"Keinerlei Anhaltspunkte für irgendwelche Gründe der Überwachung"

Sven Adam im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 25.09.2013
Sechs Jahre sammelte der niedersächsische Verfassungsschutz Informationen über die Journalistin und Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke. Ein Verfassungsschutz, der derart in die Rechte eingreift, gehöre "eigentlich abgeschafft", meint der Röpke-Anwalt Sven Adam.
Matthias Hanselmann: Andrea Röpke ist vielfach ausgezeichnete Journalistin, Expertin für die rechtsextreme Szene in Deutschland und war eine der Sachverständigen im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung des NSU-Skandals. Sechs Jahre lang sammelte der Verfassungsschutz Informationen über Andrea Röpke. Sie fragt nach, ob es gespeicherte Daten gäbe. Die Antwort lautet, es gibt über sie keine Unterlagen, und dann stellt sich heraus, diese waren nach der Anfrage sofort gelöscht worden.

In der vergangenen Woche hatte Landesinnenminister Boris Pistorius bekannt gegeben, dass in mindestens sieben Fällen Personendaten von Journalisten vom Verfassungsschutz unzulässig gespeichert wurden. Und jetzt hat Andrea Röpke bei der Staatsanwaltschaft Hannover Anzeige erstattet wegen des Verdachts der Urkundenunterdrückung.

Ich habe kurz vor der Sendung mit Sven Adam gesprochen, er ist der Anwalt von Frau Röpke und meine erste Frage: Wie kann das möglich sein, dass Akten vernichtet werden, nachdem nach ihnen gefragt wurde? Wer bestimmt beim Verfassungsschutz, wann welche Akten geschreddert werden dürfen?

Sven Adam: Tja, also diese Frage stellen ja nicht nur Sie, die stell ich mir auch und die stellt sich auch ein gehöriger weiterer Teil der Öffentlichkeit. Ich hab keine Ahnung, wie so was passieren konnte, ich weiß nicht, wer das angeordnet hat. Das, was letztendlich im Raum steht, ist, dass hier etwas vertuscht werden sollte, und eine andere Erklärung habe ich dafür nicht.

Hanselmann: Sind diese Akten denn in jedem Fall für immer zerstört oder gibt es zum Beispiel digitalisierte Kopien oder Ähnliches? Ist eine Rekonstruktion noch möglich?

Adam: Also, wie mir mittlerweile Spezialisten kundgetan haben, ist eine Rekonstruktion zumindest teilweise möglich. Inwieweit das tatsächlich zutrifft, kann ich nicht beurteilen, weil ein Geheimdienst ja nun mal im Geheimen arbeitet.

Also wer weiß, was da jetzt alles noch zutage gefördert wird oder halt eben gerade nicht, weil angeblich nichts rekonstruiert werden kann. Ich weiß es nicht genau, ich bin ganz froh, dass mittlerweile auch Datenschützer mit der Sache beauftragt sind. Insofern harre ich mal der Dinge, die da kommen.

Hanselmann: Nun hat Frau Röpke Anzeige erstattet wegen des Verdachts der Urkundenunterdrückung. Wie wird dieser Verdacht geäußert oder erhärtet?

Adam: Na ja, letztendlich ist das ja so, dass wir im Februar 2012 unsere Anfrage an den Verfassungsschutz gerichtet haben, also darüber, dass die uns bitte mitteilen sollen, welche personenbezogene Daten über Frau Röpke bei denen vorliegen. Dann haben wir im März 2012 eine entsprechende Eingangsbestätigung bekommen mit dem Hinweis, dass diese Anfragebearbeitung noch etwas dauern würde.

Und dann haben wir im April 2012 die Mitteilung erhalten, dass es da nichts gäbe, also dass weder eine Akte angelegt worden sei, noch dass es in irgendwelchen Datenbanken Einträge über Frau Röpke gäbe. Seit einer Woche wissen wir, dass das nicht stimmt. Frau Brandenburger hat eingeräumt gegenüber Frau Röpke in dem Telefonat, dass im März 2012, also nach meiner Anfrage, diese Daten gelöscht worden sind.

Zum Zeitpunkt meiner Anfrage, also sobald diese Anfrage eingeht, darf der Verfassungsschutz da nicht mehr eigenständig drüber verfügen und darf auch insbesondere nicht eigenständig Daten löschen. Das erfüllt den Straftatbestand des § 274 des StGB, hier insbesondere Urkundenunterdrückung, und da wird es noch mal spannend, inwieweit die Staatsanwaltschaft Hannover dazu verhält.

Hanselmann: Also Urkundenunterdrückung ist der Vorwurf. Haben Sie und Ihre Mandantin eine Idee davon, was da genauer gesammelt worden ist?

Adam: Wir haben keine Ahnung. Also wir wissen mittlerweile von anderen Journalisten, die betroffen sind, dass da wohl unter anderem protokolliert wurde, auf welchen Veranstaltungen referiert wurde, weil es handelt sich ja wohl größtenteils um Experten in einem gewissen Bereich, also im Bereich des Rechtsextremismus, und da muss es wohl auch Datensammlungen darüber gegeben haben, wo referiert worden sei.

Ob das jetzt für die Frau Röpke auch zutrifft, wissen wir nicht. Wir wissen nur, ein Statement von Frau Brandenburger, das besagt, dass wohl keine nachrichtendienstliche Mittel gegen sie eingesetzt worden seien. Also kein V-Mann oder Abhören von Telefonaten. Das allerdings, fragen wir uns, wie sie das wohl beurteilen kann, wenn die ganzen Daten ja angeblich gelöscht worden sind. Also insofern ist da wohl auch noch ein bisschen Aufklärungsbedarf.

Hanselmann: Landesinnenminister Boris Pistorius hat bekanntgegeben, dass in mindestens sieben Fällen Personendaten von Journalisten durch den Verfassungsschutz "unzulässig gespeichert" wurden, wie es heißt. Was ist denn unzulässig und was nicht?

Adam: Das wird halt noch mal eine interessante Fragestellung, die in der Nachbereitung sicherlich von besonderer Relevanz sein wird. Also, es gibt natürlich verschiedene Gesichtspunkte.

Also man könnte sagen, die haben versucht, Journalisten zu überwachen, tun so, als wären es keine Journalisten, sondern tun so, als wären es Extremisten. Und dass dann jetzt möglicherweise aufgrund des Regierungswechsels eine andere Definition von Extremismus in der Behörde vorherrscht und man dann feststellt, dass es das wohl doch nicht war mit Extremismus.

Allerdings trifft das zumindest wohl auf den Fall von Andrea Röpke nicht zu - ich geh mal davon aus, dass es auf den Fall der anderen auch nicht zutrifft, aber bei Frau Röpke wissen wir nun mal, dass sämtliche Verlautbarungen über die Journalistin so sind, dass sie tadellos sei, dass es da keinerlei Anhaltspunkte für irgendwelchen Extremismus gebe, den es auch nicht gibt.

Und insofern, tja, also - ich gehe davon aus, dass dort keinerlei Anhaltspunkte für irgendwelche Gründe der Überwachung vorgelegen haben, und dass da eigentlich nur überwacht worden ist, um möglicherweise an Quellen heranzukommen.

Hanselmann: Lassen Sie uns doch mal kurz die neue Verfassungsschutzchefin Maren Brandenburger hören, nach dem Regierungswechsel ist sie das in Niedersachsen. Sie sagt zur gezielten Überwachung von Journalisten Folgendes:

Maren Brandenburger: Wir stehen am Anfang der Aufklärung und der Untersuchung über diese Vorgänge. Eine Struktur ist da nicht erkennbar. Wir müssen das erst mal in Ruhe aufklären. Grundsätzlich gilt aber auch, es sind nicht Journalisten gezielt vom Verfassungsschutz beobachtet worden, und schon mal nicht in ihrer Eigenschaft als Journalist. Sondern es war eine Erhebung und Speicherung von Daten aufgrund verschiedener Erkenntnisse, dass der eine oder andere bei Veranstaltungen von extremistischen Organisationen dabei war oder sich da in dem Umfeld bewegt hat.

Aber, um es noch mal ganz deutlich zu machen, es gab und gibt keine Beobachtung, keine gezielte Beobachtung von Journalisten durch den Verfassungsschutz. Das ist in der Zukunft sicherlich auch noch das eine oder andere Mal zu betonen, ich tue es dennoch immer wieder gern, obwohl es eigentlich klar sein sollte: Journalisten stehen nicht aufgrund ihrer Eigenschaft als Journalist im Fokus des Verfassungsschutzes.


Hanselmann: Tja, Herr Adam, klingt das für Sie glaubwürdig?

Adam: Auf keinen Fall. Also einerseits stelle ich mir schon die Frage, wie Frau Brandenburger das beurteilen können möchte, wenn sie die Akten von Frau Röpke gar nicht kennen will, weil es ja gelöscht worden sei, bevor sie davon Kenntnis erlangt hat. Also insofern kann ich nicht nachvollziehen, inwieweit sie dort derart klar formulieren können möchte, dass Frau Röpke nicht in ihrer Funktion als Journalistin überwacht worden ist. Das ist die eine Sache.

Die andere Sache ist, ich kann nachvollziehen, warum Frau Brandenburger das sagt, allerdings wird, glaube ich, die Nachbereitung und insbesondere die Rekonstruktion der Daten auch anhand aller anderen Journalisten, die dort überwacht worden sind, letztendlich wohl eher für Klarheit sorgen als diese Aussage.

Ich muss sagen, ohne jetzt Frau Brandenburger Unrecht tun zu wollen, weil ich es ihr schon hoch anrechne, dass dort Aufklärungswille besteht. Aber die Verfassungsschutzämter sind nicht zu Unrecht in letzter Zeit etwas in Verruf geraten. Und man muss sich ja auch die Frage stellen, was kann man da noch glauben und was kann man da nicht glauben. Also ich glaube erst Sachen, wenn mir Fakten vorliegen, wenn mir eine rekonstruierte Akte vorliegt, dann kann ich dazu irgendwas sagen und kann das beurteilen.

Hanselmann: Können Sie uns vielleicht noch einmal kurz sagen, was sich der Verfassungsschutz überhaupt von der Bespitzelung Frau Röpkes versprochen hat?

Adam: Wenn ich das könnte, dann wäre ich wahrscheinlich im Verfassungsschutz. Aber das bin ich nicht, und insofern kann ich dazu eigentlich auch gar nicht viel sagen. Es gibt natürlich Verdachtsmomente, es gibt den Verdachtsmoment, dass Frau Röpke, da sie nun mal eine sehr renommierte Rechtsextremismusexpertin ist und auch gerade im Jahr 2006, als die Überwachungen begonnen haben, sehr fundiert für das Fernsehen und für Printmedien an der HDJ, der Heimatdeutschen Jugend recherchiert hat und dann mehr wusste mitunter als der Verfassungsschutz und den Verfassungsschutz auch düpiert hat in der ganzen Sache.

Letztendlich hat die Recherche von Frau Röpke zum Verbot dieser Organisation geführt und nicht die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes. Also insofern könnte ich mir auch vorstellen, dass das möglicherweise auch der Versuch ist, Informationen abzuschöpfen und von Experten selbst sozusagen - in Anführungsstrichen - zu "lernen", nur dass dieses Lernen halt einfach dann nicht funktioniert, wenn wir es hier mit Berufsgeheimnisträgern zu tun haben.

Also es geht auch irgendwie darum, dass diesen Journalistinnen und Journalisten auch da die Quellen geschützt werden müssen, dass da Vertrauen bestehen muss von den Quellen zu den Journalisten und dass klar sein muss, dass die nicht abgehört werden oder beobachtet werden.

Hanselmann: Lassen Sie uns noch einmal die neue Verfassungsschutzchefin Maren Brandenburger hören zum allgemeinen Zustand Ihres Amtes und dem, was es zu tun gibt:

Brandenburger: Wir werden jetzt die Details aufzuklären haben, wir werden schauen müssen, wie ist es zu diesem fehlerhaften Speicherverhalten gekommen, welche Beweggründe lagen dem zugrunde? Und wir werden vor allen Dingen, und das ist wirklich mein Hauptanliegen in dieser ganzen Aufklärung, wir werden uns die Struktur, die Organisation, die Abläufe im Hause anzuschauen haben und müssen selbstverständlich Rückschlüsse ziehen.

Wir werden schauen, dass es eben nicht einem Einzelnen obliegt, zu entscheiden, wie tief die Beteiligung in der extremistischen Szene ist, ob es nicht auch andere Gründe geben könnte, die eben belegen, das ist nicht extremistisch, sondern wir müssen uns jetzt die Entscheidungsabläufe anschauen, die Organisation des Hauses stärker anschauen, die Struktur. Wir haben es hier ja nicht mit Fehlern einzelner Personen nur zu tun, sondern es scheint ein Organisationsfehler vorzuliegen, ein Organisationsversagen, und darum muss es jetzt gehen, daraus sofort Rückschlüsse zu ziehen und sofort Veränderungen einzuführen.


Hanselmann: Wie klingt das für Sie, Herr Adam?

Adam: Tja. Also wenn das umgesetzt wird, was Frau Brandenburger dort ankündigt, dann scheint es so zu sein, dass sie wirklich Aufklärerwillen hat beziehungsweise auch möglicherweise Umstrukturierungswillen innerhalb ihrer Behörde. Ich selbst hab da Zweifel, inwieweit das umsetzbar ist.

Also womit sie Recht hat, ist, dass da möglicherweise Organisationsversagen stattgefunden hat, weil Anweisungen oder Handlungsdirektiven innerhalb des Geheimdienstes, Sachbearbeiter sozusagen dazu aufgefordert haben, genau solche Überwachungen vorzunehmen.

Dann haben wir aber das Problem, dass dann möglicherweise die Führungsebene mitverantwortlich ist für diesen erfüllten Straftatbestand, den ich hier sehe. Hinsichtlich der Urkundenunterdrückung, ob wir da noch weiteres systematisches Vorgehen haben, was dann möglicherweise Straftatbestände ausgelöst hat, müssen wir halt irgendwie noch mal sehen.

Also ich würde gerne das, was Frau Brandenburger sagt, erst dann bewerten, wenn wir vielleicht so die eine oder andere Woche noch mal ins Land gezogen gesehen haben und danach beurteilen konnten, inwieweit das, was die da an Aufklärer- und Veränderungswillen von sich gegeben hat, tatsächlich umgesetzt hat.

Also letztendlich kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Geheimdienst mit dieser Struktur, wie er in Niedersachsen derzeit besteht und auch schon seit Jahren besteht, reformierbar ist. In meinen Augen gehört ein Verfassungsschutz, der derart eklatant in die Rechte von Journalistinnen und Journalisten eingreift, an sich grundlegend reformiert, und das bedeutet eigentlich abgeschafft und komplett neu aufgebaut.

Hanselmann: Vielen Dank an Sven Adam, Anwalt der vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachteten Journalistin und Rechtsextremismusexpertin Andrea Röpke. Diese hat Strafanzeige wegen des Verdachts auf Urkundenunterdrückung gestellt, und die Staatsanwaltschaft Hannover wird sich damit beschäftigen müssen.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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