Kerber: Kredite an Griechenland reißen Deutschland mit in den Abgrund

Markus C. Kerber im Gespräch mit André Hatting · 23.06.2011
Der Finanzexperte Markus C. Kerber sieht durch die Gewährung weiterer Kredite für Griechenland die Stabilität der europäischen Währungsunion in Gefahr. Es sei dringend notwendig, den Konkurs Griechenlands geordnet abzuwickeln. Die Konsequenzen müssten dann die Länder in Kauf nehmen, "deren Banken dort wie wild investiert haben".
André Hatting: Wie ist der Euro zu retten? Mit Geld und Sparmaßnahmen – das glaubt zumindest die EU. Sie hat den Krisenfonds aufgestockt, mit 780 Milliarden Euro steht jetzt fast doppelt so viel zur Verfügung, um den schwächelnden Euroländern wieder auf die Spur zu helfen. "Ein Irrweg", meint dagegen Markus Kerber. Er ist Professor für Wirtschaftspolitik an der TU Berlin und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Kerber!

Markus C. Kerber: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Sie und 54 mittelständische Unternehmer klagen beim Bundesverfassungsgericht gegen die Kredite – warum?

Kerber: Wir sind der Meinung, dass dies der Anfang vom Ende der Währungsunion als einer Stabilitätsgemeinschaft ist und einen unheilvollen Weg begründet hin zu einer Transferunion, der uns vom Verfassungsgericht in seinem maßgeblichen Urteil 1993 – dem Maastricht-Urteil – verboten worden ist. Und daher beantragen wir und bitten das Bundesverfassungsgericht, seine eigene Rechtsprechung ernst zu nehmen und das, was es damals verboten hat, nämlich eine Währung zu schaffen, die instabil ist, die inflationär wirkt und die sich durch Verschuldung auszeichnet, dieser Währung den Weg zu verbauen.

Hatting: Aber genau das soll doch eigentlich verhindert werden, die Transferunion, dass die EU auseinanderbricht und wir sozusagen Geberländer haben und Nehmerländer haben. Deswegen soll doch Griechenland wieder aufgebaut werden, perspektivisch.

Kerber: Sie sehen ja an den Verhältnissen, Herr Hatting, wozu es geführt hat, dass man in Griechenland einen außerordentlich zinsgünstigen Kredit von 110 Milliarden zur Verfügung gestellt hat. Die griechische Bevölkerung streikt oder protestiert gegen diese Art von Politik, und die griechische Politik ist sich sehr wohl des Schädigungspotenzials bewusst, das sie hat für die gesamte europäische Gemeinschaft, und überschätzt sich dabei maßgeblich.

Ich glaube, man kann diesen Prozess nicht länger mitmachen, sondern muss ihm Einhalt gebieten, anderenfalls ziehen wir uns mit in den Abgrund. Im Übrigen verliert Deutschland angesichts der Summen, die Sie eben ja sehr korrekt genannt haben, sein fiskalisches Selbstbestimmungsrecht. Das müssten normalerweise die Abgeordneten noch einsehen, und das ist einer der Punkte, die wir auch in der Verfassungsklage geltend gemacht haben: Deutschland läuft nicht mehr in der Transferunion, die genau das Gegenteil von dem ist, was in Maastricht vereinbart worden ist und was den Bürgern versprochen ist, sondern Deutschland verliert sein Selbstbestimmungsrecht über Steuereinkünfte, über Verschuldung, sondern man zahlt Schulden anderer, und zwar in einem Umfang, wie das historisch gesehen noch nie da war. Dies darf es und kann es nicht geben.

Hatting: Herr Kerber, Sie sprechen die finanzielle Selbstbestimmung an, aber ist das nicht eigentlich ein grundlegender Bestandteil einer Union, es werden eben auch Hoheiten abgegeben? Halten Sie das innerhalb der EU für eine Missgeburt?

Kerber: Das ist von Anfang eine Fehlkonstruktion gewesen, aber die Währungsunion ist konzipiert worden als eine Währungsgemeinschaft souverän bleibender Staaten, die in der Wirtschaftspolitik sich koordinieren, aber souverän bleiben. Jeder macht seine Fiskalpolitik nach bestimmten europäischen Regeln, aber selbst. Dies hat nicht funktioniert, daraus muss man Schlüsse ziehen.

Wir haben nichts so häufig verletzt wie den Stabilitätspakt – der Stabilitätspakt ist nicht mehr das Papier wert, auf dem er geschrieben worden ist – und man muss daraus Schlüsse ziehen. Im Übrigen ist die Entwicklung weit über das hinausgegangen, was wir jetzt in Karlsruhe zu verhandeln haben. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ja über ein Jahr Zeit gelassen, überhaupt eine mündliche Verhandlung anzusetzen, und riskiert damit, dass sein Urteil eine relative Gestaltungskraft auf die deutsche Politik noch haben wird.

Die Verhältnisse, die wir haben, schreien nach politischen Lösungen und schreien danach, dass sich griechische Politiker um griechische Politik und deutsche Politiker um deutsche Politik kümmern und nicht weiter an dieser Kopfgeburt Euro arbeiten und dabei einen europäischen, einen gesamteuropäischen Finanzausgleich in Kauf nehmen. Das kann man in einem Bundesstaat machen, das kann man nicht in einer Föderation machen, wie wir es in der Europäischen Union haben.

Hatting: Aber eigentlich geht es bei Griechenland doch nicht nur um das Land, sondern auch um die Gläubiger, also nicht nur darum, dass es …

Kerber: Ja, das ist völlig richtig. Wir schnüren dort immer Rettungspakete auf dem Rücken des Steuerzahlers, um jene Gläubiger, insbesondere internationale Investoren und darunter viele Banken, die sich eine goldene Nase verdient haben und Risikoanleihen gezeichnet haben, diese sozusagen auszulösen. Das ist richtig, und das ist ein Pfund, mit dem die griechischen Politiker skrupellos wuchern, indem sie sagen, wir sitzen hier auf einem Sprengsatz, und wenn ihr uns nicht auslöst, dann geht dieser Sprengsatz in die Luft und wir sprengen euch mit in die Luft. Dem hätte man bereits im April letzten Jahres Einhalt gebieten müssen.

Hatting: Nur, Herr Kerber, wenn man jetzt Griechenland fallen ließe, also nicht weiter zahlen würde, dann würde das bedeuten in der Konsequenz, dass in Deutschland die Bankgebühren steigen würden und die privaten Renten sinken. Der Steuerzahler ist also auch hier der Dumme, oder?

Kerber: Also, das ist eine Gleichung, die Sie da aufstellen, das ist eine Milchmädchenrechnung. Man muss den Konkurs Griechenlands geordnet abwickeln. Man hätte dies von vorneherein machen müssen, um auch zu verhindern, dass Irland und Portugal ähnliche Hilfsanträge stellen, wie Griechenland das getan hat.

Dieses Phänomen des Anreizes dafür, ein Verhalten wie Griechenland auch noch zu belohnen, diese Anreize dürfen nicht länger geschaffen werden, und die Konsequenzen müssen dann die Länder in Kauf nehmen, deren Banken dort wie wild investiert haben. Aber das ist dann eine wirklich nationale Lösung, die zu finden ist. Nicht umsonst – aufgrund des hohen Engagements französischer Banken in Griechenland – bemüht sich Herr Sarkozy immer wieder mit Erfolg gegenüber der Bundeskanzlerin, die immer wieder einknickt, eben keine Gläubigerbeteiligung zwangsmäßig herbeizuführen, sondern die Banken zu schonen. Dies wird nicht möglich sein. Die Banken gehören zur Marktwirtschaft und dürfen nicht nur Gewinne machen, sondern müssen auch Verluste tragen.

Hatting: Herr Kerber, Sie haben bislang es so dargestellt, dass die Stabilisierungsmechanismen, die die Europäische Union versucht hat, nicht funktionieren. Beispiel Irland: Da ist es aber so, dass in diesem Quartal erstmals seit Jahren wieder Wachstum stattfindet, die Exporte steigen wieder. Also funktioniert es ja offensichtlich doch?

Kerber: Nein, das kann man nicht sagen, denn die Berechtigung Irlands, 85 Milliarden Euro an Unterstützung zu bekommen, um einen Banksektor zu sanieren, der in keinem Verhältnis steht zum Bruttosozialprodukt, hat ordnungspolitisch überhaupt gar keinen Sinn. Irland hätte eine Reihe von Banken dicht machen müssen, weil es keinen Sinn macht, dass ein Land wie Irland einen gemessen am Bruttosozialprodukt so aufgeblähten Banksektor hat.

Die Europäische Zentralbank hat über Monate diesen Banksektor finanziert, hat Konkursverschleppung betrieben und hat dann auf die Politik eingewirkt, um die Politik dazu zu zwingen, einen sogenannten Bail-out in Form dieses Kredites durchzuführen und das Risiko aus der europäischen Zentralbank und dem Eurosystem auf den Steuerzahler zu verlagern.

Gewiss, Irland ist nicht Griechenland und die politische Klasse Irlands ist vertrauenserweckender als die Clans, die Griechenland regieren, aber im Prinzip ist dieser Bail-out genauso unberechtigt gewesen wie der Bail-out bei Griechenland.

Hatting: Markus Kerber war das, Professor für Wirtschaftspolitik an der TU Berlin. Herr Kerber, Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Kerber: Ich danke auch!