Kennt eh keiner

04.09.2012
Irgendwo in Zentralasien bleibt der China-Reisende Jonas hängen - dort fühlt er sich unbehaust und verloren. Jan Sprengers witzig-böser Debütroman ist nebenbei eine Abrechnung mit der selbstgefälligen Weltsicht junger Backpacker-Touristen.
Eine Reise kann eine Flucht oder ein Abenteuer sein – oder einfach nur touristische Routine. Für Jan Sprengers Helden Jonas ist es zunächst der Versuch, ein neues Leben anzufangen. Auch wenn wir von seinem alten kaum etwas erfahren, muss es doch wenig Verwurzelung geboten haben.

Also macht er sich auf zu einer Reise gen Osten. Das ferne Ziel ist China, aber dahin kommt er gar nicht. Er bleibt stecken in Zentralasien. Für die meisten Europäer ein toter Winkel zwischen Russland und der Mongolei. Genau richtig für das vorherrschende Gefühl dieses jungen Deutschen: Unbehaustheit. Kaum etwas, woran er sich festhalten kann. Nicht zu schön, nicht zu hässlich – aber es reicht alle mal für ein bisschen Abenteuer.

Jonas lernt gastfreundliche, ihm aber fremde Menschen kennen. Angefangen von Sprachproblemen über die oft geringe Identifikation mit dem eigenen Land. Woanders ist es immer besser, bekommt er meist zu hören.

Sprenger zeichnet mit seinem Roman auch das Bild einer nachsowjetischen Region, die ihre neue Identität noch längst nicht gefunden hat. "Kirgistan gibt es nicht", sagt ihm jemand, der das Land für ein zentralasiatisches Konstrukt hält, das in der Welt eh keiner kennt. Es beginnt ja schon mit dem Namen: Kirgistan, Kirgisistan oder doch lieber Kirgisien?

Wo gesellschaftliche Orientierungslosigkeit auf Korruption und Behördenwillkür trifft, dort klingt nichts nach Aufbruch. Es ist eher ein Stück Verlorenheit in der Welt. Und genau das scheint Jonas zu suchen. Doch dann taucht Olga auf, eine Fotografin aus der Ukraine.

Sie ist abwesend und missmutig, aber sie fasziniert ihn. Weil sie ein Geheimnis zu tragen scheint. Später stellt sich heraus, dass sie eine Traumatisierung in ihrer Kindheit erfahren hat, die von ihren Eltern herrührt. Doch helfen lässt sie sich von Jonas nicht, auch wenn er sich einbildet, mit ihr eine große Liebe gefunden zu haben.

Um ihr aber überhaupt nahe sein zu können, muss er noch den allzu stillen Schönling Roger und seine ewig plappernde Freundin Camille ertragen. Die beiden Franzosen hat er auf der Reise kennengelernt und da Backpacker-Touristen immer Gruppen bilden, gründen auch sie eine. Doch diese gemeinsame Reise wird sie bald wieder auseinanderbringen.

Jan Sprenger findet in seinem Debütroman von der ersten Seite an einen eigenen Ton, den er souverän bis ans Ende des Romans hält. Er erzählt aus der Perspektive seines Helden Jonas – schnörkellos, pointiert, zuweilen witzig, manchmal auch böse. Der Leser erlebt die Reise aus den Augen eines nicht immer sympathischen, aber sehr glaubwürdig gezeigten jungen Mannes, mit dem man große Lust hätte, sich nach seiner Reise zu unterhalten und ihn auf dieses oder jenes anzusprechen.

Sprengers Roman ist nebenbei eine satirische Abrechnung mit der selbstgefälligen Weltsicht junger Backpacker-Touristen geworden. Es ist aber auch ein Buch über die Enttäuschungen, die eine Reise bietet – angesichts der hohen Erwartungen, die man mit ihr verbindet: sich selbst finden, sogar ein neues Leben anfangen! Es sind so viele Projektionen. Jemand anders werden, nur weil man ein paar Wochen in fremden Ländern unterwegs ist? Jonas sieht es irgendwann pragmatisch: "Man sollte die Welt nicht überbewerten, nur weil sie einen Horizont hat."

Besprochen von Vladimir Balzer

Jan Sprenger: Kirgistan gibt es nicht
Rowohlt Berlin, 240 Seiten, 18,95 Euro
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