kannten Sie deren Arbeit schon vor den Dreharbeiten und wollten Sie sie deshalb im Film haben, oder wie war die Zusammenarbeit mit den beiden geplant?
van Groeningen: Ich kenne Soulwax schon seit über 20 Jahren. Ich habe mir das gerade kürzlich mal ausgerechnet. Ich habe schon vor sehr langer Zeit mit ihm darüber geredet. Ich fand einfach, dass es eine perfekte Zusammenarbeit war, weil sie einfach die Musik machen, die sich für so was eignet. Sie ist einerseits sehr eklektisch, andererseits irgendwo auch genre- und grenzüberschreitend, und, natürlich, die Musik ist in dem Film Teil der Geschichte und hat auch ganz viele Schattierungen und drückt damit auch verschiedenste Stimmungen aus.
Als wir dann konkreter darüber geredet haben, waren sie wirklich sehr daran interessiert, haben aber gleich gesagt, wenn wir das machen, möchten wir wirklich alles machen, nicht, dass nur zwei Tracks von uns kommen, die dann irgendwie wieder so untergemischt werden. Und ich dachte, wow, wird das überhaupt möglich? Es war möglich. Es hat wirklich funktioniert.
Sie haben dann sich auch so viele Dinge ausgedacht, neue Bands erfunden, es war wirklich eine wunderbare Zusammenarbeit. Während ich schon schrieb an dem Drehbuch, fingen sie an, mir die ersten Vorschläge zu machen. Als wir dann drehten, war ein Teil der Musik schon fertig. Es war ja sehr wichtig in diesem Film, dass die Musik streckenweise schon steht, weil sie eben Teil der Geschichte ist, aber dann auch während der Postproduktion, während des Schnitts kamen sie, und bei der Tonmischung waren sie dann auch wieder mit dabei.
Wellinski: Felix van Groeningen. Sein Film "Café Belgica" kommt nächsten Donnerstag in unsere Kinos.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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