Keine Botschaft nirgends

Von Sven Ricklefs · 30.10.2011
Der Premierenregen von Martin Kusej auf das frisch von ihm übernommene Residenztheater geht weiter. Jetzt hat Frank Castorf, dessen letzte Münchner Regiearbeit 20 Jahre zurückliegt, zum ersten Mal ein Stück von Ödön von Horváth inszeniert: das Volksstück "Kasimir und Karoline".
Eins ist von Beginn an deutlich, wo Castorf draufsteht ist auch Castorf drin. Frank Castorf, bekannt als der Klassikerzertrümmerer hat auch Ödön von Horvaths von Kasimir und Karoline so richtig auseinandergenommen.

Auch Horvaths melancholische Ballade vom arbeitslosen Chauffeur und dem nach Höherem strebenden Fräulein, ist bei ihm ein trashiges Szenenpotpourri, schrill überzeichnet, verschnitten mit herbei assoziierten Texten und eigenen Szenen, manchmal gnadenlos verkalauert, manchmal gnadenlos ausfransend und nur ganz selten auch so anrührend wie Horvath dieser Salon-Revolutionär das wohl tatsächlich gedacht hatte.

Dabei haut der auch für seine szenischen "Schweinereien" bekannte Regisseur diesmal nicht auf die Erbsensuppe, sondern in wahrsten Sinne des Wortes auf die Kacke, denn das einzige, was neben ein paar Riesenköpfen von Horvaths Oktoberfestambiente übrig geblieben ist, sind die zwei Toilettenhäuschen, die selbstredend offen sind, in denen die Figuren mit heruntergezogenen Hosen sitzen oder sich und ihre schon hier auftauchenden Naziuniformen mit Braunem vollsudeln.

In einem Interview in diesen Tagen hat Frank Castorf gesagt, er teile die Meinung des Schriftstellers und Dadaisten Richard Hülsenbeck, der geschrieben hat, die Stücke Horvaths seien der Blick eines Salon-Bolschewisten auf die doofen und verlogenen Kleinbürger. Das heißt der Regisseur steht dem Stück und der Haltung des Autors durchaus skeptisch gegenüber. Deswegen der Verschnitt, deswegen die völlig überzeichneten, schrillen Figuren, die den Abend passagenweise brillant komisch machen.

Das ist vor allem auch dem exzellenten Ensemble zu danken, allen voran Nicholas Ofczareck und Birgit Minichmayr als Kasimir und Karoline, die die groteske Überzeichnung ihrer Figuren ebenso mittragen wie auch die Distanz zu ihnen oder die ihnen in den Mund gelegten Theorietiraden über den Schauspieler oder über die totale Mobilmachung.

Frank Castorf hat einmal gesagt, er schätze ebenso bei seinen Spielern wie auch bei seinem Publikum einen "leichmütigen Masochismus" und den fordert er nun auch bei "Kasimir und Karoline" im Münchner Residenztheater wieder ein. Auch dieser Abend dauert über vier Stunden und auch hier wechseln sich konzise, hochkomische Passagen mit denen ab, in denen Castorf alles - sehr bewusst - ausfransen lässt, wo er albern wird, kindisch, bewusst langweilig, wo der Intellektuelle das Schmuddelkind sein will.

Hier zeigt sich dann auch, das er vor allem eins nicht will, das Stück zur Stunde liefern oder "political correct" sein: der Nazi, der Arbeiter, der Spartakist, keine Sympathie, keine Botschaft nirgends, nur am Schluss, wenn er seine Figuren surreal ins Schilf abtauchen lässt, spürt man etwas von ihrer traurigen Verlorenheit.
Zur Homepage: Münchner Residenztheater
Mehr zum Thema