"Kein Protestant kann selig werden!"

Von Kirsten Serup-Bilfeldt · 02.06.2012
Bunt geschmückte Schiffe, eine glänzende Monstranz - und die Schar der frommen Beter: Für die katholischen Kölner ist die "Mülheimer Gottestracht" seit Jahrhunderten ein Höhepunkt des Kirchenjahres. Doch zugleich sorgte dieses Fest immer wieder für Zündstoff zwischen den Konfessionen.
"Moderator: "Alljährlich am Fronleichnamstag kommen viele Christen und Schaulustige zur "Mülheimer Gottestracht", die ihren Weg zu Wasser und zu Land an der Clemenskirche in Köln-Mülheim beginnt, deren Pfarrer, Herr Metternich, Sie sind. Zuerst einmal, was bedeutet das Wort Gottestracht?"

Pfarrer Josef Metternich: "Wir tragen Gott durch die Straßen und fahren mit ihm über das Wasser...""

Heute wie damals in den 70er-Jahren, als diese Reportage über den Äther ging, ist sie ein farbenprächtiges Schauspiel: diese Kölner Fronleichnamsprozession durch die Innenstadt und anschließend die berühmte "Mülheimer Gottestracht" auf dem Rhein: Die über 100 großen und kleinen bunt beflaggten und blumenbekränzten Schiffe, die prachtvolle, im Sonnenlicht goldglitzernde Monstranz unter dem Baldachin, die Schar der frommen Beter und schließlich der Segen über Stadt und Strom:

"Wir besteigen dann das Schiff und fahren schweigend an die Südgrenze der Stadt zwischen Mülheim und Köln und dann beginnt die eigentliche Schiffsprozession: das Böllern beginnt, die Begleitboote, die von überall her kommen fahren mit. Es ist ein sehr schönes, buntes Bild. Die Monstranz ist aufgebaut und geschmückt, das Schiff hat ein sehr großes Kreuz. Das Schiff ist geschmückt mir Girlanden und Fähnchen."

Was der 2003 verstorbene Mülheimer Priester Josef Metternich damals berichtete, ist für die katholischen Kölner seit Jahrhunderten ein Höhepunkt des Kirchenjahres. Für einen evangelischen Pfarrer dagegen dürfte die "Mülheimer Gottestracht" wohl eher ein Zeichen für die Verschiedenheit von Katholiken und Protestanten sein:

"Eines Tages schenkte mir der katholische Kollege Josef Metternich Schiffskarten für das Prozessionsschiff und das war meine erste Begegnung mit der Mülheimer Gottestracht. Ich war auf dem Oberdeck und da waren auch die Kommunionskinder versammelt. Und während die und auch die Mütter oben 'Großer Gott wir loben dich' sangen und das Prozessionsschiff allmählich auf die Höhe der Clemenskapelle kam, lehnte sich ein kleiner Kommunionsjunge über die Schiffsbrüstung und brüllte runter zu den Sebastianusschützen in ihrem Beiboot: Nä, scheeßt doch endlich! Und dieses Erlebnis - wie sich um die geweihte Hostie herum der ganze katholische Kosmos versammelte, bis hin zu dieser Szene - das hat mich sehr beeindruckt."

Und so begann Dietrich Grütjen, lange Jahre Pfarrer an der evangelischen Friedenskirche in Köln-Mülheim, sich intensiv mit der "Mülheimer Gottestracht" und ihrer langen Geschichte zu befassen.

Deutlich wurde bei seinen Recherchen, dass aber gerade dieses Ereignis früher nur selten so friedlich verlief wie heute: mit andächtig feiernden Katholiken im Zentrum des Geschehens und staunenden protestantischen Zaungästen, die neugierig das Rheinufer säumten. Denn jahrhundertelang sorgte gerade dieses Fest für Zündstoff zwischen den Konfessionen. Vor allem in Mülheim, wo es seit 1610 eine recht lebendige evangelische Minderheit gab.

"Der Fronleichnamstag war sozusagen der Tag, wo der Gegensatz katholisch-evangelisch am prägnantesten war. Und deswegen versuchte die katholische Seite an dem Tag noch mal, die katholische Position deutlich zu machen."

Mit mäßigem Erfolg, denn schließlich hatte Martin Luther heftig gegen das
Fronleichnamsfest gewettert und es rundheraus als das "schändlichste" aller Feste bezeichnet. Vor allem das "Ausstellen" der Hostie ärgerte ihn:

Dietrich Grütjen: "Das widersprach seiner Auffassung vom Abendmahl diametral. Und deswegen war das auch der Tag, wo durch die Jahrhunderte immer wieder gestritten wurde. So, wie die Katholiken am Karfreitag die Wäsche raushängten, fuhren die Evangelischen am Fronleichnamstag ihren Mist aufs Feld."

Der theologische "Stolperstein" bei diesem Fest ist die unterschiedliche Auffassung darüber, was beim Abendmahl geschieht. Es ist einer der zentralen Konfliktpunkte seit Beginn der Reformation. Die Protestanten, vor allem aber die Reformierten beharrten darauf, dass sich die Katholiken mit ihrer Art, die Eucharistie zu feiern, nicht auf der Grundlage der Bibel bewegen. Sie beriefen sich dabei auf den "Heidelberger Katechismus", den am weitesten verbreiteten Katechismus der reformierten Kirche.

Dietrich Grütjen: "Der Heidelberger Katechismus sagt wörtlich: Was da passiert in diesem Messopfer, ist eine Entwertung des Opfertodes Jesu. Weil es durch das priesterliche Geschehen wiederholt werden soll, wird es in seiner Einmaligkeit entwertet und deswegen, so wörtlich in dieser Formulierung aus dem 16. Jahrhundert, ist das Messopfer nichts anderes als eine 'vermaledeite Abgötterei'."

Im Jahr 1780 nun eskalierte der Streit in Mülheim zu einem handfesten Konflikt. Entzündet hatte er sich an einer der sogenannten "Kontroverspredigten", die jedes Jahr bei der "Gottestracht" gehalten wurden und die dazu dienten, das katholische Profil zu schärfen. Doch diesmal hatte der Prediger, der Augustinerpater Simplicianus Haan, den Bogen überspannt. Nachdem er zunächst den Doktor Martinus Luther immer wieder als den "Drecksmerten" verunglimpft hatte, referierte er über:

"Einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe..."

Und für den Fall, dass das noch nicht deutlich genug war, legte er nach:

"Wo ist die seligmachende Glaubenslehre zu finden? Einzig und allein in der römisch-katholischen Kirche!"

Was alles zusammen schon mal für protestantische Verstimmung sorgte. Doch es sollte noch heftiger kommen: Denn der Höhepunkt des Ärgers war erreicht, als die frommen Betrachtungen des Paters in der Behauptung gipfelten:

"Kein Protestant kann selig werden!"

Dietrich Grütjen: "In dem Jahr hat es diesen Ärger wohl deswegen gegeben, weil er diesen Titel gewählt hatte und das war den Protestanten dann zuviel und dann haben die ein Verbot des Drucks dieser Predigt erwirkt und dann gab es einen langen juristischen Streit. Am Schluss wurde sie doch gedruckt. Also, ein Konflikt, der ziemlich hohe Wellen geschlagen hat."

Geglättet wurden diese Wellen erst, als 1794 die Franzosen in Köln einmarschierten - und kurzen Prozess machten.
Dietrich Grütjen: "Die haben dann die öffentliche Kontroverspredigt verboten."

Diese Zwistigkeiten gehören heute längst der Vergangenheit an. Schließlich darf dieser Tage auch schon mal ein evangelischer Pastor auf dem Schiff mitfahren, um die Mülheimer Gottestracht zu erleben.
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