Kino

Cineastischer Viktualienmarkt

Premiere des Films "Hirngespinster" auf dem Filmfest München, (l-r) Johannes Silberschneider, Tobias Moretti, Jonas Nay, Ella Frey, Stephanie Japp, Susanne Schröder und Jörg Witte
Der Cast des Films "Hirngespinster" auf dem Filmfest München, (l-r) Johannes Silberschneider, Tobias Moretti, Jonas Nay, Ella Frey, Stephanie Japp, Susanne Schröder und Jörg Witte © picture alliance / dpa / Foto: Tobias Hase
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 30.06.2014
158 Filme aus 51 Ländern sind aktuell auf dem Filmfest in München zu sehen. Darunter werden in der Hommage-Reihe Filme des Schauspielers und diesjährigen CineMerit-Award-Preisträgers Udo Kier gezeigt, und Premiere feiert das deutsche Psychodrama "Hirngespinster".
Die Glocke
"Fest gemauert in der Erden / Steht die Form, aus Lehm gebrannt. / Heute muß die Glocke werden. / Frisch Gesellen, seid zur Hand. / Von der Stirne heiß / Rinnen muß der Schweiß."
Der Schauspieler Udo Kier rezitiert Schillers Ballade in der Kunsthalle Bonn. Ein Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm "Arteholic". Er wurde heute Abend in München uraufgeführt und erzählt von Udo Kiers Leidenschaft für die Kunst und von seinen Freundschaften mit zeitgenössischen Künstlern. Vor dem Film wurde der 69-jährige Schauspieler mit dem Cine Merit Award für sein Lebenswerk ausgezeichnet, nach Mario Adorf, der zweite deutsche Schauspieler überhaupt in der Geschichte des Preises. Udo Kier ist ein Wanderer zwischen filmischen Welten, zwischen Hollywood Großproduktionen und europäischem Autorenfilm:
"Film ist ja Schatten und Licht und in Amerika sind die Schatten länger. Ich mache beides gerne, diesen amerikanischen Film, wo man von vornherein weiß, wenn man "Armageddon" dreht mit Bruce Willis, geht um die ganze Welt und man hat diese Popularitätssteigerung dadurch, dann ist alles größer, breiter, teurer, höher, alles ist anders und wenig Seele. Und dann der europäische Film, ich hatte ja wirklich das Glück mit Fassbinder oder Wim Wenders oder Herzog, mit Freunden zu arbeiten für Film und das ist eigentlich mir lieber."
Junge Filmemacher und Entdeckungen
In München sucht man die eigene Handschrift, eigenwillige Filme mit ganz unterschiedlichen Produktionsvolumen, vom Autorenfilm aus Venezuela bis zur Fernsehserie über die italienische Camorra. Neben der Hommage an die Veteranen geht es besonders um die jungen Filmemacher sagt Festivalchefin Diana Iljine:
"Immer noch sind wir ein großes Entdeckerfestival und das Gros wird von recht jungen Filmemachern und Entdeckungen bestimmt, auf die wir sehr stolz sind, insbesondere natürlich, wenn wir eine gute Nase hatten und die später vielleicht noch bekannter werden. Ich würde mal sagen 80 – 20. Und die 20 Prozent großer Namen, die braucht jedes Festival, wir haben hier die Doris Dörrie, den Godard, den Wim Wenders und die brauchen wir natürlich, um auch um das Interesse und die Presse auch auf die anderen Filme zu lenken."
Viele junge Filmemacher erzählen persönlich Biografisches, andere suchen über vertraute Genremuster nach neuen Formen und Inhalten. In der rauen und melancholischen Landschaft Jütlands erzählt der dänische Film "When Animals Dream" auf ganz neue Weise das alte böse Märchen vom Werwolf, erzählt von der Einsamkeit einer jungen Frau und ihrer Mutter in einem abgelegenen Küstendorf. Für Regisseur Johann Alexander Arnby ist der Mythos vom Wolfsmenschen eine Metapher für die Entwicklung eines jungen Mädchens zur Frau und der Repression in einer fast archaischen Dorfgemeinschaft.
Jonas Alexander Arnby: "Ich war etwas besorgt, denn ich wollte auf keinen Fall einen weiteren amerikanischen Werwolffilm wie "Twilight" machen. Mein Film kommt etwas spät, weil mittlerweile jeder diese Hollywood Vampir und Werwolffilme kennt und ich war etwas besorgt, dass das alles in dieselbe Schublade geworfen wird. Denn mein Film ist ganz anders, ist eine europäische, eine nordeuropäische Sicht auf diesen alten Mythos. Wir nehmen die kulturellen Konnotationen und besonders die Psychologie der Charaktere sehr ernst."
Die deutsche Perspektive
Auch deutsche Jungfilmer suchen nach einer neuen Perspektive auf spektakuläre Filmmotive:
Filmsequenz: "Verdammte Scheiße, ich weiß doch genau was hier läuft! Ihr Affen! Ihr blöden seelenloses Lumpenpack!“ / "Sie gehen jetzt besser man nach Hause, ne Runde ausnüchtern." / "Ja, du lässt mich ja nicht in Ruhe, du! Kackvogel!"
Ein Mann tobt, er fühlt sich durch die Satellitenschüssel des Nachbarn bedroht. Der deutsche Film "Hirngespinster" erzählt sehr sensibel von der Zerrüttung einer Familie durch die Psychosen und die schizophrenen Schübe des Vaters. Für Regisseur Christian Bach ging es in seinem Debüt mehr um die Psychologie der Figuren als um den Schockeffekt der Geisteskrankheit:
"Ja, das war mir auch sehr wichtig, ich wollte auch nicht das Thema so ausschlachten als so einen dramaturgischen Kniff, das wird öfter gemacht, gerade im Psychothriller. Ich mag diese Filme, aber das hier ist ja jetzt kein Thriller in keiner Weise und genau das habe ich versucht zu vermeiden. Ich wollte (...) auch nicht filmisch zeigen, wie der Vater jetzt die Welt wahrnimmt, also durch irgendwelche Verzerrungen, das man in seine Perspektive schlüpft. Ich habe bewusst die Perspektive der Außenstehenden, der Gesunden gewählt und ich habe mich bemüht, so aufrichtig wie möglich diese Geschichte zu erzählen."
Um Aufrichtigkeit und einen teilnehmenden Blick auf die Wirklichkeit geht es auch anderen Filmemachern. In "Ein Geschenk der Götter" findet sich eine arbeitslose Schauspielerin plötzlich als Regisseurin für eine Truppe Arbeitsloser wieder. Die alten Meister des sozial engagierten britischen Kinos, wie Ken Loach und Mike Leigh waren für Regisseur Oliver Haffner immer ein Vorbild:
"Aber ich finde das gar nicht einmal unmittelbar wegen dem Sozialdramaaspekt, sondern wie Menschen beschrieben werden. Die Schilderung von Menschen, die liebevolle Beschreibung und der Mut immer auch Emotion zu erzielen. Das das jetzt in dem Fall um Arbeitslose auch geht, gut kommt dazu. Das ist aber nicht, das was ich meine als Anknüpfungspunkt zum britischen Kino."
In den letzten zwei Jahren hat das Filmfest München die Gesamtzahl seiner Filme stark reduziert, hat Filmreihen abgespeckt, gestrafft und umstrukturiert. Den ursprünglichen Charme eines cineastischen Viktualienmarktes, eines Gemischtwarenladen der Filmkulturen strahlt es allerdings auch dieses Jahr aus.
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