Kinofilm "Becks letzter Sommer"

Kann man sich im Leben noch einmal umentscheiden?

Nahuel Pérez Biscayart und Christian Ulmen in einer Szene aus "Becks letzter Sommer"
Nahuel Pérez Biscayart und Christian Ulmen in einer Szene aus "Becks letzter Sommer" © Oliver Vaccaro/Senator Film/dpa
Frieder Wittich im Gespräch mit Patrick Wellinski · 18.07.2015
"Becks letzter Sommer" ist eine Mischung aus Drama und Komödie und erzählt die Geschichte eines Lehrers, der sich mit 40 plötzlich fragt, ob er all die Jahre überhaupt das Richtige getan hat. Regisseur Frieder Wittich im Interview über die Bedeutung von Träumen und wie schwer es war, einen geeigneten Gegenpart zu Christian Ulmen zu finden.
Patrick Wellinski: Warum mussten denn zwischen Ihrem letzten Film, "13 Semester", und diesem neuen mehrere Jahre ins Land gehen?
Frieder Wittich: Na, das hat diverse Gründe. Zum einen, "Becks letzter Sommer" ist eine Romanadaption. Und nach "13 Semester" dachten wir eigentlich, das Drehbuch würde bei einer Romanadaption ein bisschen schneller gehen, als wenn man den Stoff komplett bei null anfängt. Das war ein Irrglaube. Dann gab es aber auch noch Schwangerschaften, von Herrn Ulmen zum Beispiel, der ist dann überraschenderweise ein Jahr in den Vaterschaftsurlaub gegangen. Was ich auch super fand, ich bin gerade selber Papa geworden, insofern kann ich das total nachvollziehen und konnte es auch damals schon nachvollziehen. Na ja, und dann das Übliche, die Finanzierung, die Vorbereitung, und wupps sind da so fünf Jahre dann durchs Land!
Wellinski: "Becks letzter Sommer" ist der Roman von Benedict Wells, der, glaube ich, 24 Jahre alt war, als der Roman erschienen ist. Was war es denn an diesem Buch eines 24-Jährigen, das Sie so fasziniert hat, dass Sie gesagt haben, das wird ein Kinofilm, auch Ihr Kinofilm?
Wittich: Zunächst einmal ist es so ein Eindruck beim ersten Mal lesen, da hat man erst mal so ein Bauchgefühl. Und ich habe das Drehbuch wieder zusammen mit Oliver Ziegenbalg geschrieben wie auch bei "13 Semester". Und wir hatten das getrennt voneinander gelesen und das kam irgendwie per Post und haben uns am nächsten Tag gleich zusammentelefoniert und wir wussten schon beim Hallo-Sagen, das ist irgendwie unser nächster Stoff. Ich glaube, uns haben ... Also, a) ist es ein bisschen eine Fortsetzung von "13 Semester", dort ging es ja um einen Mathematikstudenten, der nach der Schule, weil er gut in Mathe war, einfach mal Mathematik studiert hat und sich im siebten Semester fragt, was studiere ich hier eigentlich. Und eigentlich ist es jetzt so 13 Semester 2.0, wo einer Lehrer wurde und sich mit 40 Jahren die Frage stellt: Sag mal, jetzt bin ich Musiklehrer, weil ich mich mal irgendwann entschieden habe, meine Musikkarriere an den Nagel zu hängen und doch den sicheren Weg zu wählen, kann man sich doch noch mal umentscheiden im Leben und kann man doch noch mal Träume, die man hat, weiß ich nicht, doch noch mal angehen oder zumindest versuchen anzugehen. Und uns hat das gefallen, dass das thematisch so ein bisschen eine Fortsetzung war. Dann mochten wir wahnsinnig gerne die Charaktere, die Benedict Wells in seinem Roman entwickelt hatte, und wir mochten diesen Genre-Mix. Es ist auch noch eine Liebesgeschichte dabei und es ist aber eigentlich auch ein Musikfilm, es ist auch so eine Buddy-Geschichte und es geht um Freundschaft und Loyalität. Und am Ende ist es auch noch Roadmovie, wiederum ein Grund, warum das Drehbuch lange in der Entwicklung gebraucht hat. Und genau diese Konzentration, die es manchmal so im Leben gibt, wo viele Dinge zusammenkommen, die hat uns auch wirklich gereizt.
Gefühlt seit 20 Jahren in dieselbe Schule
Wellinski: Im Mittelpunkt steht Herr Beck, gespielt von Christian Ulmen. Ein Musiklehrer, der einmal ein großer Rockstar werden wollte, eine Zeit lang es auch durchaus war, der dann diesen Umweg über das Lehrerdasein genommen hat, und er merkt plötzlich, da er einen Schüler trifft, der sehr talentiert ist, er könnte das noch mal leben, diesen Traum von damals. Aber bevor wir jetzt diesen zweiten Schritt gehen, also dieser Versuch, wieder neu anzufangen, was ist denn diese Antriebslosigkeit, die ihn am Anfang so an den Alltag fesselt? Ist da jemand, der sein Leben so ein bisschen verschlafen hat und das hat schleifen lassen? Ich habe mich schon gefragt, was ihn in diese ausweglose Position, aus der er quasi erwacht, getrieben hat!
Wittich: Also, das ist bestimmt so ein Sicherheitsdenken, das man vielleicht auch von sich selber manchmal kennt, wenn man Entscheidungen im Leben trifft und sagt, mache ich dies so oder so, gehe ich da ins Risiko oder mache ich jetzt erst mal dies und dann parallel kann ich mich um das andere kümmern? Und wenn ich mich in der einen Seite etabliert habe, kann ich dann das andere vollends machen! – Und das war auch Robert Becks Plan. Er hat nur einfach nebenher nicht Songs geschrieben, sondern hat halt sein Studium fertig gemacht, war Referendar und dann vergeht die Zeit. Und plötzlich sitzt er da in dieser Schule als Lehrer, auch noch in der Schule, wo er früher schon Schüler und sein Vater auch noch Rektor war, das heißt, der Kerl geht gefühlt seit 20 Jahren jeden Morgen in dieselbe Schule. Und Robert Beck ist einer, der dann reflektiert, und ihm wird klar, dass eigentlich die Schüler alle immer gleich alt bleiben und nur er wird einfach jedes Jahr ein Jahr älter. Und in diesen Moment steigen wir eigentlich ein, er hat gelernt, es zu ertragen, aber mit einer gewissen Lustlosigkeit. Wobei das gar nicht ist, dass er denkt, dass Lehrersein ein doofer Beruf ist, sondern dass er eine falsche Entscheidung getroffen hat, Lehrer zu sein, weil es einfach nicht seins ist. Und eigentlich aus dieser Lethargie wird er herausgerissen durch ein Zusammentreffen auf einen Schüler, einen Außenseiter, der immer in der letzten Bank sitzt und eigentlich superstill ist, und er bekommt durch Zufall heraus, dass dieser Junge eben begnadet singen und auch Gitarre spielen kann. Und da hat er so einen Geistesblitz und fängt an, für den Jungen Songs zu schreiben, und hat den Plan gar nicht, dass er wieder groß auf die Bühne geht, sondern im Hintergrund den Jungen produziert und Sachen für ihn komponiert, um vielleicht doch noch mal auf die großen Bühnen dieser Welt zu kommen und von der Musik zu leben. Und natürlich geht erst mal alles schief.
Wellinski: Der Junge wird gespielt vom Argentinier – jetzt versuche ich es mal auszusprechen – Nahuel Pérez Biscayart.
Wittich: Das war gar nicht so schlecht!
Wellinski: Dem man ja, ehrlich gesagt, auch aus einem gewissen Independent-Kino auch schon kennt, er hat in zwei Filmen von Alexis Dos Santos mitgespielt, sehr atmosphärische Coming-of-Age-, zum Teil auch Coming-out-Filme. Ich fand das wirklich sehr interessant, dass man jemanden wie ihn dann, den wir wirklich aus einem internationalen Kontext kennen, jetzt mit Christian Ulmen konfrontiert, den wir ja wirklich aus einem sehr deutschen Kontext kennen. Wie haben Sie diese Chemie dann beim Drehen gespürt und warum haben Sie gerade diese beiden Leute so besetzt?
Wittich: Christian Ulmen kam eigentlich schon im Gesamtpaket mit den Lizenzrechten von Diogenes, nämlich dem Verlag von Benedict Wells. Denn als der 24-jährige Benedict mit 24, wie gesagt, einen Roman über einen Enddreißiger schreibt, wo ich mir damals auch schon dachte, ist ja auch irgendwie dreist, dass da einer mit 24 meint zu wissen, wie es sich mit Ende 30 anfühlt, hatte er beim Schreiben damals ... Da war er noch nicht mal beim Verlag, bei Diogenes, hat er immer an Christian Ulmen gedacht. Und Christian Ulmen meinte damals – das ist echt schon ein Weilchen her –, dass er den supergerne hat, den Roman, und wenn das Drehbuch ihm auch gut gefällt, dann wäre er an Bord, so. Gott sei Dank hatte ich als Regisseur auch wirklich kein Problem mit dieser Vorbesetzung, auch wenn ich trotzdem in dem Moment noch mal kurz dachte, jetzt schreibt der nicht nur mit 24 einen Roman über Enddreißiger, sondern besetzt auch noch die Hauptrolle, konnte ich damit super leben und war superhappy, weil man natürlich merkt, dass da Christian Ulmen schon in jeder Pore des Robert Becks war, und es Oliver Ziegenbalg und mir dann auch recht einfach gefallen hat, diesen Roman zu adaptieren, das im Drehbuch fortzusetzen. Bei Nahuel war das ganz anders, die Rolle des Rowdies ist zunächst einmal im Roman ein 17-, 18-jähriger litauischer Schüler, der toll Musik und Gitarre spielen und singen kann, so. Was macht man da, man bespricht sich mit der Casterin und logischerweise geht man erst mal nach Litauen und in die Ukraine, nach Russland und nach Ungarn und nach Rumänien, und den ganzen, kompletten osteuropäischen Raum haben wir ein halbes Jahr – wir haben Gott sei Dank rechtzeitig angefangen –, haben wir abgegrast, an Musikhochschulen, an Musikinternaten. Und wir hatten am Ende des Tages über 600 Online-Castings gemacht, die konnten auch zum großen Teil wahnsinnig gut Musik machen, das war wirklich erstaunlich, unglaublich talentiert, aber mit der Schauspielerei war das so eine Sache.
"Ich wollte werktreu bleiben"
Also haben wir gesagt, was könnte man noch machen. Für mich war es keine Option, einen deutschen Darsteller zu besetzen, der dann irgendwie ja einen Akzent spricht, ich sehe das manchmal in anderen Filmen und ... Das ist vielleicht Geschmackssache, ich habe damit irgendwie ein Problem. Na ja, dann haben wir gesagt, dann suchen wir jetzt also nicht mehr nach talentierten Musiktalenten, sondern wir suchen nach Schauspielern. Und auf dieser Suche, wo wir dann auch immer das Territorium noch vergrößert haben, haben wir gesagt, okay, vielleicht ist es auch ein Spanier, vielleicht ist es auch ein Italiener, den wir dann irgendwie so hinkriegen, dass er ... Ich wollte aber auch nicht ändern, dass der Junge aus Litauen kommt, weil ich eben werktreu bleiben wollte. Und dann ist uns Nahuel über den Weg gelaufen, der auch noch in einer Berliner Agentur vertreten ist. Also, eigentlich lag die Lösung vor der Tür. Nur kommt man, glaube ich, am Anfang, wenn man so eine Recherche loslegt, würde man nicht darauf kommen, für einen 17-jährigen litauischen Jungen einen 28-jährigen Argentinier zu besetzen, der weder singen, noch Gitarre spielen geschweige denn ein Wort Deutsch spricht. So. Aber er entsprach komplett meiner Vision und er hat wahnsinnig toll gespielt im Casting. Er meinte, dass er fleißig ist, und ich habe ihm geglaubt und getraut. Und man muss wirklich sagen, Nahuel hat ein phonetisches Gehör, der hat in kürzester Zeit phonetisch die deutsche Sprache gelernt, die Dialoge gelernt, wir hatten einen litauischen Sprachcoach und noch einen deutschen Sprachcoach, der auch sehr gut Spanisch sprach. Und die haben zu dritt die richtige Dosierung von Deutsch mit litauischem Akzent ... Wir haben es gemeinsam entwickelt und es war dann wirklich wochen- und monatelanges Training. Das war dann immer morgens und nachmittags und mittags musste er zum Gitarrenunterricht und erst mal lernen, wie man so eine Fender Mustang überhaupt richtig sich um den Bauch schnallt und wo die Finger hin müssen. Da bin ich wirklich glücklich und auch dankbar, dass das alles gut gegangen ist.
Wellinski: Ich würde gerne zum Abschluss über den Ton des Films sprechen. Es ist immer so schwer, so Filme in eine Schublade zu packen, sagen wir mal Dramödie, das ist jetzt eine Mischung aus Drama und Komödie! Ich fand schon, dass er im Ton – Sie haben es eingangs erwähnt – sehr nah an "13 Semester" ist. Ist das ein Ton, den Sie bewusst immer suchen, oder ist das etwas, was zu Ihnen eher kommt und beim Drehen und am Ende auf der Leinwand einfach entsteht?
Wittich: Schwierig! Also, ich werde bestimmt nicht mein Leben lang so eine Mischung aus Drama und Komödie machen, überhaupt nicht. Mir macht es Spaß ... Also, ich mag auch reine Dramen extrem gerne, ich mag auch wirklich gut gemachte reine Komödien. Ich mag aber auch, muss ich sagen, Filme wie "Sideways" oder "Little Miss Sunshine", also Filme, in denen es durchaus um etwas geht und man aber trotzdem dabei noch gut unterhalten ist und auch mal lachen kann und darf. Wie gesagt, ich freue mich auch mal über eine richtige Mainstream-Komödie und ich freue mich auch mal über ein richtig ernsthaftes Drama. Also, ich bin da überhaupt nicht festgelegt.
Wellinski: Darin ist der Regisseur dann doch so etwas wie ein Singer-Songwriter, der sich immer wieder neu erfinden kann. Frieder Wittich, vielen Dank! Der Film "Becks letzter Sommer" kommt nächsten Donnerstag in die deutschen Kinos, ich bedanke mich noch mal ganz herzlich für den Film, für Ihre Zeit und ich wünsche Ihnen alles Gute!
Wittich: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.