Kinder ernten Kaffee

Von Andreas Boueke · 03.02.2011
"Hochlandkaffee aus Guatemala" ist ein Exportschlager, doch die Arbeitsbedingungen und Löhne der Pflücker sind schlecht. Viele Wanderarbeiter bringen ihre Familie mit auf die Felder, schon Sechsjährige müssen hier arbeiten.
Die Kleinsten, die hier arbeiten, sind sieben Jahre alt, zehn oder elf. Hier arbeiten schon die ganz Kleinen:

"Das muss so sein. Wir stehen um drei Uhr morgens auf. Dann kommen wir hierher. Gegen sieben fangen wir mit der Arbeit an, wir pflücken Kaffee."

Auf den Kaffeefeldern Guatemalas ist es nicht schwierig, arbeitende Kinder zu finden. Während der Erntezeit sind dort Hunderte Jungen und Mädchen beschäftigt. Sie stehen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zwischen den Pflanzen und pflücken rote Kaffeekirschen.

Doch viele der Kleinen sind so schüchtern, dass sie vor dem Mikrofon kein Wort rausbringen. Oder sie verstehen nur ihre Muttersprache, eine der 22 verschiedenen Mayasprachen Guatemalas. Der vierzehnjährige José aber spricht Spanisch. Auch er ist anfangs schüchtern, doch er hat Lust zu reden:

"Nur wenn wir alle zusammen arbeiten, wird es uns vielleicht eines Tages besser gehen. Mein Vater und meine Mutter allein schaffen das nicht. Die Besitzer der Kaffeefelder behandeln uns wie Hunde, dabei sind wir doch alle gleich im Leben."

Josés Bruder, der achtjährige Miguel, trägt eine Hose mit vielen Löchern − eins direkt über der linken Pobacke. Wenn er sich reckt und streckt, um an die Kirschen oben an den Kaffeepflanzen zu kommen, sieht man, dass er keine Unterhose trägt:

"Manchmal sind wir richtig wütend, aber manchmal ist auch alles gut. Es gibt Tage, da haben wir genug zu essen, und andere, da haben wir nicht genug. Dann schimpfen wir. Wir wollen essen, weil uns der Magen wehtut. Aber es ist nichts da."

José und Miguel arbeiten in der Nähe des Dorfes Santo Tomas im Westen von Guatemala. Der Pazifische Ozean ist keine hundert Kilometer entfernt, aber die Kaffeefelder liegen mehr als tausend Meter über dem Meeresspiegel. Es regnet häufig. Die Anbaubedingungen sind ideal. Eigentlich sollte hier niemand Hunger leiden. Das Land ist fruchtbar. Doch davon profitieren vor allem die Besitzer der großen Kaffeeplantagen. In Guatemala besitzen zwei Prozent der Bevölkerung 65 Prozent des fruchtbaren Landes.

Die Mutter von Miguel und José hält es für normal, dass alle ihre Kinder von klein auf arbeiten. Auch sie hat schon als kleines Mädchen gearbeitet. Heute ist sie eine junge Frau, der die Last der Verantwortung ins Gesicht geschrieben steht. Während Doña Marta spricht, schaut sie schüchtern auf den Boden. An ihren schmutzigen, mit Risswunden übersäten Füßen trägt sie einfache Plastiksandalen mit kaputten Riemen:

"Ich sage meinen Kindern, dass sie hart sein müssen. Das tut mir weh, aber so ist das Leben."

Edgar Tec, der Vater von Miguel und José, ist ein kleiner, dürrer Mann mit hagerem Gesicht. Er sieht aus wie fast 50, ist aber erst 36 Jahre alt.

"Jeden Tag, jede Nacht denke ich darüber nach, was wir am nächsten Tag machen können. Wie kann ich meine Kinder unterstützen? Aber ich kann ja nicht. Wir sind nicht reich. Wir haben kein Geschäft, mit dem wir viel Geld verdienen könnten. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als durchzuhalten."

Die Plantage, auf der José und Miguel arbeiten, heißt Finca San Jaime. Ihr Besitzer ist Jaime Bonifaz, 64 Jahre alt, graues Haar, ein auffällig dicker Bauch. Aber er ist fit und unternehmungslustig. Ihm gehören zahlreiche Ländereien im Westen Guatemalas. Auf seinen Reisen nach Europa und in die USA verhandelt er mit Geschäftspartnern und genießt das Nachtleben von Miami und Rotterdam. Der kleine Miguel hat ihn schon öfter gesehen.

Don Jaime ist ein zorniger Mann. Er schimpft mit den Leuten und manchmal tritt er nach ihnen. Wer ihn um Arbeit bittet, den nennt er einen Dieb. Wenn er glaubt, jemand habe von ihm gestohlen, droht er mit einem Gewehr.

Auf der Finca San Jaime bekommen die Tagelöhner 36 Quetzal für vier Kisten gepflückter Kaffeekirschen. Das sind etwa drei Euro für hundert Pfund. Soviel kann ein ausdauernder Arbeiter an einem Tag pflücken; aber nur, wenn die Bedingungen günstig sind. Mit der Hilfe seiner Kinder schafft er natürlich mehr.

Der Tag geht zu Ende. Doña Marta, José und Miguel haben sich in einem alten Schuppen neben anderen Familien auf den Boden gesetzt, um die gepflückten Kirschen zu sortieren. Sie kippen die Ernte des Tages auf eine alte Wolldecke und picken die grünen Kirschen heraus. Nur die roten kommen in den Sack.

Die Schatten sind länger geworden, die Luft kühler und die Kinder ausgelassener. Sie kennen sich seit Beginn der Ernte und nutzen jetzt die gemeinsame Zeit, um ein bisschen rumzualbern. Doña Marta aber ist enttäuscht über die Ausbeute des Tages: "Mein Sohn gibt gleich den Kaffee ab. Aber es wird wohl nur für drei Kisten reichen."

Auch José ist enttäuscht: "Es werden so 24, 26 Quetzal sein, obwohl wir zu dritt gepflückt haben. Aber zum Essen brauchen wir 30, 40 Quetzal. Es ist also nicht genug. "

Kurz bevor die Sonne untergeht, schleppen die Tagelöhner ihre gefüllten Säcke von den oft weit entfernten Feldern bis zu einer Wegkreuzung. Dort müssen sie sich anstellen. Auf der Ladefläche eines Lastwagens steht der Verwalter Don Camilo. In seinem Schreibblock hat er alle Familien registriert, die auf der Finca arbeiten. Hinter den Namen trägt er die jeweiligen Ernteergebnisse ein.

Ein Pflücker nach dem anderen wirft seinen Sack auf die Ladefläche und wartet, bis Don Camilo verkündet, welches Gewicht er notiert hat. José beobachtet die Szene mit großer Skepsis:

"Glaubst du, die wiegen immer richtig? − Nein. Manchmal nehmen sie einen Teil weg. Außerdem ist die Kiste zu groß. Da sollen nur 25 Pfund reinpassen. Aber dafür ist sie viel zu groß. − Die bezahlen nur sehr wenig. Dafür müssen wir viel leiden. Wir müssen den Kaffee bis hierher tragen, bis zum Wiegen. − Wie fühlst Du Dich dabei? − Schlecht, weil wir uns so anstrengen müssen und dann auch noch bestohlen werden. Ich fühle mich betrogen. Aber wenn sie hören würden, dass ich mit Ihnen darüber spreche, dann bezahlen sie mir gar nichts mehr. Sprechen wir lieber später weiter. Ja?"

Don Camilo macht sich keine Sorgen, dass er die Ernteergebnisse der Arbeiter fehlerhaft berechnen könnte. Wenn er am Ende der Woche die Summe bekannt gibt, protestiert nie jemand. Die meisten Pflücker können weder lesen noch rechnen. Außerdem wissen sie, dass es sich nicht lohnt, einen Streit anzufangen.

In Guatemala hat sich eine Landarbeiterbewegung formiert, die für die Rechte der Tagelöhner und der Kleinbauern kämpft. Doch wenn sie öffentlich auftritt, stößt sie auf den Widerstand der reichen Großgrundbesitzer und nicht selten auch auf staatliche Repression. Die Lateinamerikanische Fakultät für Sozialwissenschaften, FLACSO, mit Sitz in Guatemala-Stadt, hat zahlreiche Studien über die extremen Wohlstandsdiskrepanzen im Land veröffentlicht. Ihr Direktor Virgilio Alvarez meint, die Organisationen der Landarbeiter könnten einen entscheidenden Beitrag leisten, um diese Situation zu verändern:

"Die Bauern müssen Druck ausüben. Sie müssen Bildung einfordern, Schulen für ihre Kinder, bessere Lebensbedingungen in den kleinen Landgemeinden. Ich glaube, der armen Landbevölkerung bleibt nichts anderes übrig, als sich zusammenzutun und mobil zu machen. Sie müssen fordern, dass der Staat seiner Verantwortung gerecht wird. Guatemala wird sich nur dann ändern, wenn der Sektor der Landarbeiter − der größte Sektor der Wirtschaft − es schafft, die politische und wirtschaftliche Debatte in Guatemala zu bestimmen."

Der Junge José kann keine Zeitung lesen. Er hat noch nie an einem Bauernprotest teilgenommen. Aber auch er weiß, dass sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Guatemala ändern müssten, um die Situation der Arbeiter auf den großen Kaffeeplantagen zu verbessern:

"Es gibt viele Bauern, die protestieren, damit ihre Rechte respektiert werden. Ich finde das gut. Einige reiche Leute beuten die Armen aus. Deshalb schließen sich die Armen zusammen. Ich würde auch gerne kämpfen, für die Rechte der Bauern. Die Situation hier ist furchtbar, aber irgendwann wird es besser werden."
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