Kino gegen den Krieg

Von Camilla Hildebrandt · 28.06.2012
Nach den Dreharbeiten zu "Das Herz von Jenin" ließ den Stuttgarter Regisseur Marcus Vetter der israelisch-palästinensische Konflikt nicht mehr los. Er baute ein altes Kino im Krisengebiet auf, um für den Frieden zu werben. Der Dokumentarfilm "Cinema Jenin" kommt nun in die Kinos.
"Ich kam in Israel an, und das Erste, was sie dort sagten, war: Ihr geht auf keinen Fall nach Jenin! Damals, wenn du Jenin nur in den Mund genommen hast, sind alle tot umgefallen!"

Aber natürlich sei er schließlich hingefahren, sagt Marcus Attila Vetter, und schaut sich den Film-Beginn auf dem Computermonitor in seinem Kellerbüro an, das gerade vergrößert wird. Bilder vom Flüchtlingslager in Jenin, der Stadt, die beinahe nahtlos in das Lager übergeht, von den Einschusslöchern in den Kino-Außenwänden, vom vergammelten Zuschauersaal, vom zerstörten Filmprojektor.

Filmausschnitt "Cinema Jenin": "Ich kam zum ersten Mal 2007 nach Jenin, um einen Film über Ismael zu drehen, dessen Sohn Achmed von israelischen Soldaten erschossen wurde. Jenin war ein Bollwerk der palästinensischen Widerstandskämpfer - und ich war sehr besorgt. Palästina hatte einst viele Kinos, aber alles endete mit der ersten Intifada 1987."

Die Idee - sagt der 45-Jährige und steckt sich eine neue Zigarette an -, war anfangs, den Menschen dort ein Stück ihrer Würde zurückzugeben. Denn fast jeder hat dort Tote zu beklagen. Alles dreht sich beinahe ausschließlich um den Krieg zwischen Israel und Palästina.

"Ganz am Ende ging's plötzlich um ganz andere Dinge. Wir haben das Projekt damals auf der Entscheidung von Ismael aufgebaut, die Hand zu reichen, die er nicht alleine gereicht hat. Er brauchte mehrere Menschen, die mutig sind. Letztendlich wollte ich nichts anderes machen als das, was ein Mensch getan hat, auszuloten, ob eine Stadt wie Jenin dafür bereit wäre."

Marcus Vetter - Kurzhaarschnitt, hohe Stirn, hellbraune Augen - ist in Stuttgart nur bei der deutschen Mutter aufgewachsen, als Einzelkind. Der Vater war ein türkischer Gastarbeiter, hatte aber zu Hause in Anatolien bereits eine Frau und zwei Kinder.

"Das war für uns beide nicht einfach, ehrlich gesagt. Meine Mutter kommt aus einer relativ konservativen Familie. Sie ist von ihren Eltern verstoßen worden, musste das Studium aufgeben und hat dann angefangen, auf Lehramt zu studieren mit mir. Ja, es war bestimmt nicht einfach."

Vetter sieht mit sieben Jahren den Vater zum ersten Mal, als dieser versucht, Kontakt aufzunehmen. Aber in Erinnerung bleiben ihm nur die spitzen Schuhe des Vaters. Kennen lernt er ihn erst, als er mit 38 einen Film über ihn dreht, "Mein Vater, der Türke" - und drei Auszeichnungen dafür bekommt.

Filmausschnitt "Mein Vater der Türke": "Inzwischen war mein Bruder aktiv geworden, er sagte: Nach Hause kannst du nicht gehen, deine Mutter nimmt dich nicht auf. Die einzige Möglichkeit ist, dass du als Hausschwangere in der Landesklinik arbeitest. Den meisten meiner Mitgenossinnen war es egal, wenn ihre ungeborenen Kinder Schäden bekamen…"

Marcus Vetter: "Irgendwann hat mir meine Mutter ihre Tagebuchaufzeichnungen geschickt, und die haben mich schwer beeindruckt, weil ich erkannt habe, wie konservativ die Familie war, dass sie das überhaupt nicht zugelassen haben. Dass die Brüder letztendlich - so wie in der Türkei auch - ihre Schwester unter Druck setzten. All das hat mich so fasziniert, dass ich dachte, ich mache einen Film über Gastarbeiter. Aber dann wurde mir klar, da kann ich mich nicht entziehen, immer Filme über andere Leute machen und mich komplett aussparen."

Marcus Vetter lernt in der Türkei seine vier Halbschwestern kennen und einen 70-jährigen Vater, der immer abwesend war - nicht nur für ihn.

Filmausschnitt "Mein Vater der Türke": "Er hat mir sehr gefehlt, aber das alles weiß er nicht, ich hab ihm das nie gesagt. Niemand weiß es."

Das ganze Dorf, erklärt Vetter - heute selbst Vater von zwei großen Kindern -, war männerlos, weil sie zum Arbeiten in andere Städte oder Länder gingen:

"Es ist ein sehr liebevoller Film, es ist mein wichtigster Film, aber dieses Happy End - das ist oft nicht da."

Nach der Schule studiert Vetter European Business Management in Worms, Buenos Aires und Madrid und entscheidet sich dann für ein Volontariat bei der Bavaria Film. Mit 27 beginnt er als freier Redakteur und Autor beim Süddeutschen Rundfunk. Seine ersten Filme entstehen. In den Nahen Osten und nach Jenin kommt er schließlich, weil eine israelische Filmproduktionsfirma auf ihn aufmerksam wird.

Wenn Marcus Vetter von seinen Filmprojekten erzählt, wird schnell klar, dass er mit 150 Prozent Einsatz dabei ist. Einfach nur drehen und dann wieder gehen - das ist nicht sein Konzept. Drei Jahre war er letztendlich in Jenin, mit Volontären aus der ganzen Welt, die geholfen haben das Kino wieder aufzubauen. Auch seine Familie war in den Ferien dabei. Seine Frau ist Schauspielerin und selbstständig, die Kinder waren damals noch Teenager.

"Hoffnung zu machen mit Filmen, finde ich sehr wichtig, zu zeigen, dass Mut, Zivilcourage zu einem Erfolg führen. Aber Dinge sind oft viel komplexer. Und die Menschen möchten oft, dass es schnell gut geht, und schnell geht oft gar nichts gut."

Filmausschnitt "Cinema Jenin": "Dezember 2008: Israelischer Luftangriff auf Gaza."

Marcus Vetter: "Es ist sehr wichtig, so eine Institution zu haben, es ist vor allem wichtig: Verlässlichkeit mitzubringen. Es bringt gar nichts, einen Ein-Wochen-Workshop zu machen, sondern, immer wiederzukommen, dass die Menschen dort das Gefühl haben, sie sind nicht alleine."

Für Jenin war die Eröffnung des Kinos am 5. August 2010 eine Entscheidung zur "Normalisierung", ohne dass die israelische Besatzung in Jenin aufgehoben ist. Wie es weitergeht, hängt nun aber nicht mehr von Marcus Vetters Engagement ab.

"Ich musste dieses Kinoprojekt abgeben, es ist in der Hand von Jenin, nicht mehr in meiner Hand."


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Ein Eingang zum Hinterhof des Kinos "Cinema Jenin"
Ein Eingang zum Hinterhof des Kinos "Cinema Jenin"© picture alliance / dpa / Sara Lemel
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