Kennedys Faszination für den Faschismus

Oliver Lubrich im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 18.05.2013
Drei Mal besuchte der junge John F. Kennedy Deutschland, bevor er US-Präsident wurde. In seinen Reiseaufzeichnungen spricht er von "nordischen Rassen" und Hitler als "Legende". Oliver Lubrich, Herausgeber der Texte, sagt, Kennedy sei vom Faschismus in gewisser Weise fasziniert gewesen.
Jan-Christoph Kitzler: "Ich bin ein Berliner!" Dieser Satz klebt an John F. Kennedy, dem US-Präsidenten, wie Kaugummi an der Schuhsohle. Im Juni wird dieser berühmte Satz aus dem Kalten Krieg 50 Jahre alt, und passend zu diesem Jubiläum erscheint in diesen Tagen ein Buch, in dem man lesen kann, dass Kennedy nicht erst 1963 zum ersten Mal in Deutschland war, sondern dass er sich schon in sehr jungen Jahren ein Bild gemacht hat – ein Deutschlandbild, das wir bisher nicht kannten. "Unter Deutschen" heißt das Buch, mit Tagebucheinträgen und Briefen, die Kennedy bei drei Reisen nach Deutschland geschrieben hat: im Sommer 1937, da war er gerade 20, im August 39, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, und noch mal im Juli und August 1945, nach der Kapitulation. Welchen Blick hatte John F. Kennedy auf Deutschland und wie hat das seine spätere Politik beeinflusst? Darüber spreche ich mit dem Herausgeber dieses Buches, mit Oliver Lubrich, Professor für Komparatistik und neuere deutsche Literatur an der Universität Bern. Schönen guten Morgen!

Oliver Lubrich: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Herr Lubrich, ich hab’s gesagt, dreimal war Kennedy zwischen '37 und '45 in Deutschland. Was waren das jeweils für Besuche?

Lubrich: Also nicht nur ist die historische Situation zu diesen drei Reisen jeweils eine ganz andere – 1937, das Dritte Reich in einer vergleichsweise ruhigen Phase zwischen Olympischen Spielen und Pogromnacht, 1939, kurz vor Kriegsbeginn, wie Sie gesagt haben, und dann 1945, nach dem Untergang –, sondern Kennedy selbst kommt auch in drei ganz unterschiedlichen Funktionen, wenn man so will: beim ersten Mal als Student mit einem Schulfreund auf einer Sommerreise, die zum Teil auch eine Vergnügungstour ist; beim zweiten Mal als Sohn des Botschafters der USA in Großbritannien in einer zum Teil akademischen Mission, weil er für seine Abschlussarbeit an der Universität recherchiert und zum Teil auch in einer Art diplomatischen Mission; und dann beim letzten Mal, inzwischen als Reporter, der zuvor für Medien in den USA aus England von den Wahlen berichtet hat und von der Gründung der Vereinten Nationen.

Kitzler: Kennedy schreibt mal über Frauen zum Beispiel, mal auch über Hunde, also über Allerweltsthemen auch durchaus, man kann aber auch lesen, wie er Deutschland sieht bei diesen unterschiedlichen Anlässen, die Sie beschrieben haben. Wie verändert sich denn sein Deutschlandbild mit den Jahren?

Lubrich: Ja, das, was ich interessant finde, ist, dass diese Zeugnisse eben zum Teil wirklich privat auch Banalitäten enthalten, dann aber auch klare politische Fragen und Beobachtungen. Beim ersten Mal ist er gewissermaßen noch auf der Suche nach einem Verständnis, wie funktioniert so eine Diktatur, welche Rolle spielt dabei die Propaganda, welche Rolle spielen die Medien. Beim zweiten Mal kann man sehen, es ist gewissermaßen ein Reifeprozess, wie er schon wesentlich analytischer sich fragt, wie kommt es zu einem Krieg und durch welches Verhalten der westlichen Demokratien wäre ein Krieg gegebenenfalls noch abzuwenden. Und das dritte Mal schreibt er dann durchaus, 1945, einen zusammenhängenden Bericht, eine Art Tagebuch zwar, aber das durchaus Reportagecharakter hat, und versucht auch in die Zukunft zu blicken, also: Welche Zukunft hat das zerstörte Deutschland? Wie wird die Perspektive einer Teilung aussehen? Wie sollten sich die USA verhalten? Sollten sie die Deutschen als unterworfenes Volk oder als neue Kooperationspartner begreifen? Also wir können Kennedy quasi vom jugendlichen Touristen bis hin zum politisch reflektierenden Erwachsenen oder älteren Endzwanziger beobachten.

Kitzler: Wir sollten mal einen kleinen Eindruck bekommen, wie das klingt, glaube ich. Ich möchte mal einen Tagebucheintrag vorspielen vom 21. August 1937. Der beginnt ziemlich harmlos, fast banal, und kommt dann aber zu einem recht heiklen Thema:

21. August 1937. Abfahrt nach Köln über Frankfurt, wo wir anhielten, um nach weiteren Dackeln zu schauen, weil Offi so süß ist. Hatten aber kein Glück, fuhren also weiter rheinaufwärts. Die Städte sind alle sehr reizend, was zeigt, dass die nordischen Rassen den romanischen gewiss überlegen zu sein scheinen. Die Deutschen sind wirklich zu gut, deshalb rottet man sich gegen sie zusammen, um sich zu schützen.

Lubrich: Kennedy und die Rassen. Wenn man seine Notizen liest, war der junge Kennedy ein Rassist?

Kitzler: Nein, das denke ich nicht. Also die Texte enthalten zwar einiges, das aus der Situation heraus aufgeschrieben wurde und das man entweder heute nicht mehr so schreiben würde oder, wenn er das selber bearbeitet und publiziert hätte, was er im Nachhinein dann herausgestrichen hätte. Ich glaube, das Interessante an diesen Zeugnissen ist ja gerade ihre rohe, unbearbeitete Fassung. Also da haben wir jemanden, einen jungen Amerikaner, einen 20-Jährigen eben, der die Diktatur bereist und auch solche Beobachtungen dann aufschreibt. In Italien etwa bemerkt er, der Faschismus scheint ihnen gut zu tun, auch das sicherlich ein Fehlurteil im Rückblick. Beim diesem Zitat, das Sie gerade gebracht haben, das ist zum Teil oder erscheint mir durchaus auch in einem gewissen ironischen Ton formuliert zu sein. Also die Deutschen sind wirklich zu gut – da spricht auch der Lakoniker, der Ironiker Kennedy, sein ganzes Tagebuch ist voll von trockenem Humor. Am Ende stehen dann noch drei Auslassungspunkte, also es wird, glaube ich, auch deutlich, dass er hier versucht zu verstehen und eben als junger Mann damals auch noch nicht den Durchblick hatte, den er dann später gewinnen würde.

Lubrich: Interessant ist natürlich auch die Frage, wie John F. Kennedy Adolf Hitler sah. Auch dazu haben wir einen kleinen Ausschnitt aus dem Sommer 1945, nachdem der spätere US-Präsident zwei Orte von Hitlers ehemaliger und nun zerstörter Residenz auf dem Obersalzberg besucht hatte:

1. August 1945. Wer diese beiden Orte besucht hat, kann sich ohne Weiteres vorstellen, wie Hitler aus dem Hass, der ihn jetzt umgibt, in einigen Jahren als einer der bedeutendsten Persönlichkeiten hervortreten wird, die je gelebt haben. Sein grenzenloser Ehrgeiz für sein Land machte ihn zu einer Bedrohung für den Frieden in der Welt, doch er hatte etwas Geheimnisvolles in seiner Weise zu leben und in seiner Art zu sterben, das ihn überdauern und das weiter gedeihen wird. Er war aus dem Stoff, aus dem Legenden sind.

Kitzler: Hitler, ein Stoff, aus dem Legenden sind – das schreibt Kennedy nach dem Ende der NS-Schreckensherrschaft. Hat er vielleicht ein etwas harmloses Bild von Adolf Hitler, war er vielleicht sogar ein heimlicher Bewunderer?

Lubrich: Ein Bewunderer war er sicherlich nicht, also insbesondere nicht der Hitler’schen Politik, aber er fragt sich, denke ich, durchaus und versucht das hier wahrscheinlich auf nicht besonders geglückte Weise zu beantworten, was machte die Faszination aus, die von Adolf Hitler ausging, auf dessen Landsleute, aber auch im Ausland und sogar noch nach dessen Tod. Und die 1945er-Reise würde ich so verstehen, dass Kennedy versucht, vor Ort zu ergründen, was es auf sich hatte mit dieser merkwürdigen Faszination. Bewunderer war er nicht, aber ich denke, auf Kennedy trifft sehr gut zu, was Susan Sontag später als die unheimliche Faszination des Faschismus beschrieben hat, erotisch, zum Teil auch ästhetisch, die auch auf Personen ausging, die selbst politisch keine Nazis waren.

Kitzler: Später als Präsident stand John F. Kennedy dann im Kalten Krieg, und da war Deutschland wiederum natürlich ein Schlüsselstaat. Haben denn seine drei Reisen in jungen Jahren Einfluss gehabt auf seine spätere Deutschlandpolitik?

Lubrich: Also einen direkten Einfluss wird man kaum konkret nachweisen können, aber ich denke, dass genau die Fragen, mit denen Kennedy als Präsident zu tun hat, ihn bereits in seinen drei Reisen in Deutschland als junger Mann beschäftigt haben, also die Fragen: Wie verhalte ich mich als Führer eines demokratischen Gemeinwesens gegenüber einem totalitären Staat? In dem Fall die Sowjetunion. Wie lassen sich kriegsnahe Krisen, also die Kubakrise, die Berlinkrise, politisch bewältigen, wie lassen sich drohende Kriege möglicherweise noch vermeiden? Und auch: Was ist die Zukunft des geteilten Deutschland? Also mit dieser Nachkriegsperspektive hat er sich bei seiner letzten Reise befasst, und ich denke, das beeinflusste ihn sehr stark, während er dann 1963 wieder nach Deutschland reist. Er kannte die Deutschen – das wissen wir durch diese Zeugnisse –, er hatte eine gewisse Empathie und, wie man an dem Hitlerzitat gesehen hat, er hat sogar versucht, sie auf sehr zum Teil auch befremdliche Weise in ihrer Abgründigkeit zu verstehen. Und wenn wir das wissen aus seinen frühen Reisezeugnissen, denke ich, sehen wir Kennedy, den Berlinbesucher von 1963, mit einem etwas anderen historischen Hintergrund.

Kitzler: Oliver Lubrich, Professor für Komparatistik und neuere deutsche Literatur an der Universität Bern. Er hat das Buch herausgegeben "John F. Kennedy – Unter Deutschen. Reisetagebücher und Briefe 1937–45". Es erscheint in den kommenden Tagen im Aufbau-Verlag. Herr Lubrich, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Lubrich: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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