Kinder auf der Flucht

Sich irgendwie durchschlagen

Flüchtlingskinder auf einem Boot bei der Ankunft in Sizilien.
Flüchtlingskinder auf einem Boot bei der Ankunft in Sizilien. © AFP
Von Jan-Christoph Kitzler · 22.09.2014
Allein in diesem Jahr sollen mehr als 10.000 Kinder und Jugendliche ohne Begleitung nach Italien geflüchtet sein. Manche waren jahrelang unterwegs. Doch eine rosige Zukunft haben die Jungen und Mädchen in Europa nicht. Von einer Schulausbildung können sie nur träumen, für viele gibt es nicht einmal ein Bett.
Hilfsorganisationen schätzen, dass allein in diesem Jahr schon mehr als 130.000 Migranten über das Mittelmeer nach Italien gekommen sind. 10.700 von ihnen sind Kinder oder Jugendliche, die sich allein auf den Weg machen: Nur selten hört man davon, wenn sie bei ihrer gefährlichen Reise scheitern.
Vorletzte Woche zum Beispiel hat sich ein elfjähriger Ägypter tagelang an einem Rettungsring festgehalten, nachdem das Boot, in dem er saß, gekentert war. Am Ende konnte er nicht mehr, haben Augenzeugen berichtet, er musste loslassen und ertrank. Eigentlich wollte er in Italien Geld verdienen für seinen herzkranken Vater.
Die, die die Reise schaffen, haben große Strapazen hinter sich, zum Beispiel die Kinder aus Eritrea, berichtet Charlotta Bellini von Save the Children Italia:
"Die Kinder, die aus Eritrea kommen und allein reisen, sind manchmal nur elf Jahre alt. Und sie sind oft jahrelang unterwegs, manchmal Monate zu Fuß. Sie starten in Eritrea, durchqueren Äthiopien, den Sudan, die Wüste, wo sie oft gefoltert werden. Sie kommen nach Libyen, wo sie eingesperrt werden. Oft werden sie nochmal Opfer von Gewalt. Viele kommen nur mit einem kleinen Rucksack an – nichts ist ihnen geblieben, nur die wenigen Dinge, die sie getragen haben."
Der sogenannte Salaam Palast, ein leerstehendes Haus in einem Vorort Roms, das von afrikanischen Flüchtlingen bewohnt wird.
Der sogenannte Salaam Palast, ein leerstehendes Haus in einem Vorort Roms, das von afrikanischen Flüchtlingen bewohnt wird.© picture alliance / dpa / Marco Zeppetella / Eidon
Am Stadtrand von Rom haben ein paar Jugendliche für einige Zeit ihr neues Zuhause. Unten spielen sie Fußball, oben im fünften Stock schlafen sie, zum Beispiel Ahmed. Er ist mit 14 aus Ägypten nach Italien gekommen, also schon zwei Jahre hier. Die damals klassische Route, übers Mittelmeer nach Lampedusa. In die Schule geht er nicht:
"Ich muss erst mein Leben in Ordnung bringen, dann sehen wir weiter. Meine Freunde aus meiner Gegend sind fast alle in Italien. Viele Jungs arbeiten in Obstgeschäften. Und alle ohne Arbeit sind in so einer Art Ersatzfamilie."
Sie lassen sich ausbeuten für ein paar Euro
Federico Feliciani kümmert sich hier um Ahmed und die anderen. Die meisten Jugendlichen, die er hier betreut, denken nicht an Schule oder Ausbildung. Vor allem die Ägypter haben ein starkes Netzwerk in Rom. Und Vierzehn-, Fünfzehnjährige wie Ahmed bekommen auf den Märkten oder bei Obsthändlern schwere Jobs. Sie lassen sich ausbeuten für ein paar Euro.
"Ihr Ziel ist es, Geld nach Hause zu schicken. Je eher je besser. Da reichen die 400 oder 500 Euro, die man in einem Monat zusammenkratzen kann, um die Lage im Heimatland zu verbessern."
Solange sie können, leben sie in einer dieser Einrichtungen für Migranten, denn das senkt die Kosten. Viele Kinder und Jugendliche aber halten das nicht aus, sie fliehen schon aus den Erstaufnahmelagern. Eigentlich sollen sie hier maximal drei Tage bleiben, oft werden daraus Wochen und Monate. Da gibt es zu wenig Platz, es ist schmutzig und für junge Migranten nicht geeignet, sagt Charlotta Bellini:
"In Italien fehlt im Moment ein System der Aufnahme und des Schutzes von Minderjährigen, die allein kommen. Es gibt nicht genügend Plätze, um sie aufzunehmen, und die, die es gibt, sind oft nicht geeignet. Und dann müssten alle Minderjährigen geschützt werden, sie dürften hier nicht noch einmal in der Ausbeutung und in Gewalt landen."
Italienische Zeitungen haben gerade Bilder vom Mailänder Hauptbahnhof veröffentlicht: Kleine Kinder, offensichtlich ohne Begleitung, schlafen da auf Pappkartons. Eine gute Zukunft in Europa haben diese Kinder wohl nicht.
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