Kein Schnappschussjäger

Von Vera Block · 25.07.2013
Enrico Nawrath hat sich für die Bayreuther Festspiele gewappnet. Während der Theatersaison fotografiert Nawrath die Tänzer des Staatsballets Berlin, den Sommer verbringt er in Bayreuth. Der Bühnenfotograf ist kein Schnappschussjäger, er war Ballettänzer und kennt also auch die Seite vor der Linse.
Ein Stück Schokosahnetorte, ein Kaffee, Sonne, Ruhe - Enrico Nawrath sitzt auf einer Holzbank vor seinem Haus - Beine ausgestreckt, Sonnenbrille auf der Nase, ein seltener Moment. Als Bühnenfotograf ist Enrico Nawrath während der Theatersaison fest eingebunden in die Produktionen des Staatsballetts Berlin
und den Sommer verbringt er seit fünf Jahren in Bayreuth.

"Das schwankt zwischen drei bis fünf Wochen, je nachdem wie viele neue Premieren es gibt. In der Regel bin ich von früh um acht bis abends um 12 im Festspielhaus und werde regelmäßig eine Sehnenentzündung haben, weil es so weh tut - die Computermaus den ganzen Tag und die Kamera … aber es macht Spaß."

Spaß trotz Schmerzen – das kennt Enrico Nawrath. Als Balletttänzer forderte er viele Jahre seinen Körper heraus. Heute vermisst er die große Bühne nicht.

"Weil ich die Bühne habe als Fotograf. Beim Ballett tanze ich innerlich mit. Und bei der Oper versuche ich mitzusingen und diese Luftholmomente zu erwischen. Du hast in der Oper drei, vier, fünf Sekunden pro Motiv. Beim Ballett ist es ganz anders. Für jedes Motiv gibt es da einen Bruchteil einer Sekunde. In der Oper stehen sie da und ich muss nur im richtigen Moment darauf achten, dass … bei der Oper ist es so, dass die Sänger die Mundstellung haben, die teilweise nicht gut aussieht, entstellt teilweise den Sänger, es gibt gewisse Mundbewegungen, die einfach nicht passen. Das ist der Grundsatz: Egal was ich fotografiere, ich möchte, dass er sich am Ende gefällt."

Dieser Grundsatz hat mit Nawraths Geschichte zu tun. Noch vor einigen Jahren stand er selbst auf der Bühne - an der Semperoper in Dresden oder an der Deutschen Oper in Berlin.

Nun ist Enrico Nawrath um die Vierzig, immer noch drahtig schlank und hat immer noch diese im Knochengedächtnis gespeicherte Haltung – Kinn nach Oben, Schultern runter, fließende leichte Schritte – selbst beim Treppensteigen mit Tablett. Schon vor einigen Jahren ist Enrico Nawrath aus dem Zentrum in das Haus im ruhigen und biederen Berliner Süden gezogen. Fertig ist es noch nicht ganz. Hier und da liegen Rohre und Schrauben.

"Ich mache viel hier, sehr viel ... Ist ja nicht die Welt! Bevor ich lange telefoniere, mir eine Firma besorge, dann mache ich selber."

Enrico Nawrath hat das Handwerk richtig gelernt, in Zwickau Ende der Achtziger.

"Ich hab es gelernt, weil das mein Vater ebenfalls gelernt hatte. Und der war Heizungsmonteur."

In seiner Großfamilie sei Enrico der einzige, der etwas mit Kunst macht.

"Meinen ersten Tanzschritt habe ich mit 16 gemacht. Mein Freund hatte sich verliebt und diese Freundin war in einer Tanztruppe und plötzlich war er zwei Tage die Woche nicht da. Ich sage: Wo bist denn du? Er sagt – Jazzdance habe er heute. Dann bin ich hin und es hat Spaß gemacht."

Und ein Jahr später war er an der renommierten Palucca-Tanzschule in Dresden. Sein erstes Engagement bekam Enrico Nawrath 1993, ein Jahr später kaufte er seine erste Kamera – gleich ein Profimodell. Diese Menage à Trois dauerte zehn Jahre. Die Kamera hat gewonnen.

Enrico Nawrath führt in ein Zimmer im ersten Stock. Es ist kahl – nur ein Tisch und ein großformatiges Bild an der Wand: Eine lebensgroße Schwarzweiß-Fotografie einer nackten Tänzerin. Sie erstarrt auf der linken Fußspitze und streckt das rechte Bein in die Luft. Das macht Enriko Nawrath am liebsten – Künstler, Sänger, Tänzer in ihrer Kunst einzufangen. Im Unterschied zu Pressefotografen kennt er beide Seiten der Linse. Er weiß, wie ein Künstler gesehen werden möchte.

"Deswegen mache ich Pressefotografie nicht und würde es auch nie machen. Ich mache Produktionsfotografie. Ich kenne ja die Leute, ich weiß, was sie bereit sind zu machen, wir waren ja gemeinsam auf der Bühne, wir haben ein ganz anderes Vertrauen. Das honorieren sie, in dem sie mit mir Sachen machen, die sie wo anders nicht machen würden."

Selbst die Bayreuth-Chefin Katharina Wagner stellt sich vor Nawraths Kamera. Als Geschäftsfrau mit Stilettos und stählernem Blick, als unaufgeregte Mitdenkerin an der Seite von Christoph Schlingensief oder als Überfrau – kurvige Walküre mit wallender Lockenpracht. Auf diese Bilderserie, die Enriko Nawrath schlicht "k.w." betitelt, ist der Fotograf besonders stolz.

"Es gibt kaum Fotos von ihr. Der Grund ist, dass sie nicht gerne fotografiert wird. Und das hängt damit zusammen, dass die Leute bei mir das Vertrauen haben, es geht nichts raus, was sie nicht genehmigt haben und wo sie nicht gut aussehen."

Er ist nun mal einer von ihnen, kein Schnappschussjäger, sondern einer vom Theater. Ein Dienstleister vielleicht – und ja, auch ein Künstler.

"Ich möchte, dass man auf dem Foto das später sieht, was man als Zuschauer empfunden hat im Augenblick."


Mehr Informationen:
In der Berliner "Galerie-Ei" ist bis zum 17. August noch die Ausstellung mit Ballettfotografien von Enrico Nawrath zu sehen.

Galerie Ei

Internetauftritt von Enrico Nawrath
Da kann man auch die Bilder von Katharina Wagner sehen.