Kernbotschaften des Koran

Rezensiert von Stephanie von Oppen · 06.06.2006
Morddrohungen im Karikaturenstreit, Todesstrafe bei Religionsabfall: Fundamentalismus prägt derzeit das Bild vom Islam. Inwieweit trifft das aber für diese Religion wirklich zu? Oder gibt es auch Auslegungstraditionen, die einen ganz anderen Islam zeigen. Eine Antwort darauf findet man in den religiösen Schriften des ehemaligen iranischen Politikers Mehdi Bazargahn. "Und Jesus ist sein Prophet - der Koran und die Christen" heißt das Buch.
"Jeder Mensch möchte erfahren, wie andere über ihn denken und sprechen. Deshalb mag es für Sie verehrte christliche Brüder und Schwestern, von Interesse sein, die Sicht des Islams und die christliche Religion und die christliche Gemeinschaft kennen zu lernen."

Mit diesen Worten wendet sich Mehdi Bazargan an die Leser seiner Koran-Kommentierungen, die unter dem Titel "Und Jesus war sein Prophet – Der Koran und die Christen" erschienen sind.

Der Professor für Thermodynamik, Islamgelehrte und liberale Politiker Mehdi Bazargan war nach dem Sturz des iranischen Schahs neun Monate lang Ministerpräsident des Iran, eingesetzt von Ayatolla Kohmeini. Angesicht von Radikalisierung und Rechtlosigkeit unter der neuen Regierung trat er zurück. Er war zutiefst gläubig und vertrat einen friedfertigen, toleranten Islam. Schon Anfang der 90er Jahre schickte er seine Koraninterpretationen für Christen nach Deutschland. 1995 starb er. Erst jetzt konnte der Islamwissenschaftler und Schriftsteller Navid Kermani die aus dem persischen übersetzten Schriften herausgegeben. Bazargan habe das Deutungsmonopol der Geistlichkeit immer abgelehnt und die Gläubigen dazu aufgerufen, sich anhand der Quellentexte ein eigenständiges rationales Urteil zu bilden, so der Herausgeber.

Mehdi Bazarghan zitiert und kommentiert Stellen aus dem Koran, die den Umgang der Muslime mit den anderen monotheistischen Religionen, insbesondere des Christentums betreffen. Für Bazargan können Juden und Christen eigentlich auch als Muslime gelten, wenn sie denn gute Gläubige sind. Arabisch Muslim heißt übersetzt in etwa: "Der sich Gott Hingebende". Bazargan schreibt dazu:

"Der Koran beschränkt die Bezeichnung 'Islam' und 'Muslim' nicht auf die Angehörigen dieser speziellen Religion, sondern bezeichnet Mose, Jesus und dessen Jünger sowie Abraham ebenfalls als Muslime. Der Koran verlangt von den Buchbesitzern weder, ihre Religion aufzugeben, er befiehlt ihnen weder, sich der Gebetsrichtung der Muslime zuzuwenden und nach islamischer Sitte zu beten, noch verlangt er, dass sie unserem Propheten Mohammed, unseren Imamen und Gelehrten folgen sollen."

So heißt es in der 3. Sure des Korans:

"Betet nichts außer Gott an und kommt bei einem Wort zusammen, das unser gemeinsames von Abraham überkommenes Erbe ist."

Noah, Abraham, Mose und Jesus werden von den Muslimen als Propheten Gottes anerkannt. Auch Maria kennt der Koran. So wird die Geschichte ihrer unbefleckten Empfängnis erzählt. Jesus kommt unter einer Palme zur Welt.

Allerdings: Dass Jesus Gottes Sohn gewesen sein soll, das lehnt der streng monotheistische Islam ab. Auch die christliche Vorstellung von der Trinität ist den Muslimen völlig fremd. Ebenso kann es nicht sein, dass Jesus am Kreuz hingerichtet wurde – das passt nicht zum Gesandten eines allmächtigen Gottes. Die Interpretation der Muslime: Es fand eine Verwechslung statt. Ein anderer wurde gekreuzigt und Jesus fuhr unbemerkt in den Himmel.

Bazargan argumentiert also mit dem Koran, im Sinne der klassischen islamischen Theologie, gegen zentrale christliche Glaubensinhalte. Auch manche Zitate und Kommentare, die sich gegen Ungläubige und auch gegen Juden richten, klingen nicht wirklich tolerant. Dabei wird aber immer wieder betont, dass Gott der alleinige Richter über Glauben und Unglauben sei. Im Koran steht in der Sure 22:

"Siehe die Gläubigen und die Juden und die Sabier und die Christen und die Zorostrier und die, die Gott andere Götter beigesellen – Gott wird zwischen ihnen entscheiden am Tag der Auferstehung; siehe Gott ist Zeuge aller Dinge.
Oder:
Und so Gott wollte, wahrlich. Er macht euch zu einer einzigen Gemeinde, doch will Er euch prüfen in dem, was er euch gegeben. Wetteifert darum im Guten. Zu Gott ist eure Heimkehr allzumal, und er wird euch aufklären, worüber ihr uneins seid."

Mehdi Bazargan vertrat einen Islam, der sich mit freiheitlichen, demokratischen Verhältnissen vereinen ließe. Dass die mächtigen Religionswächter im Iran allerdings wenig Interesse an einer religiösen Toleranz hatten wie er sie vertrat, musste Bazargan selbst leidvoll erfahren. Er versuchte eine inneriranische Opposition aufzubauen, die vom Regime mit allen Mitteln verhindert wurde. Einige seiner Mitstreiter wurden sogar hingerichtet.

Am Ende des Bandes ist ein Interview des Herausgebers, Navid Kermani, mit Bazargan von 1994 abgedruckt. Darin beurteilt Bazargan die Situation in seinem Land zutiefst pessimistisch, dem Regime wirft er Arroganz und Selbstgerechtigkeit vor, sein Land sieht er dem Zerfall entgegen steuern.

"Als wir für die Revolution 1979 eintraten, hatten wir Hoffnung auf eine bessere, auf eine große Zukunft. Wir wussten, dass unser Land reich an Bodenschätzen ist, dass es über ein großes geistiges und wirtschaftliches Potenzial verfügt. Wir wussten, dass es eine Nation gibt, die bestehen bleibt und die eine Konstante bildet. Aber jetzt, wenn sie abtreten – man mag es sich gar nicht ausmalen, was wird. Überall im Land, an allen seinen Ecken, ist irgendwer, der sein eigenes Süppchen kocht. Es droht der völlige Zerfall."

Mehr als zehn Jahre nachdem Bazargan dies gesagt hat, blickt die Welt besorgt nach Iran. Nicht nur wegen seiner bedrohlichen Atom- und Anti-Israelpolitik. Seit dem Amtsantritt von Ahmadinedschad hat auch die Verfolgung religiöser Minderheiten wieder zugenommen. So ist die Kernbotschaft des Korans wie sie Bazargan herausarbeitet, aktueller denn je: Kein irdischer Herrscher darf Menschen aufgrund ihrer Religiosität und ihrer Art zu leben verurteilen. Das ist allein Gott überlassen. Bazargans Auslegung der Schriften des Korans kommen in einer Zeit, in der der Islam gern mit Fundamentalismus und Terror gleich gesetzt wird, genau richtig.

Mehdi Bazargan: Und Jesus ist sein Prophet - Der Koran und die Christen
Herausgegeben von Navid Kermani
Übersetzt von Markus Gehrhold
Beck Verlag 2006
107 Seiten