"Kein Staat hat das Recht, Menschenleben zu töten"

Moderation: Hanns Ostermann · 03.01.2007
Die FDP lehnt den Vorschlag von Innenminister Wolfgang Schäuble zur Verschärfung des Luftsicherheitsgesetzes ab. Mit seinem Vorstoß wolle der Innenminister alle Grenzen zwischen Kriegsrecht und Kriminalität verwischen, sagte die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Hanns Ostermann: Darf ein gekapertes Flugzeug abgeschossen werden oder nicht? Das Bundesverfassungsgericht hatte vor einem knappen Jahr entschieden, Nein, es sei ein Verstoß gegen das Grundgesetz, Leben gegen Leben abzuwägen, der Staat dürfe nicht Menschen opfern, um vielleicht noch mehr Menschen zu retten. Was aber geschieht dann, wenn dieses entführte Flugzeug eine Katastrophe verursachen könnte? Muss man in einer solchen Situation nicht von einem Verteidigungsfall sprechen, der den Abschluss erlaubt? Ja, sagt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Er möchte deswegen eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes und eckt damit nicht nur beim Koalitionspartner, bei der SPD an. Auch aus den Reihen der Opposition kommt zum Teil scharfe Kritik. Am Telefon von Deutschlandradio Kultur ist die frühere Bundesjustizministerin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, aus Ihrer Partei war zu hören, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes müsse respektiert werden. Gibt es also vor allem einen juristischen Grund für die Ablehnung von Schäubles Absichten?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es gibt mehrere Gründe. Es gibt einmal natürlich den Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, es gibt damit auch verfassungsrechtliche Gründe, und es gibt ganz grundsätzliche Gründe, nämlich die, dass letztendlich ein Staat, ein Gesetzgeber nicht normieren kann und nicht gesetzlich fassen kann, in welcher Situation Menschenleben plötzlich von Staatsseite aus vernichtet werden sollen.

Ostermann: Warum lässt sich das nicht definieren, wenn man davon ausgeht, ich nenne nun mal den schlimmsten Fall, da wird ein Passagierflugzeug gekapert und diese Maschine fliegt auf ein Atomkraftwerk oder irgendetwas in der Richtung, dann müsste nach Ihrer Überzeugung der Staat dem hilflos gegenüberstehen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Es geht nicht darum, ob der Staat dann hilflos zuschaut. Das sagt niemand von denen, die jetzt sich sehr kritisch zu dem Vorschlag von Bundesinnenminister Schäuble äußern, sondern es gibt einfach Extremsituationen, die können Sie nicht so genau gesetzesmäßig fassen, dass sie dann eine Einleitung zum Handeln auch in einer Extremlage vorsehen. Es würde sich wahrscheinlich aus so einer Extremsituation ergeben, dass natürlich der zuständige Minister und die zuständige Regierung sich überlegen würden, ob sie Flugzeuge aufsteigen lassen, die versuchen, dieses Flugzeug, in dem Terroristen, in dem Kriminelle Menschen als ihre Geiseln haben, abzudrängen, um Schlimmeres zu verhindern, wenn es möglicherweise zu einem Absturz kommen könnte, oder eben alles zu tun, auch mit den technischen Möglichkeiten, dass diese Maschine woanders landen würde, um doch vielleicht noch Menschenleben retten zu können. Aber es ist eben nicht fassbar, es ist eine ganz unsichere Einschätzungsprognose da, und die ist auch nicht in Gesetzesformulierungen niederzulegen, was in solchen Ausnahmesituationen zu tun wäre, und deshalb aus guten Gründen hat man seit 60, 70 Jahren diese Situation nicht in Gesetzesform gefasst.

Ostermann: Aber wird damit nicht der jeweilige Bundesinnenminister allein gelassen in einer überaus schwierigen Situation?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist die Aufgabe einer Regierung, in einer schwierigen Situation dann eine Entscheidung zu treffen, die zu ganz schwierigen ethischen Abwägungen, zu ganz schwierigen juristischen Fragen führt und die auf alle Fälle dann zu einem Verhalten vielleicht führen wird, das per se nie erlaubt sein kann, das möglicherweise aber nicht mit Strafe sanktioniert ist, und das wäre so eine Situation. Wir Juristen sprechen von einer möglichen Situation eines übergesetzlichen Notstandes, es steht hier Leben gegen Leben, kein Staat hat das Recht, Menschenleben zu töten oder den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen, und deshalb ist so etwas nicht normierbar. Das ist eine Extremsituation, wie sie dann eine Regierung fasst, aber an dem Vorschlag von Herrn Schäuble ist ja zusätzlich zu kritisieren, dass er mit diesem Quasi-Verteidigungsfall, den er eben ins Grundgesetz hineinschreiben möchte, dass er damit alle Grenzen zwischen Kriminalität und Kriegsrecht verwischen will und auch Kompetenzen ändern will. Im Verteidigungsfall sind nämlich Bundestag und Bundesrat diejenigen, die zu entscheiden haben, und im Quasi-Verteidigungsfall, den er ja gleichstellen möchte, soll das künftig ausschließlich eine Regierung sein. Das ist auch Paradigmenwechsel im Verfassungsrecht.

Ostermann: Es gibt aber auch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates, wonach es sich bei den Anschlägen vom 11. September 2001, und das ist ein Grund für die Überlegung, um einen Angriff im Sinne des Kriegsvölkerrechts gehandelt habe. Ist das für die Diskussion bei uns in Deutschland nicht von Belang?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das hat das Bundesverfassungsgericht schon in seiner mündlichen Verhandlung zum Luftsicherheitsgesetz, was ja nichtig war, was ja genau diese Regelung enthalten hat, eben nicht als entscheidendes Kriterium angesehen. Es wird nicht durch so eine Beschlussfassung des UN-Sicherheitsrats das gesamte Völkerrecht auf den Kopf gestellt, und von daher ist es überhaupt nicht zwingend, dass nach dieser Beschlussfassung des UN-Sicherheitsrates in Deutschland Kriminalitätsbekämpfung zum Kriegsrecht wird.

Ostermann: Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb Wolfgang Schäuble wieder diesen Versuchsballon steigen ließ, obwohl er wusste, allzu hoch kommt er nicht?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich glaube, es sind unterschiedliche Überlegungen. Bundesinnenminister Schäuble will eigentlich seit vielen, vielen Jahren schon immer den Einsatz der Bundeswehr im Innern ermöglichen. Er hält das für dringend geboten und möchte eben hier auch die Grenzen zwischen Einsatz im Ausland und Einsatz im Inland vollkommen aufheben. Das ist seine politische Vorstellung. Da er aber weiß, wie die Debatte in Deutschland läuft, denke ich, dass er ein stückweit hier seinen Koalitionspartner jetzt unter Druck setzen möchte und versuchen will, in Argumentationsnot zu bringen, um damit möglicherweise für die CDU/CSU eine bessere, positive politische Meinungsbildung noch erzeugen zu können. Ich denke, es sind zwei Überlegungen, koalitionstaktischer Art, aber auch einfach Überzeugung, ich sage, ein stückweit besessen von dieser Überlegung ist er.

Ostermann: Die Grünen sprachen sogar von einer Lizenz zum Töten. Geht man mit solchen Formulierungen nicht weit über das Ziel hinaus?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich denke, dass in so einer wirklich schwierigen Situation und vor allen Dingen bei solch weitreichenden Vorschlägen, die einige Grundstrukturen unseres Grundgesetzes vollkommen verändern wollen, sehr wohl auch sehr deutliche und drastische Bewertungen angebracht und notwendig sind, damit den Bürgerinnen und Bürgern vor Augen geführt wird, welche Dimension dieser Vorschlag hat.

Ostermann: Ich danke Ihnen für das Gespräch.