Kent Nagano beim BR-SO

Ohne Hochmut ins Jenseits

Kent Nagano
Kent Nagano © Felix Broede
16.02.2016
600 Jahre in einem Konzert: Im Münchner Herkulessaal kombiniert der Dirigent Kent Nagano Werke aus dem Mittelalter, aus dem Barock und aus der Moderne. Es spielt das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, es singen Mitglieder des BR-Chors.
Mit einem wahrhaft gewichtigen Programm kehrte Kent Nagano in diesen Tagen an seine frühere Wirkungsstätte München zurück. Von seiner Zeit an der Bayerischen Staatsoper ist noch die eindrucksvolle Aufführung der Monumentaloper "Saint François d'Assise" von Olivier Messiaen in Erinnerung. Messiaen wollte darin "Bild für Bild das langame Eingehen der Göttlichen Gnade in die Seele eines unserer größten Heiligen beschreiben". Als Vorlage dienten Messien die Textquellen zum Leben des Franziskus sowie die Fresken Giottos, die den Heiligen etwa bei der Vogelpredigt darstellen.
Nachdem er die Oper in den 1980er Jahren vollendet hatte, fiel es Messiaen nicht leicht, an dieses Opus Magnum anzuknüpfen. Von 1987 bis 1991 arbeitete er an dem elfteiligen Orchesterzyklus "Éclairs sur l'au-delà", zu deutsch etwa: "Streiflichter über das Jenseits" – ein Werk, mit dem er sozusagen sein eigenes Requiem schrieb. Die Uraufführung mit Zubin Mehta und den New Yorker Philharmonikern sollte der 1992 gestorbene Komponist nicht mehr erleben. Kent Nagano, der mit Messiaen noch eng zusammengearbeitet hat, verbindet dieses Abschiedswerk mit einigen Motetten von Guillaume de Machaut, desen Lebenszeit (geboren ca. 1300, gestorben 1377) sich mit der des Malers Giotto teilweise überschneidet. Machaut ist einer der ersten Komponisten der Musikgeschichte, über dessen Leben greifbare Quellen existieren; zugleich hat seine ebenso komplexe wie farbige Musik die Komponisten der Moderne begeistert, allen voran Messiaen. Am Mittelalter faszinierte den tiefgläubigen Katholiken aber noch anderes: "Worauf ich als religiöser Musiker am neidvollsten blicke, das ist die Anonymität der christlichen Musiker des Mittelalters. Sie liegt so weitab vom Hochmut der Komponisten des 20. Jahrhunderts."
Ein drittes Element gewinnt dieses ungewöhnliche Konzertprogramm durch ein weiteres Abschiedswerk: die unvollendete "Kunst der Fuge" von Johann Sebastian Bach, die historisch in der Mitte zwischen Machaut und Messiaen steht. Nagano dirigiert Ausschnitte daraus in einer Bearbeitung, die er 2002 selbst zur Uraufführung gebracht hat.
Herkulessaal der Residenz München
Aufzeichnung vom 5. Februar 2016
Johann Sebastian Bach
"Contrapunctus I" und "Fuga a tre soggetti" aus der "Kunst der Fuge" BWV 1080 (Bearbeitung für Instrumentalensemble von Ichiro Nodaïra)
Guillaume de Machaut
Motetten für drei bis vier Stimmen
Olivier Messiaen
"Éclairs sur l'au-delà" für großes Orchester
Solisten des Chors des Bayerischen Rundfunks
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Kent Nagano