Kino

Noppen, Ecken, Kanten

Die Legofigur Emmet bei der Ankunft zur Premiere von "The Lego Movie " in Los Angeles
Die Legofigur Emmet bei der Ankunft zur Premiere von "The Lego Movie " in Los Angeles © picture-alliance / dpa / Nina Prommer
Moderation: Alexandra Mangel · 10.04.2014
Kaum ein Kind, das nicht mit den bunten Steinen gespielt hat, und sogar Wissenschaftler nutzen sie, um Moleküle nachzubauen. Hat Lego unsere Sicht auf die Welt verändert? Rolf Giesen und Ernst Peter Fischer über die bekanntesten Bausteine der Welt und den neuen Film "The Lego Movie".
Kaum ein Kind, das nicht mit den bunten Steinen gespielt hat, und sogar Wissenschaftler nutzen sie, um Moleküle nachzubauen. Hat Lego unsere Sicht auf die Welt verändert? Rolf Giesen und Ernst Peter Fischer über die bekanntesten Bausteine der Welt und den neuen Film "The Lego Movie".
Stephan Karkowsky: Lego – und da erzähle ich Ihnen nichts Neues – ist eine dänische Spielzeugfirma, die seit 1949 farbige Kunststoffquader aus Celluloseacetat herstellt. Das ist ein Biokunststoff, aus dem werden unter anderem auch Brillengestelle fabriziert. Kinder verbinden diese Quader spielend zu Gebäuden, zu Fahrzeugen oder Figuren. "Leg godt" heißt auf Dänisch "spiel gut". Da kommt es her, das Wort Lego. Und wenn Sie wollen, dass Ihre Kinder früh anfangen, zu lesen, dann drücken Sie ihnen einfach einen Lego-Katalog in die Hand.
Kind: Guck mal hier, es gibt jetzt neue Klone, die sind braun. Und neue Laserpistolen. Da haben die so einen Knopf hier drauf, da muss man, siehst du dieses kleine Dreieck, das muss man nach unten drücken, dann schießt das ab. Es gibt nämlich jetzt braune Druiden.
Karkowsky: Artur und Matteo studieren den Lego-Katalog und gehen später vielleicht mit Papa in den ersten 3-D-Lego-Kinofilm. Damit hat Lego dann auch das letzte Medium erobert und sich noch weiter rausgetraut aus den Kinderzimmern. Selbst in der Wissenschaft ist Lego bereits angekommen. Berichte über die sogenannte synthetische Biologie, also die künstliche Herstellung von Leben, werden gern mit Lego-Steinen veranschaulicht. Darüber sprach "Radiofeuilleton"-Moderatorin Alexandra Mangel mit dem Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer. Erst aber ließ sie sich von ihrem zweiten Gast, vom Animationsfilmexperten Rolf Giesen erklären, wie denn der Film Leben in die harten Lego-Steine bringt.
Radikale, aggressive Werbung
Rolf Giesen: Zumindest nicht, indem sie zwischen vier und 15 Millionen Steinchen genommen haben und die in Stop-Motion animiert haben. Nein. Es ist bereits eine virtuelle Welt, das ist die Virtualisierung und Globalisierung dieser Marke. Und ich muss sagen: Hut ab! Ich werde heute den Markennamen hoffentlich nicht in den Mund nehmen, weil ich diese Form von radikaler, aggressiver Werbung ablehne. Hier werden Dämme gebrochen.
Alexandra Mangel: Es ist auch ein einziger Werbefilm, kann man sagen.
Giesen: Es ist ein einziger Werbefilm, der angeblich für die freie Fantasie wirkt, also für die Kreativität. Überall auf der Welt ist natürlich Kreativität gefragt, damit wir bessere Produkte machen. Und so soll auch dieses Universum mit L kreativer, freier sein, aber es ist alles unter, was weiß ich, amerikanisierten Vorzeichen und zwischen "Star Wars" und "Lord of the Rings".
Mangel: Hat man denn überhaupt noch das Gefühl, wenn man den Film sieht, dass die Sachen aus einzelnen Bausteinen bestehen? Schaffen die das virtuell?
Giesen: Sie probieren es. Der Computer kann das natürlich, es sieht so aus, als seien es diese Steinchen. Aber die Bewegungen, die Flüssigkeit, das ist bereits die virtuelle Welt. Und dieser Konzern erreicht mit diesem Filmprodukt natürlich schon den Übergang in die neue Art der Virtualisierung. Das ist aber auch dann bereits eingeschlossen die Virtualisierung der Konsumenten. Wenn ich noch an die kleinen Plastiksteinchen denke und das, was man heute daraus macht, da sind Welten dazwischen.
Mangel: In der Wissenschaft, Herr Fischer, in der Physik, in der Biologie wimmelt es nur so von Lego-Bausteinen und Lego-Metaphern. In jedem zweiten Artikel über die neue synthetische Biologie wird Lego herbeizitiert, um zu unterstreichen, dass hier neues Leben aus Bausteinen gebaut wird. Die Bausteine der Biologen heißen sogar BioBricks. Warum fasziniert Lego die Naturwissenschaftler so sehr?
Mit Bausteinen die Welt begreifen
Ernst Peter Fischer: Also, Sie wissen, dass Naturwissenschaftler erklären, wie die Welt gewissermaßen zusammengesetzt ist. Und wir sagen schon auch vor den Lego-Steinen, wie sie aufgebaut ist. Wir sprechen von den Bausteinen. Und wenn Sie hinschauen, besteht alles aus Bausteinen. Sie fangen unten an mit den Atomen, daraus machen Sie Moleküle, aus den Molekülen Zellen, aus den Zellen Gewebe. Es ist immer wieder ein Baustein, den Sie benutzen, um den nächsthöheren Baustein zu machen. Wenn wir mit den Lego-Steinen spielen, dann dürfen wir genau das tun, was wir im Leben sowieso machen: Wir bauen Dinge auf.
Angenommen, Sie sind ein großer Atomwissenschaftler oder ein großer Molekularbiologe und dürfen jetzt dem Publikum erklären, wie sie sich den Aufbau einer Zelle oder den Aufbau eines Kristalls vorstellen, dann suchen Sie nach einfachen Analogien. Und Sie können sicher sein, dass jeder mal einen Lego-Stein angefasst oder gesehen hat, und dann fangen Sie damit an. Es klappt einigermaßen gut. Denn Sie haben bei den Lego-Steinen ja die Farben, Sie haben verschiedene Formen. Und Sie können jetzt aus ein und demselben Stein mit verschiedenen Farben bestimmte andere Produkte machen. Also, plötzlich können Sie verstehen, warum aus einem Atom, das doch eigentlich gleich ist mit dem anderen Atom, ein Element entsteht, das dann ungleich ist dem anderen Element. Also, da ist ja eine Menge Schwierigkeiten des Verstehens, und man hat den Eindruck, dass, wenn man die Lego-Steine einsetzt, spielerisch das erklären kann.
Die Lego-Steine haben auch noch einen anderen Vorteil: Wenn ein Lego-Stein zerbricht, dann ist er kein Baustein mehr. Und das ist auch genau das, was auch bei den Atomen der Fall ist. Wenn ein Atom zerbricht, wenn Sie das teilen, dann ist es nicht mehr das Atom, das es ursprünglich war. Oder wenn Sie ein Gen oder einen Zellbaustein teilen, dann ist er verschwunden als solcher. Und das können Sie mit den Lego-Steinen sehr anschaulich vorstellen. Und ich glaube, wir haben immer als Menschen, die nicht unbedingt in der Wissenschaft tätig sind, das Bedürfnis, die Sachen so zu verstehen, dass wir sie begreifen. Und begreifen heißt, dass wir sie in die Hand nehmen können. Und Lego-Steine können wir tatsächlich begreifen. Und damit begreifen wir mit den Lego-Steinen.
Mangel: Herr Giesen, Sie haben den Lego-Film ja schon gesehen. Da tauchen jetzt eben diese Welten aus den virtuell erzeugten Bausteinen auf. Wird da ganz gezielt, wenn man jetzt von der Werbebotschaft einmal absieht, diese Vorstellung befeuert, dass sich alles, wirklich alles aus einfachsten primitiven Bausteinen zusammensetzt?
Giesen: Das eigentlich nicht. Selbst die Menschen, also die Lego-Menschen – jetzt habe ich das Wort erwähnt –, selbst die sind schon fertig, ihre Gesichter sind normiert. Ich habe das Gefühl, sehe ich diesen Film, eines großen Widerspruchs: Auf der einen Seite fordert man ja die freie Exploration eines Universums, das heißt, der Zukunft, wie sie vor uns liegt, die man mit kleinen Steinen begreifen will. Auf der anderen Seite werden einem aber normierte Inhalte vorgegeben. Das heißt, der Schöpfer bekommt aus der Retorte "Star Wars", Piratenschiffe, Bausätze, die in sich geschlossen sind. Ich baue nicht mehr frei, sondern, ob Abenteuer, ob Piraten, was weiß ich, diese Inhalte erhalte ich aus dem Kasten. Und nur innerhalb dieser Spielregeln entfalte ich mich frei. Das ist schon ein Spiegelbild unserer Gesellschaft: So soll die Gesellschaft der Zukunft aussehen, es soll Kreativität geben, aber bitte schön in gesetzten Grenzen.
Fischer: Frau Mangel, Sie haben soeben die Frage gestellt an Herrn Giesen, ob wirklich etwas aus diesen einfachen oder, Sie haben, glaube ich, primitiven Bausteinen ... besteht. Das ist genau die Grenze dieses Modells der Lego-Steine: Denn es könnte sein, dass, wenn Sie dieses Modell immer benutzen, dass man wirklich das Gefühl hat, dass Atome so einfach sind, dass Gene so einfach sind. Und da ist genau das Gegenteil der Fall, denn die Atome sind eben keine Steine. Und da kommt jetzt sogar noch was Besonderes hinein, und das gilt auch für die Gene: Lego-Steine haben ein definitives Aussehen, das wir alle kennen, das wir mit Fingern anfassen können. Wir kennen die Noppen, wir kennen die Ecken, wir kennen die Kanten. Und Atome haben das nicht, Gene haben das nicht. Und da ist die ganz spannende Sache, die wir vielleicht durch die Analogie mit den Lego-Bausteinen verbauen: Wir haben alle das Gefühl, dass Atome ein Aussehen haben, und sollten wissen, dass sie das nicht haben.
Mangel: Und steckt da nicht auch so eine Form von Beruhigung oder auch Verharmlosung dahinter, dass man Forschungen, die sich im Moment abspielen, in dieser vereinfachten Form mit Lego-Steinen, die jeder aus dem Kinderzimmer kennt, erklärt?
Fischer: Also, für mich ist es immer so: Wenn Sie da vorne stehen und Sie müssen jetzt Atomphysik oder Molekularbiologie erklären, und Sie fangen an, trickreich zu erklären, dass die Atome zum Beispiel kein Aussehen haben, dann wird das Publikum unruhig. Aber wenn Sie sagen, das sind Lego-Steine, die Sie zusammensetzen können, dann versteht zwar keiner, was wirklich der Fall ist, aber alle haben das Gefühl, dass sie was verstanden haben, und gehen beruhigt und zufrieden nach Hause. Und jetzt ist die Frage, was wollen Sie? Ein aufgeregtes oder ein zufriedenes Publikum? Also, ich bin für das aufgeregte Publikum, aber die Lego-Steine machen das Publikum beruhigter, zufrieden.
Giesen: Und so sah ich es übrigens auch. Ich sehe ein zufriedenes Publikum, das mit der Botschaft der Sozialpartnerschaft aus dem Kino geht – zwischen Eltern und Kindern, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und jeder kann frei bauen, aber mit den vorgegebenen Bausteinen. Und das wird nicht hinterfragt. Diese Überspitzung, dass man eben sagt, das ist ein Universum ... Es ist ja kein Universum, es ist ja nur ein Bild für ein Universum.
Gen-Lego spielen mit Stammzellen
Fischer: Aber das ist das, was Menschen wollen, sie wollen die Welt oder das Universum begreifen. Und die Lego-Steine können genau das, sie können sie begreifen.
Mangel: Ich war bei der Recherche hin und weg, als ich gesehen habe, dass Nachwuchsbiologen am berühmten MIT, dem Massachusetts Institute of Technology, für Ihre Entdeckung sogar mit einer großen Lego-Stein-Trophäe geehrt werden. Und da fragt man sich doch, was für ein Bild von Wissenschaftler da auch transportiert wird, Herr Fischer.
Fischer: Der Wissenschaftler ist und bleibt ein Spieler. Wir haben einfach Lust und Freude und Neugierde, wie Kinder. Also, das ist ...
Mangel: Der Forscher mit Spieltrieb.
Fischer: Was große Wissenschaftler, also, nennen wir mal den größten aller Wissenschaftler, Albert Einstein immer gesagt hat, er hat es geschafft, bis zum Ende seines Lebens ein Kind voller Neugierde zu sein. Und das sind die auch. Und ich glaube, Sie müssen ja auch sich vorstellen, in diesen Laboratorien, von denen Sie gesprochen haben, herrscht ja ein ungeheurer Konkurrenzdruck. Sie vergeben dann quasi so eine Art Kindertrophäe, so einen Lego-Baustein, da lachen alle, die Spannung aus der täglichen Wettbewerbsarbeit löst sich auf. Und im Grunde genommen ist das sehr produktiv für die zukünftige Arbeit. Wenn Sie sozusagen Gen-Lego spielen mit Hefezellen, da geht das ja noch, aber wenn Sie dann Gen-Lego spielen mit Stammzellen, dann könnte einem schon mulmig werden.
Mangel: Herr Giesen, stößt dieses Lego-Bauprinzip denn auch im Film irgendwo an seine Grenzen?
Giesen: Ja, da ganz klar. Vor allen Dingen natürlich an die Grenzen der Geschichte und der Fantasie. Es wird ja hier ein Kampf gegen das Verkleben dieser Steine geführt. Und es ist so eine kleine Anarchistengruppe, die sagt, diese Bausteine müssen frei verbaut werden. Dann sieht man, dass hinterher aber das Bild der Freiheit selber verbaut ist. Es gibt zur selben Zeit Filme mit Spielfiguren, die kommen aus Frankreich, "Panique au village", "Panik im Dorf", das sind so kleine Plastikfiguren, mit denen gespielt wird. Und das ist total anarchistisch, und das ist eine ganz freie Fantasieentfaltung, sehr spielerisch und ohne an ein konkretes Produkt gebunden.
Fischer: Ich würde das Wort anarchistisch gerne aufgreifen oder Anarchie: Ich glaube nämlich, ein Vorteil der Lego-Steine ist, Sie können die zusammensetzen, wie Sie wollen, zum Schluss können Sie draufhauen und alles wieder auseinandernehmen. Ich habe einen Enkel, der macht das mit Vorliebe, der wartet nur darauf, dass der Turm hoch genug ist, und dann kommt die Attacke. Also, wenn wir jetzt den Wissenschaftler als denjenigen bezeichnen, der mit der Lego-Welt versucht, die Welt zu begreifen, die ihm aufgegeben ist, dann kommt plötzlich über das Zerstören-Können die merkwürdige Dimension der Kunst hinein. Denn Künstler sind anarchistischer als Wissenschaftler. Wissenschaftler wollen immer synthetisieren, erklären, fest haben. Künstler sagen, das ist misslungen, ich fange neu an. Und beim Lego können Sie genau das: Sie machen einen Entwurf, dann merken Sie, der Turm sitzt schief, dann – peng! – hauen Sie drauf und das kostet nichts, Sie fangen wieder neu. Nicht nur, dass es nichts kostet, Sie haben sogar Spaß dabei.
Karkowsky: Der 3-D-Lego-Film mit dem Titel "The Lego Movie" kommt heute in ein Lichtspieltheater, hoffentlich auch in Ihrer Nähe. Sie hörten dazu ein Gespräch von Alexandra Mangel mit dem Animationsfilmexperten Rolf Giesen und dem Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema