Keine Priester, keine Bischöfe, kein Papst

Von Adolf Stock · 02.03.2013
Es gibt nicht viele: etwa 300.000 Gläubige weltweit, rund 300 von ihnen leben in Deutschland. Die Rede ist von den Quäkern, der "Religiösen Gesellschaft der Freunde", wie sie sich selbst nennen. Auch in Berlin gibt es eine kleine Gemeinde.
Susanne Jalka hört aufmerksam zu. Nicht nur als Psychoanalytikerin bei ihren Patienten, sondern auch privat. Sie vermeidet es, vorschnell eine Antworten zu geben. Das ist einerseits sehr angenehm, aber es verwirrt auch ein wenig, weil der unendliche Fluss der Alltagskonversation so leicht ins Stocken gerät. "Nenn mich einfach Jalka". Die Jalka also:

"Mein Vater war ein Quäker von Jugend an, und als ich so sieben Jahre alt war, war er über einige Wochen, vielleicht sogar Monate in Woodbrooke, dem englischen Quäker-Meeting-Center in Birmingham. Und hat, als er zurückkam, wunderschön erzählt, wie wichtig das für ihn war. Und das ist sicher, dass ich damals von den Quäkern gehört habe."

Heute gehört die Jalka selbst zur weltweit aktiven Quäkergemeinde, einer Gemeinschaft, die keine Dogmen kennt. Ihre offene und liberale Haltung prägt auch ihr kämpferisches Selbstbewusstsein:

"Was schon wichtig ist im Quäker-Sein ist, dass die Frauen die gleichen Rechte und Pflichten hatten wie die Männer – im 17. Jahrhundert, das muss man sich mal wirklich auf der Zunge zergehen lassen! Von damals bis heute.

Sicherlich gelingt es nicht immer. Es gibt auch bis heute noch Männer, die für sich ganz selbstverständlich mehr Raum beanspruchen und mehr Entscheidungsgewalt. Aber darüber kann man dann sprechen in der Quäkergemeinschaft, weil ganz klar ist, dass das nicht gottgewollt ist. Während es in allen anderen Religionen ja gottgewollt ist, dass der Mann mehr Gewalt hat als die Frau."

Weder Predigt noch Gesang
Sonntags um elf treffen sich die Berliner Quäker in ihrem eigenen Haus in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße. In kleineren Gemeinden sind die Treffen oft unregelmäßig und finden auch manchmal in Privaträumen statt. Für Fremde sind diese Andachten ganz ungewohnt. Es gibt weder eine Predigt noch Gesang, man sitzt einfach nur für eine Stunde still zusammen, um gemeinsam Gott nahe zu sein.

"Herzlich willkommen heute Morgen zu unserer Stillen Andacht."

Herbert Möller hat die etwa fünfzehn Quäker begrüßt, die sich an diesem Sonntag zur Stillen Andacht versammelt haben.

"Am Anfang ging es mir wie allen anderen auch, dass diese Stunde Stille erst einmal ungewohnt ist, und man auch das Gefühl dafür bekommen muss: Was ist das? Wie lange geht das? Was mache ich überhaupt in dieser Stunde? Und ich glaube, da hat sich über die Jahre für mich einiges verändert.

Ich merke, ich habe am Anfang länger gebraucht, um zur Ruhe zu kommen. Um dann wirklich an einen Punkt zu kommen, an dem man hört, einfach nur da ist: Hören kann, warten kann in der Stille. Und einfach, ja dieses Gefühl auch hat, des gemeinsamen einfach erst mal 'Leerseins' und 'Offenseins' für das, was vielleicht kommt."

Susanne Jalka: "Im Quäker-Raum geht es überhaupt nicht darum, das zu sagen, was mir in den Sinn kommt, sondern es geht ja eher darum, nicht vom Ego her das Denken bestimmt zu haben, sondern zu versuchen, über diese Bestimmung aus dem Ego heraus drüber zu kommen. Und ich habe manchmal schon gedacht, ob es da eine Verbindung gibt, dass was wir Gott nennen, letztlich bei uns im Unterbewussten verankert ist. Aber, also das geht über meine Einsicht hinaus, das weiß ich nicht."

In Stille verbunden
Die Jalka sagt, in der Gemeinschaft still zu sein, ist etwas ganz anderes, als für sich allein still zu sein. In der gemeinsamen Andacht fühlen sich die Quäker miteinander verbunden.

So empfindet es auch Martin Lutz, der durch seinen amerikanischen Schwiegervater zu den Quäkern kam:

"Es geht um das Gebet, und es geht für mich einmal um die Frage, zu wem bete ich, wenn ich bete. Und dann geht es um die Frage nach dem Inhalt. Und da ist für mich persönlich der Punkt erreicht, dass ich mich von einer personenbezogenen Gottesvorstellung weitgehend entfernt habe und damit dann mit dem Problem konfrontiert bin: Mit wem spreche ich dann überhaupt?

Und der Inhalt des Gebets soll eben nicht darin bestehen, dass man um etwas Konkretes für sich selber bittet. Sondern wie Meister Eckhart das formuliert: Das allerhöchste Gebet soll darin bestehen, dass man Gott sich unterwirft und versucht, eben das zu tun, was Gott will, und nicht das, was man selber will. Das ist nicht einfach, das umzusetzen, aber wir haben ja Zeit."

Die Quäker nennen sich "Religiöse Gesellschaft der Freunde". Sie bilden ein weltweites Netzwerk. Ältere Menschen erinnern sich noch an die Quäkerspeisung nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals kamen Hilfspakete für bedürftige Familien aus Amerika, es wurden Sommerlager für Großstadtkinder organisiert und Krankenhäuser mit Lebensmitteln und Kleidern versorgt.

Über die soziale Hilfe der Quäker berichtete der RIAS am 15. August 1960:

O-Ton RIAS: "Bis zum Ende dieses Monats gehen einige junge Leute einer segensreichen Tätigkeit nach – die Mitglieder eines internationalen Arbeitslagers der Quäker, die alten und hilfsbedürftigen Bürgen ihre Wohnungen renovieren."

Britische, türkische und deutsche Jugendliche kamen damals zusammen, um Frau Seegert in Berlin-Wedding das Wohnzimmer zu tapezieren.

O-Ton RIAS: "Do you enjoy it? Macht es ihnen Spaß" / "Oh yes it's very good ... and I like helping people, so it's quiet good.” / "Es macht ihnen also Spaß, den Menschen vor allen Dingen zu helfen.”"

Gisela Faust ist 90 Jahre alt, sie kommt aus einer alten Quäkerfamilie und kann sich noch gut erinnern, wie 1945 die Quäker nach Deutschland kamen, um Nachbarschaftsheime zu gründen:

""Um praktische Hilfe zu leisten, Kinder-Wärmestuben, Nähstuben, aber auch um eine Art, ja, Bekanntmachung, was ist Demokratie, haben also viele Studentengruppen auch gehabt, um mit ihnen zu sprechen, wie baut man so etwas auf."

Leben nach "fünf Zeugnissen"
Ohne Rücksicht auf politische Gesinnung wird allen geholfen. Die Religion bleibt außen vor, denn Quäker missionieren nicht. Auch für sich selbst haben sie keine verbindlichen Regeln für ein gottgefälliges Leben, und es gibt nur wenige Grundsätze, an die sich alle Quäker halten:

"Wir nennen sie die fünf Zeugnisse, jetzt mal schauen, ob ich sie zusammenbringe, es sind ja nur fünf: Das Friedenszeugnis, dass wir den Einsatz von Gewalt ablehnen. Dann der zweite Punkt ist die Einfachheit. Das heißt jetzt nicht, dass wir auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens verzichten, aber wir stellen schon die Frage, ob Luxus unbedingt notwendig ist. Dann sprechen wir uns dafür aus, ein integeres Leben zu führen, wir versuchen eben, soweit es geht, ehrlich zu sein.

Gemeinschaft ist ein viertes Zeugnis, und jetzt fehlt noch eines, nee – haben wir doch alle: Frieden, Gleichheit, genau Gleichheit, alle Menschen sind gleich vor Gott. Es gibt keine Hierarchien, es gibt keine Bischöfe, es gibt keine Priester, es gibt keinen Papst, wir sind alle gleichberechtigt, und wir sind auch bei Entscheidungsfindungsprozessen gleichberechtigt."

Die Quäker sind Pazifisten, sie verweigern den Kriegsdienst und setzen sich aktiv für den Frieden ein. In dieser Tradition hat Susanne Jalka ein Buch herausgegeben. Es trägt den Titel "Frieden entdecken in Wien". Ein Stadtführer, der zu den Schauplätzen der Friedensarbeit führt. Die Jalka will zeigen, dass Frieden mehr ist als das Gegenteil von Krieg. Ganz im Sinne der Quäker ist sie auf der Suche nach Gemeinsamkeiten, die Christen und human gesinnte Menschen miteinander verbinden.

Links:
Religiöse Gesellschaft der Freunde - Quäker
Quäker-Gruppe Berlin
Quäker-Hilfe Stiftung
konfliktkultur.at - Informationen über Susanne Jalka

Literatur:
Susanne Jalka (Hg.): Frieden entdecken in Wien. Texte von Elisabeth Hewson, Georg Hamann und Susanne Jalka. Pro Business Verlag, Berlin 2011
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