Kino-Charts

Top 5 des Arthouse-Kinos

"Victoria"-Regisseur Sebastian Schipper zusammen mit den Darstellern Laia Costa, Frederick Lau und Burak Yigit
"Victoria"-Regisseur Sebastian Schipper zusammen mit den Darstellern Laia Costa, Frederick Lau und Burak Yigit © imago / Future Image
Von Hartwig Tegeler · 04.07.2015
Kopfüber in die Berliner Nacht: "Victoria" von Sebastian Schipper führt die Arthouse-Charts an. Es ist ein Film, der aus einer einzigen, 139 Minuten langen Kamera-Einstellung besteht. Viele Szenen und Dialoge sind improvisiert.
"Wir waren bei Sofia, als sie 'Lost' gedreht hat. Irgendwie bringt es der Film nicht. Er ist doppelt so langweilig wie das wahre Leben."

Der Krieg geht weiter, auch, wenn er vorüber ist. Kino erzählt davon. Immer wieder. Frage ist nur wie.

Platz 5 – "Die Liebe seines Lebens" von Jonathan Teplitzky
"Das müssen Sie ihn fragen."
"Das habe ich, und er wechselt das Thema, wann auch immer wir in die Nähe kommen. Er will nicht über die Eisenbahn reden. Das ist ... Ich weiß auch nicht."

Der ehemalige Soldat, im japanischen Kriegsgefangenenlager gefoltert, kehrt gesund am Körper, krank an der Seele zurück. Seine Frau findet keinen Zugang zu ihm. Nun, das Problem von "Die Liebe seines Lebens" ist der Schnitt. Ein bisschen Vorgeplänkel, die Reise zurück an die Orte des Krieges, das Treffen mit dem ehemaligen japanischen Folterer. Schnitt. Tränen. Schnitt. Versöhnung.
Das ist so albern, sorry, so Kino-unterkomplex, dass auch das brillante Spiel von Colin Firth, Stellan Skarsgård, Nicole Kidman und Hiroyuki Sanada nichts retten können. Nun ist die Rückblenden-Dramaturgie in Simon Curtis' Film - ich verlass mal kurz die Chronologie - nicht wesentlich origineller.

Platz 2 – "Die Frau in Gold" von Simon Curtis

Doch Helen Mirren spielt die alte Jüdin, die ein Gustav-Klimt-Gemälde aus ihrem Familienbesitz - Nazi-Raubkunst - von Österreich zurückbekommen will, mit einer wunderbaren Überheblichkeit. Psychologisch steht die für den Panzer: erschaffen, um zu überleben. Aber diese Überheblichkeit ist auch das dramaturgische Mittel gegen das in solchen Filmen übliche Klischee rührseligen Pathos´.
Platz 4 – "Die Lügen der Sieger" von Christoph Hochhäusler

Christoph Hochhäusler, Regisseur von "Die Lügen der Sieger", hat zu seinem Thriller über einen investigativen Journalisten, der glaubt, einen Giftmüll- und Bundeswehr-Skandal aufzurollen, eine interessante Bemerkung gemacht:

"Hitchcock hat mal gesagt, es ist kein Problem, mit einem Klischee anzufangen. Man darf nur nicht mit dem Klischee aufhören."

Und der düstere Blick auf die Unübersichtlichkeit unserer gesellschaftlichen Verhältnisse, mit denen Hochhäusler seinen Film enden lässt, ist kein Klischee. So gesehen ist übrigens das Ende von "Die Liebe seines Lebens" Klischee in Reinform. Ach ja, die Klischees.
Platz 3 "Die Kirche bleibt im Dorf 2" von Ulrike Grote

Der verhalten deftige, aber in jedem Fall schwäbische, dem liebevollen Schenkelklopfer-Genre verbundene, auf neo-cineastisch Feelgood-Movie-Dorfschwank läuft auch in seiner Fortsetzung nicht nur in Stuttgart und mundartlich verwandten urbanen sowie ländlichen Regionen gut. Alder, und denn komm' die Schwaben dies' ma' soga' na' Hamburch, auf'n Kiez.

"Biddäh? - Des, was Sie da schwätze, verstaht ja kei' Sau, zum Donnerwetter."
"Pust' dich ma hier nich so op, du Blubberkopp!"

Fiebrig, voller Spannung, aufgeregt, aufgewühlt, hitzig, hastig …, ist:

Platz 1 – "Victoria" von Sebastian Schipper

Hektisch, rastlos, ungeduldig, unruhig ... Und dann fügt das Synonymwörterbuch zum Begriff "fiebrig" erstaunlicherweise auch noch das Adjektiv "ununterbrochen" hinzu. Damit ist vielgesagt über diese 139 Minuten lange eine Einstellung von Sebastian Schippers Film.
Grandiose Bewegung. Victoria, Sonne, Boxer, Blinker und Fuß - ein wilder Film-Fluss - kopfüber in die Berliner Nacht. Wenn sich in meinem Kopf eine Musik-Entsprechung fände zu diesem Film, unabhängig von der Musik, die in dem Film zu hören ist ... das hätte - natürlich ist der Konjunktiv falsch - das hat etwas zu tun mit "free", "frei". Wilde Improvisation. Wie bei Ornette Coleman, einem der ewig jungen Freejazz-Alten.

Ein mickriges Geschenk zum Wochenende, ich weiß, nur einehalbe Minute Ornette Colemans "Forerunner", nur ein kurzer Schnipsel von meinem imaginären "Victoria"-Soundtrack. Aber man kann im Kino wie im Leben eben nicht alles haben.
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