Kino-Interview

"Diese Gedenksteine von Filmen berühren mich einfach nicht mehr"

Julia von Heinz im Gespräch mit Holger Hettinger · 23.01.2014
Einen frischen und frechen Film über den Holocaust wollte sie drehen, erzählt die Regisseurin Julia von Heinz. In "Hannas Reise" geht eine junge deutsche Frau aus Karrieregründen zum Freiwilligendienst nach Israel – und erfährt dort mehr über ihre Familie in der NS-Zeit.
Christine Watty: Heute startet der Film „Hannas Reise“ in den Kinos und wir haben uns mit der Regisseurin Julia von Heinz unterhalten über eine Liebesgeschichte, die in Israel spielt und deren Protagonistin aus Deutschland nicht nur dem Mann ihres Herzens begegnet, sondern auch der Vergangenheit ihrer Familie.
Wieso sie sich, Julia von Heinz, für diesen Zugang und diese Thematik entschieden hat, das hat sie uns erzählt, und zwar im Gespräch mit meinem Kollegen Holger Hettinger.
Julia von Heinz: Das waren eigentlich die drei Themen, die sich durchgesetzt haben im Laufe dieser Entwicklungsarbeit: Israel und die deutsch-jüdische Geschichte. Das ist so ein großes Thema mit so vielen Aspekten und es hat sich einfach irgendwann rauskristallisiert, was wir erzählen, nämlich diesen Weg von der Hanna, diese innere Reise von ihr, und wem muss sie begegnen, um etwas von sich selbst zu begreifen und auch noch mal aufzumachen.
Sie lebt ja sehr verplant am Anfang, ein bisschen frühvergreist, eigentlich fast schon wie eine 50-Jährige mit vorgefassten Plänen. Wir waren aber auch viel in Israel und haben dort einen Freundeskreis, mein Mann, mit dem ich das Drehbuch geschrieben habe, und ich. Im Itay findet sich vieles wieder, was wir von Freunden von dort kennen, doch auch natürlich der Drang, das Land zu verlassen, Berlin als gelobtes Land, kann man schon fast sagen. Viele Israelis in unserer Generation wollen gerne in Berlin leben, weil es so ein freies Lebensgefühl verspricht.
Es lag irgendwo auf der Hand, wenn man was über eine deutsch-israelische Liebesbeziehung erzählt, einer Figur von dort auch was mitzugeben, was ihn nach Berlin zieht. Anhand von ihr wollten wir einfach einen Charakter schaffen, der möglichst widerwillig, möglichst stark als Fremdkörper in dieses Land kommt, weil wir das Gefühl haben, dass das vielleicht auch Zuschauer abholt, die nicht so ein Interesse von vornherein an dem Thema haben.
Holger Hettinger: Das ist genau dieser Punkt, wo man denkt, 'Uh, Drittes Reich' und so. Was hat Sie denn da konkret gereizt an diesem Stoff?
"Emotional jemanden aus unserer Generation abholen"
von Heinz: Zu gucken, ob man das Thema nicht doch noch mal so erzählen kann, dass es nicht den Reflex auslöst, kann ich nicht mehr hören, weiß ich alles, nervt mich nur noch. Ich kann die Haltung nämlich nachvollziehen. Ich finde, es gibt viele Filme, wo ich selber schon kaum noch Lust habe, reinzugehen, wenn ich weiß, der spielt jetzt wieder im Warschauer Ghetto, oder diese Gedenksteine von Filmen, die es einfach gibt, die mich aber nicht mehr berühren, weil sie eigentlich bei mir eine Betroffenheit auslösen sollen, aber es nicht mehr tun.
Wir haben gesucht zu gucken, kann man vielleicht doch noch mal berühren mit dem Thema, emotional jemanden aus unserer Generation abholen, und kann man darüber vielleicht auch lachen, finden wir einen Ton, der mich völlig anders zurücklässt, nämlich nicht betroffen, sondern mit dem Gedanken, ja, es ist auch noch ein Thema, was heute eine Rolle spielt, aber es hat auch mittlerweile komödiantische Aspekte.
Hettinger: Das sind wir auch beim Ton dieses Films. Der hat mich eigentlich sehr, sehr beeindruckt, dass es, Sie sagen es, nicht so eine gravitätische, düstere Schwere hat, sondern das ganze ist ein bisschen frecher, es ist rotziger, es ist frischer als das, was man von diesen, sagen wir, verhaltenen Kammerton-Filmen her kennt, ganz besonders natürlich fokussiert in der Figur des Itay. Der spart natürlich nicht mit Juden- und mit Nazi-Witzen, ist herrlich politisch unkorrekt. Welche Funktion hatte genau dieser Stachel innerhalb Ihres filmischen Konzepts?
von Heinz: Erst mal begegnet das einem tatsächlich dort. Wenn man in Israel ist, hat das einen anderen Umgangston als den wir hier kennen. Wenn dort ein Holocaust-Witz erzählt wird, lachen viele Leute. Auch das mit den deutschen Mädchen, die so leicht zu haben sind wegen ihren Schuldkomplexen und so, das sind Sprüche, die haben wir da gehört. Man weiß das hier nicht, dass es diese Sprüche gibt, und wir fanden es toll, das einfach mal zu zeigen. Man erlaubt sich da einfach einen anderen Tonfall, den wir uns vielleicht manchmal nicht trauen anzuschlagen hier in Deutschland.
Es soll dazu führen, dass man eben nicht genervt abwinkt, sondern noch mal Lust hat, sich diesem Thema zu widmen als Zuschauer. Das war mein Hauptanliegen, weil ich finde schon, dass es noch was mit uns zu tun hat. Man denkt, das ist 70 Jahre her und kann so abgehakt werden, zumal man ja damit auch ein bisschen zugeballert wird im Unterricht, und ich fand es schön rauszufinden, ob man nicht doch noch mal jemand dazu bewegen kann nachzudenken, was hat das mit mir heute noch zu tun. Ich habe auch festgestellt, dass es klappt. Es gibt viele Leute, die nach dem Film zu mir kommen und von ihrer eigenen Familiengeschichte erzählen, oder sagen: 'Ach, ich frage mal nach, ich habe noch nie richtig gefragt'. Das war für mich ein Ansporn, so was zu erreichen. Ich hoffe, dass es funktioniert.
"Deutsche Mädchen sind wegen ihren Schuldkomplexen leicht zu haben"
Hettinger: Sie thematisieren da ja eine bestimmte Generation, die dritte Generation, soziologisch gesprochen, also die Enkel derer, die im Dritten Reich gelebt haben, die sich womöglich schuldig gemacht haben. Ich habe den Film mit meinen Studenten gesehen, also mit ganz jungen Leuten, die so Anfang 20 sind. Das hat sich auch ganz gut getroffen, weil ich dachte, die Identifikation zur Hanna ist da groß. Und die haben mir hinterher gesagt, was ist denn das für eine, wir haben doch unsere Familiengeschichte und die Dritte-Reich-Geschichte wirklich bis ins kleinste Detail ausgeleuchtet. Oder wenn ich an mich denke: Also, ich glaube, ich habe innerhalb meiner Schulzeit drei Aufsätze geschrieben zum Thema, was meine Großeltern im Dritten Reich getrieben haben. Da habe ich mich gefragt: diese dritte Generation, kann die wirklich so ahnungslos sein?
von Heinz: Das ist interessant, dass Sie das sagen. Ich habe eine andere Erfahrung gemacht: nicht nur, dass es Studien gibt ganz offiziell, dass, glaube ich, 15 Prozent der Deutschen glauben, ihre Großeltern waren im Widerstand, und nur ein Prozent aller Leute meiner Generation denken, dass ihre Großeltern Nazis waren. Ich glaube eher, dass die persönliche Geschichtsschreibung, also das Erzählen innerhalb der Familien, nicht so großflächig stattgefunden hat, wie Sie das jetzt beschreiben. Vielleicht haben Sie es mit Akademikerkindern zu tun, die eher da mal zurückkommen. In der breiten Masse ist es eher so, dass Deutschland es irgendwie geschafft hat zu vermitteln: Klar, es gab diese bösen Nazis, aber das waren alles eher nicht unsere Eltern und Großeltern, sondern die waren alle eher Mitläufer oder grundsätzlich sogar dagegen.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Szene aus "Hannas Reise": Die Schauspieler Doron Amit als Itaj und Karoline Schuch als Hanna© picture alliance / dpa
Hettinger: …, also das sich jetzt weniger über den Abstand Aufklärung vollzogen hat, sondern sich eher eine verklärende Firnis über alles gelegt hat?
von Heinz: Ja! Da ja 60 Prozent aller Deutschen damals organisiert waren in faschistischen Organisationen, nicht jetzt nur die NSDAP, sondern mit allen Organisationen, die es da auch im Umfeld gab, ist es nicht so, dass 60 Prozent aller Leute der dritten Generation das auch denken, dass ihre Großeltern da organisiert waren, überhaupt nicht. Seltsamerweise hat dieses Land es eher geschafft zu vermitteln: Das waren alles eher Mitläufer, die das eigentlich blöd fanden, aber ja leider nicht sagen konnten damals. Das ist das, was ich eher spüre, und sogar in meinem kleinen Filmteam gab es genug Leute, die auch zum ersten Mal in Israel waren und die auf Nachfrage nicht wussten, was ihre Großeltern gemacht haben.
Hettinger: Die Hanna macht sich ja auf die Suche. Die Großeltern haben in einem arisierten Haus gelebt. Das ist auch der Grund, warum die Mutter das geworden ist, was sie ist, letztlich auch ein großer Grund für diese Sprachlosigkeit, die so monolithisch zwischen denen steht. Hanna macht sich auf die Suche nach dieser Familie Hirsch, der das Haus gehört hat, bevor es enteignet und arisiert wurde. Da hatte ich so einen kurzen Moment das Gefühl, als sie auf die Reise geht: Oh nein, bitte nicht, die findet den jetzt und dann ist dann doch wieder Geigen. Aber genau diesen Weg verweigern Sie ja diesem Film. Sie steht nachher vor einem verschlossenen Tor, und das steht ja auch sehr stark sinnbildlich. Wie stark muss man da kämpfen, um gegen diese, ich sage mal, Erlösungssystematiken, die dieses Thema immer in sich bereithält, um dagegen zu kämpfen, um diese Erlösung mehr oder weniger eben nicht zu bieten?
"Oben werfe ich eine Münze ein, unten kommt die Betroffenheitsgeschichte raus"
von Heinz: Das haben Sie wirklich jetzt gut gesehen, finde ich, weil es bietet sich erst mal an. Es gab natürlich die Drehbuchfassung, wo Gertraud, die Holocaust-Überlebende, die sie besucht, irgendwann ihre Geschichte erzählt. Sich davon zu befreien und zu sagen, nein, diesen Holocaust-Automat, wo ich oben die Münze reinwerfe und unten kommt die Betroffenheitsgeschichte heraus zum 100. Mal, nein!
Es bleibt genau dann spannend, wenn wir nur ihre Geschichte erzählen, und auch die ist eine Geschichte, wo nicht der Opa bei der SS war und an der Grube geschossen hat. Nein, sondern es ist eben eine Geschichte, wie sie tausendfach im kleinen stattgefunden hat. Uns hat sehr inspiriert der Film von Verhoeven, Das menschliche Versagen, wo klar wurde: das sind Listen, da steht „hier vier Euro für ein Leinentuch bezahlt“ oder „für fünf Servietten“. Es ist im kleinen überhaupt kein Unrecht, so wie vielleicht auch die Übernahme dieses Uhrengeschäfts in Hannas Reise kein Unrecht war, vielleicht war es sogar eine Hilfstat in dem Moment. Aber dieses tausendfache kleine Unrecht hat sich zusammengesetzt zu diesem großen Unrecht, und es war wirklich viel Arbeit zu sagen: Je kleiner diese Geschichten sind, desto mehr bin ich bereit, im Film mir das auch noch mal anzugucken.
Hettinger: Es gibt ein sehr schönes Sprichwort, das da heißt: Jerusalem betet, Haifa arbeitet, Tel Aviv feiert. Ich finde, von diesem feiernden Tel Aviv sieht man auch sehr viel: dieses Lebensgefühl dieser Menschen dort, aber gleichzeitig auch dieser Tanz auf dem Vulkan, die Omnipräsenz von Militär, aber gleichzeitig auch dieses, habe ich mich gefragt, selbstverständliche Umgehen. Ist es selbstverständlich, ist es das nicht? Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie diesen israelischen Alltag in Israel eingefangen und arrangiert?
von Heinz: Wir haben versucht, sehr genau das darzustellen, was einem deutschen Freiwilligen dort passiert. Das, was man als deutscher Freiwilliger dort zu Gesicht bekommt, wollten wir so widerspiegeln. Wir hatten im Jahr vorher für „Aktion Sühnezeichen“ einen kleinen Film gemacht, 50 Jahre deutscher Freiwilligendienst in Israel, und konnten dafür Freiwillige begleiten, konnten die alten Holocaust-Überlebenden, die ja wirklich die Freiwilligen empfangen bei sich zuhause einmal die Woche, konnten mit denen sprechen, und das haben wir ziemlich genau auch wieder dargestellt. Es mag manchem – das habe ich auch schon gehört – der Palästina-Konflikt zum Beispiel fehlen in dem Film. Wir haben aber gesagt, nein: wir konzentrieren uns wirklich auf das, was einem als Deutschen da erst mal begegnet, und diese vielen anderen Konflikte, die es in Israel auch gibt und die auch erzählt werden müssen, lassen wir aus, sondern suchen nur das aus, was einem dann auch tatsächlich dort begegnet.
Watty: Julia von Heinz war das über ihren neuen Film „Hannas Reise“, der heute in die Kinos kommt und über den sie sich mit meinem Kollegen Holger Hettinger unterhalten hat.
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