Kino aus der Krisenregion Nahost

Von Abdul-Ahmad Rashid · 02.10.2006
Dass Filme aus dem Nahen Osten in unseren Kinos zu sehen sind, ist einem kleinen Filmverleih aus Münster zu verdanken. Der "Middle Eastern Cinemas"-Filmverleih, abgekürzt "mec film", möchte zeigen, dass Kunst und Film nicht vor der Politik kapitulieren. Irit Neidhardt hat "mec film" gegründet.
"Ein Filmverleih ist relativ risikoreich, weil man nie weiß, welcher Film toppt und welcher floppt. Das weiß niemand. Alle suchen nach dem Schlüssel für dieses Geheimnis, und noch niemand hat es gefunden."

Wer Irit Neidhardt gegenüber sitzt, der hat zunächst nicht den Eindruck, dass die kleine, zierliche Frau mit den roten Haaren und der sanften Stimme das Risiko liebt. In ihrem geräumigen Büro am Hafen in Münster sind die Regale prall gefüllt mit Videokassetten, Fotos mit Filmszenen hängen an der Wand. Die Eingangstür ist mit einem großen Plakat beklebt. "Rana’s Wedding" steht darauf geschrieben. Dieser palästinensische Film lief vor vier Jahren mit großem Erfolg in den deutschen Kinos. Irit Neidhardt hatte damals mit ihrer Firma "mec film" den Verleih organisiert. Doch kommerziell angehauchte Filme sind normalerweise nicht die Spezialität der gebürtigen Heidelbergerin:

"Die Filme, die ich rausbringe, sind Arthouse-Filme schon im klassischen Sinne, und sind in aller Regel überhaupt noch nicht mal mit dem Gedanken an westlichen Markt gemacht, sondern wirklich geht es mir um Kinofilme, die als Kino wertvoll und groß sind."

Vor allem, wenn sie aus dem Nahen Osten kommen. Denn nur solche Filme nimmt Irit Neidhardt in ihren Verleih auf. Ihre Affinität zu dieser Region hat die junge Frau schon früh entwickelt. Als sie neun Jahre alt war, zogen ihre Eltern mit ihr und dem jüngeren Bruder nach Israel. Der Vater, ein christlicher Theologe, arbeitete in einer deutschen Schule. Als Mitglieder der "Aktion Sühnezeichen" wollten Irit Neidhardts Eltern ihren Teil dazu beitragen, für die Verbrechen der Deutschen an den Juden im Dritten Reich zu büßen. Daher auch der Vorname Irit:

"Es ist ein israelischer Name. Ich habe eher Wurzeln von Eltern, der Generation, die noch sehr viel Schuldbewußtsein hat."

Drei Jahre lebte die Familie in Israel. Irit Neidhardt wuchs in Jerusalem und im Norden an der libanesischen Grenze auf. Nach der Rückkehr nach Deutschland war sie fasziniert vom Nahen Osten. Sie begann in Münster ein Studium der Islamwissenschaft und lernte Arabisch, um auch die andere Seite besser verstehen zu können.

"Zwei, drei Tage nach meinen letzten Prüfungen hat mich eine Freundin auf einer Demo angesprochen und hat mir erzählt, dass Thomas Behm und Jens Schneiderheinze, die jetzt das ‚Cinema‘ in Münster machen, die damals noch so ein Kino in einem Kulturzentrum hatten, dass die israelisch-palästinensisch-deutsche Filmtage organisieren und noch jemand suchen, die oder der helfen kann."

Irit Neidhardt betreute in den darauffolgenden Jahren als Kuratorin die wichtigsten Festivals in Deutschland, die Filme aus Israel und der arabischen Welt präsentieren. Ermutigt von der guten Resonanz des Publikums, beschloß sie dann vor zwei Jahren, einen eigenen Filmverleih zu gründen, der ausschließlich Filme aus dem Nahen Osten zeigt.

"Gute Filme sind Geschichten mit ganz urmenschlichsten Problemen, reduziert auf ganz wenige Themen. Und das ist letztendlich, was sowohl mental als auch strukturell der Westen ganz offensichtlich nicht zuläßt, dass arabische Filme und in weiten Teilen auch israelische Filme da quasi mit uns gleichziehen."

Doch das Geschäft des Filmverleihs liegt fest in den Händen von Männern. Von den 200 Filmverleihfirmen, die es in Deutschland gibt, werden nur zwei von Frauen geführt. Eine davon ist Irit Neidhardt:

"Das ist eine absolut männliche Branche, absolut männlich."

Doch wer glaubt, die junge Frau mit dem hellen, wachen Blick würde sich davon unterkriegen lassen, sieht sich getäuscht. Das Schild "Finger weg, ich bin gefährlich!" in ihrem Büro spricht eine eindeutige Sprache. Irit Neidhardt ist ausgebildete Trainerin für Selbstverteidigung. In ihrer Freizeit hilft sie jungen Frauen, sich aufdringlichen Zugriffen von Männern zu erwehren. Für sie selbst auch ein gutes Training, bei dem sie lernt, sich zu behaupten:

"Nicht nur als Frau, sondern auch mit so einem Randthema und mit meiner Weigerung, mich sowohl kommerziellen Filmen zu öffnen, als auch Filme aus anderen Regionen dazu zu nehmen oder zumindest, was mir Leute immer wieder antragen, westliche Filme über den Nahen Osten."

Denn die westlichen Filme, so Irit Neidhardt, steckten oft voller Klischees und offensichtlicher Bezüge über die Lebenswirklichkeit von Juden und Arabern. Die Filme, die sie in ihren Verleih aufnimmt, beschäftigen sich dagegen mit dem Alltag in den jeweiligen Ländern:

"Normale Filme von normalen Leuten für normale Leute gemacht über Themen von normalen Leuten, wie morgens aufstehen und gucken, dass die Kinder rechtzeitig zur Schule kommen, dass man sich nicht zu sehr über den Chef ärgert und dass man abends auch wieder pünktlich beim Abendessen ist. Und das sind die Geschichten, die mich interessieren und wo ich auch glaube, dass die letztendlich das Kinopublikum interessieren, denn das ist ja auch das, was wir uns als deutsche Filme angucken, und in diesem Fall sind sie israelisch oder palästinensisch oder libanesisch, aber da greifen dann andere Kategorien von Themen."

Momentan vermarktet die "One-Woman-Show", wie die 36-Jährige sich selbst bezeichnet, im Jahr nur einen großen Film an die Kinos. Mehr wären möglich, aber damit würde sie sich nur selbst Konkurrenz machen, räumt Irit Neidhardt ein. Und so konzentriert sie sich in Zukunft stärker auf die Vermarktung von DVD- und TV-Rechten. Was nicht heißt, dass sie ihren Filmverleih vernachlässigen möchte. Dieser Bereich bleibt weiterhin für sie spannend:

"Meine Arbeit jetzt hat schon auch was sehr Detektivisches. Die Filme zu finden, rauszupökeln, wie man das vermitteln kann, wer was mit wem zu tun hat, Strukturen zu erkennen, hinter dieser ganzen Maschinerie, die die Filmindustrie ist. Das sind Sachen, die mir totalen Spaß machen."