Keineswegs eine Göttin

28.05.2013
Sie gelten als Inbegriff der Ménage à trois: Henri-Pierre Roché und das Ehepaar Franz und Helen Hessel. Jetzt hat die Mathematikerin Marie-Françoise Peteuil eine Biografie über die weibliche Protagonistin geschrieben und beschreibt sie als vitale und faszinierende, aber keineswegs göttliche Frau.
Hinter der poetisch-wilden Dreiecksgeschichte des wunderbaren Truffaut-Films "Jules et Jim" stecken, wie man weiß, sehr reale Personen: Der Pariser Kunsthändler Henri-Pierre Roché (1879-1959) und sein enger Freund, der deutsche Schriftsteller Franz Hessel (1880-1941). Beide haben aus ihren Liebeswirren Literatur gemacht – Roché lieferte einen Roman (und damit die Filmvorlage) und Hessel schrieb ergreifend schöne Bücher über Berlin, Paris und seine Frau Helen, die andere Männer liebte.

Auch von Helen Hessel, 1886 in Berlin als Helen Grund geboren, gibt es ein schriftliches Zeugnis ihrer heftigen Liebe zu dem notorisch polygamen Roché und ihrer konstanten Zuneigung zu ihrem sanften Ehemann. Es ist ein Briefjournal, das sie für den Geliebten verfasste und bei seinem Erscheinen 1991 in Frankreich eine Welle der Begeisterung auslöste.

Faszinierende Leute, die sich das Leben interessant und schwer machen
An diesen mehr oder weniger literarisierten Darstellungen hatte die Autorin von Helen Hessels Biografie, Marie-Francoise Péteuil, sich abzuarbeiten. Es sind extrem starke, originelle Texte, geschrieben von hoch talentierten, exzentrischen und faszinierenden Leuten, die jahre- bis jahrzehntelang damit beschäftigt waren, einander das Leben interessant und schwer zu machen.

Die Aufgabe, trotz der unterschiedlichen Fiktionalisierungen und (Selbst-)Stilisierungen ein realistisches Bild der Malerin und Journalistin, Mutter und Liebenden, Modekritikerin und zähen Kämpferin entstehen zu lassen, hat die Biografin mit einiger Eleganz und kritischem Abstand bewältigt. Sie stellt Helen Hessels Vorstellungen von bürgerlicher Sicherheit und Fassade neben den Mythos der unberechenbaren erotischen Göttin, an dem Helen und Roché in der Zeit ihrer Beziehung gleichermaßen strickten.

Helen Hessel kannte Gott und die Welt
Die berühmte Menage à trois begann 1920, als die Hessels mit ihren zwei kleinen Söhnen in einer etwas bedrückenden bayerischen Landidylle lebten. Schließlich folgte die Familie - auf Betreiben Helens - Roché nach Paris, bis Franz genug hatte und nach Berlin zurückkehrte. Helen arbeitete als Modekorrespondentin, kannte bald Gott und die Welt in Paris, war mit Marcel Duchamp und dem Ehepaar Picabia befreundet, unterhielt diverse Affären - und hielt oft nur mit Mühe ihr seelisches Gleichgewicht, zumal als der Bruch mir Roché unausweichlich wurde.

Als der Krieg ausbrach, nutzte sie all ihre Möglichkeiten, um ihren jüdischen Ehemann, die Söhne - und auch viele andere gestrandete Flüchtlinge zu retten. Péteuil zeichnet sie als vitale und faszinierende Person, besitzergreifend und narzisstisch, sprunghaft und leidenschaftlich, immens begabt, aber wenig produktiv, charmant und zugleich schonungslos: eine anstrengende Mischung.

So wird die Film-Ikone mit dem Gesicht der jungen Jeanne Moreau ins wirkliche Leben geholt - als wagemutige, oft gescheiterte und keineswegs göttliche Frau.

Besprochen von Katharina Döbler

Marie-Françoise Peteuil: Helen Hessel. Eine Biographie.
Die Frau, die Jules und Jim liebte

Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky
Schöffling&Co., Frankfurt am Main 2013
456 Seiten, 24,95 Euro
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