Kino

Bösewichte mit Tiefgang

Von Jörg Taszman · 15.09.2014
Ob gelangweilter SS-Mann, sturer Stasi-Beamter oder ein Arzt, in dem Abgründe schlummern: Rainer Bock gilt als Mann für geniale Nebenrollen. Warum er immer Schurken spielen muss? Komödien traut sich in Deutschland keiner, sagt er.
Man sieht ihn jetzt häufig im Kino – und das ist auch gut so. Denn Rainer Bock gehört zu den Schauspielern, die in Nebenrollen glänzen und ganze Filme in nur einem kurzen prägnanten Auftritt veredeln. So auch in Pepe Danquarts Drama "Lauf Junge Lauf" in dem Bock einen SS-Offizier spielt, der einen polnischen Jungen verhört, der Jude ist, sich aber als Christ ausgibt.
"Name?"
"Jurek Stanjak."
"Bist ein Jude? Hose runter."
"Und was ist das."
"Ich hab eine Entzündung gehabt und musste operiert werden."
"Und wenn Du so machst, was bedeutet das?"
"Im Namen des Sohnes, des Vaters und des Heiligen Geistes."
"Du bist ein gescheiter Bursche, ist doch Scheiße, dass du ein Jude bist."
In "Lauf Junge Lauf" spielt Rainer Bock einen fast gelangweilten, schnoddrigen SS-Mann, der durchaus Sympathien für den Jungen empfindet, den er eigentlich zu liquidieren hätte. Bock spielt solche Figuren immer mit einer tiefen Menschlichkeit, vermeidet die Klischees. Auch der Doktor, den er in Michael Hanekes "Das weiße Band" verkörpert, ist eine ambivalente Figur. Als Arzt korrekt, zu Kindern durchaus freundlich, schlummern Abgründe in diesem Witwer. Brutal serviert er seine langjährige Geliebte ab.
"Du hast mir überhaupt nichts getan. Du bist hässlich, du bist ungepflegt und du riechst aus dem Mund. Reicht das nicht? Jetzt sitz hier nicht rum wie das Leiden Christi zu Pferd. Die Welt stürzt nicht zusammen. Über Dir nicht und über mir auch nicht."
Ein großartiger Geschichtenerzähler
Warum er so oft sture Befehlsempfänger, Soldaten, Stasileute oder eiskalte Typen spielen muss, fragt er sich natürlich auch. Dabei blitzt sofort sein Humor auf.
"Mein großes Bedürfnis ist es ja endlich mal Komödie zu spielen. Das traut sich ja in Deutschland keiner. Ich muss immer diese harten – so bin ich aber gar nicht wie diese abgekalteten, verzockten, faschistoiden Typen spielen."
Vielleicht spielt Rainer Bock diese fiesen Typen einfach zu gut und so mangelt es den Regisseuren an Fantasie, ihn auch einmal anders zu besetzen. Sitzt man ihm gegenüber, entdeckt man einen großartigen Geschichtenerzähler, der auch während des Interviews aufspringt, Situationen nachspielt, so wenn ausgerechnet Steven Spielberg während der Dreharbeiten zu "Gefährten" ihn einmal fragte, ob er schon mal in einer Komödie mitspielte?
"Da war ne große Drehpause und wir standen da und warteten und dann sagte er zu mir: Rainer, did you ever play in a comdey. No, in theater yes, but not in television or in a movie. Well. You have to. Das fand ich so wunderbar. Das war der dritte Drehtag."
"Ein beglückender Stress"
Lange Zeit hat Rainer Bock in Deutschland vor allem Theater gespielt. Zunächst in seiner Heimatstadt Kiel, später mit festen Engagements am Staatstheater in Stuttgart und am Residenztheater in München. Zum Fernsehen und Kino kam er erst später. Und seit einigen Jahren alterniert Rainer Bock zwischen deutschen Filmen und ausländischen Produktionen. Manchmal hört er dabei auch auf seine Frau. Denn den australischen Film "Spuren" hätte er fast abgelehnt, weil das Angebot mitten in einer 12-tägigen Drehpause zu "A Most Wanted Man" kam.
"Dann hat meine Frau gesagt. Sag mal bist Du irre? Wer weiß, wann Du je wieder nach Australien kommst. Dann bin ich zwei Tage hin, zwei Tage Kostüm, Maske, drei Tage gedreht. Dann wieder zwei Tage zurück. Es war ein beglückender Stress. Ich hätte mir in den Arsch gebissen, wenn ich das nicht gemacht hätte."
Bodenständig und abgeklärt
Es macht Spaß, diesem Vollblutschauspieler gegenüberzusitzen. Der 60-Jährige mit dem ausdruckstarken Gesicht wirkt im Gespräch jünger als auf der Leinwand. Das liegt vor allem an seiner Lockerheit. So schweift er mitunter kurz ab, erzählt in einem Nebensatz auch von seinem Urlaub mit der Familie. Rainer Bock ist bodenständig und abgeklärt geblieben. So redet er über sein Lampenfieber, das er wie viele Schauspieler braucht und lobt seinen Regisseur von "A Most Wanted Man" Anton Corbijn als sehr verständnisvoll.
"Ich habe Höhenangst. Es war nachts um halb zwölf, wir waren alle müde, aber das musste noch gedreht werden."
Im Drehbuch las sich die Szene noch völlig harmlos, aber dann sollte Rainer Bock auf einen Minibalkon gehen und herunterschauen.
"Es war so ein Gitterrost. Ich will nicht lügen, aber unter dir ging es 30 bis 40 Meter runter. Ich bin sofort gegangen und hab gesagt: Unmöglich, das kann ich nicht."
Regisseur Anton Corbijn hatte dann die rettende Idee. Ein Stuntman hielt Rainer Bock mit einem Seil fest, das man ihm um den Bauch band.
"Es hat total geholfen, diese Gegenspannung zu spüren, während ich dort an der Brüstung stand. Er war da ganz entzückend und sehr geduldig."
"So viel Arbeit – das kann ich nicht."
Bei all den so schön vorgetragenen Anekdoten stellt sich natürlich die Frage, ob Rainer Bock nicht selber einmal ein Projekt anstoßen möchte, zum Beispiel endlich einmal eine Komödie?
"Ich bin zu faul. Was die Entwicklung von Projekten angeht, bin ich zu faul. Es hat zu nichts geführt."
Es ist schon sehr beruhigend auf einen Schauspieler zu treffen, der kein Workaholic ist, auch wenn er sich akribisch vorbereitet, oft an seinem Text feilt. Aber Rainer Bock braucht auch die Pausen.
"Es ging mir schon am Theater so. Immer wenn ich frei hatte, hatte ich frei. Ich kannte so Kollegen, die wurden wahnsinnig, wenn sie nicht mindestens noch zwei Lesungen irgendwo gemacht hätten. Ich sagte: Leute, kommt doch mal runter, entspannt euch doch mal, lasst uns ne Partie Billard spielen gehen. Ich würde verrückt werden. So viel Arbeit – das kann ich nicht."
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