Kein Kampf der Kulturen

Rezensiert von Ralf Altenhof · 09.03.2008
Mit pauschalen Begriffen wie "Kampf der Kulturen" wird die Angst vor der muslimischen Welt geschürt und ein Feindbild aufgebaut, das so nicht existiert, so die These Oliver Roys. In seinem Essay "Der falsche Krieg" fordert der Islamwissenschaftler eine differenzierte Sicht auf die Konflikte im Mittleren Osten.
"Wir müssen aufhören, die Welt durch die Zerrbrille von Al Qaida zu betrachten, denn darin liegt ihre einzige Macht. Das Bild von einer muslimischen Welt, die unter dem Banner des Islam geeint ist und sich anschickt, den Westen anzugreifen, ergibt keinen Sinn."

So lautet eine zentrale These von Olivier Roy. Der französische Islam- und Terrorismusexperte hat einen fulminanten, bisweilen provozierenden Essay geschrieben, in dem er mit einigen Vorurteilen gründlich aufräumt. Die Rede vom "Kampf der Kulturen", die auf Samuel Huntington zurückgeht und von vielen als nahezu unumstößliche Wahrheit gehandelt wird, versieht Roy mit einem Fragezeichen. Sie diene vor allem internen westlichen Debatten, um eine einheitliche Strategie des Islam zu unterstellen. Tatsächlich stehen sich aber weniger der Westen und der Islam gegenüber, sondern die meisten Konflikte sind innermuslimische - in erster Linie solche zwischen Schiiten und Sunniten.

Der Autor wirft den Vereinigten Staaten nach dem 11. September 2001 zwei große Irrtümer vor: einen weltweiten Krieg gegen den Terrorismus begonnen zu haben und die Intervention in den Irak. Die USA hätten das Ausmaß des neuen Terrorismus, der sich in einem globalisierten, entterritorialisierten Raum bewege, bis heute nicht verstanden und suchten weiter nach Verantwortlichen auf staatlicher Ebene. Dass es den Irak traf, führt Roy auf ein Projekt der Bush-Administration zurück, welches unter dem Titel "Großraum Mittlerer Osten" firmiert und die Demokratisierung fördern möchte.

Die Neokonservativen begründen die islamistische Gewalt mit strukturellen Entwicklungsverzögerungen der muslimischen Länder wie Analphabetismus und der fehlenden Gleichberechtigung der Geschlechter. Zu Recht, wenn auch für manchen Leser womöglich überraschend, erkennt der Autor hier Übereinstimmungen zwischen den amerikanischen Neokonservativen und der politischen Linken:

"Die Neokonservativen denken universalistisch und glauben, dass alle in den Genuss politischer Werte wie der Demokratie kommen können. Sie befürworten den Interventionismus und machen sich die vor allem in linken Kreisen entwickelte Theorie vom Recht auf Einmischung zu Eigen. Mit anderen Worten, die Neokonservativen verkörpern keineswegs eine konservativ-reaktionäre Tradition, sondern machen viele Anleihen beim reformistischen Denken der Linken und schöpfen aus dem militanten Universalismus, der für die siebziger und achtziger Jahre typisch war."

Aber das Projekt "Großraum Mittlerer Osten" stößt auf Widerstand, argumentiert der Verfasser, weil die Amerikaner die Demokratie rein institutionell betrachten, ohne historische, kulturelle, gesellschaftliche und nationale Gegebenheiten zu berücksichtigen. Zudem hat manches Programm zum Aufbau der "Zivilgesellschaft" negative Auswirkungen, die unbedacht bleiben. So kann es kein Vorteil sein, wenn - wie im folgenden Beispiel - durch die Beteiligung an einem solchen Programm das "intellektuelle Ausbluten" eines Landes noch forciert wird:

"Wenn ein zweisprachiger Fahrer in Afghanistan oder Tadschikistan das Zwanzigfache dessen verdient, was ein Universitätsprofessor bekommt, verlassen die klügsten Köpfe die Universität und werden Fahrer."

Roy kritisiert auch, dass Begriffe wie Fundamentalismus, Islamismus und Terrorismus häufig synonym verwendet würden. Wer einen Feind besiegen möchte, der muss ihn aber zunächst einmal erkennen. Doch wenn man die genannten Begriffe miteinander vermengt, wird die Identifikation des Gegners eher erschwert. Und was bleibt zu tun? Mit Al Qaida Terroristen kann es jedenfalls keine Gespräche geben, weiß Roy.

"Darum beraubt man sich der Möglichkeit zu handeln, wenn man nicht zwischen primär politischen und primär terroristischen Bewegungen unterscheidet. Man kann unmöglich die ganze Welt angreifen, weil man nicht über das militärische Instrumentarium dafür verfügt: Man kann nicht gleichzeitig gegen Al Qaida, die Taliban, die Hisbollah, die Hamas, gegen Syrien und den Iran Krieg führen und außerdem noch gegen die Muslimbrüder, die verschleierten Frauen und die Imame in den Vorstädten vorgehen."

Deshalb spricht sich der Verfasser für Verhandlungen mit der Hamas und der Hisbollah aus, um ein weiteres Vordringen von Al Qaida nach Palästina und in den Libanon zu verhindern. Das dürfte manchem übel aufstoßen. Aber wir sollten uns einmal daran erinnern, wie Arafats Fatah noch in den achtziger Jahren beurteilt wurde und welcher Wandel inzwischen eingetreten ist. Moralische Kompromisslosigkeit, betont Roy, führt in eine Sackgasse. Wer eine Demokratisierung der muslimischen Welt möchte, muss ihm zufolge die Islamisten einbinden, die sich wie die türkische AKP für Demokratie und Integration ausgesprochen haben. Oder anders gesagt: Es gilt, zwischen den Taliban einerseits und Erdogan andererseits zu wählen.

Olivier Roy, Forschungsdirektor am Pariser Centre National de la Recherche Scientifique, hat ein wichtiges Buch vorgelegt, das für Kontroversen sorgen dürfte. Es kommt mit wenig Emphase daher, dafür mit umso mehr Empathie. Dem Autor geht es darum, unserem Gerede von "dem" Islam ein differenziertes Bild entgegenzustellen. Roy erweist sich als gänzlich unabhängiger Kopf, der keine Denkverbote kennt. Auch der Verlag ist zu loben. Nicht nur, dass er das Buch innerhalb kürzester Zeit dem deutschen Leser zugänglich gemacht hat; er präsentiert es auch in angemessener Ausstattung: in Leinen gebunden. In den vergangenen, vom Sparen geprägten Jahren galt das nicht für viele politische Bücher.

Olivier Roy: Der falsche Krieg
Islamisten, Terroristen und die Irrtümer des Westens

Aus dem Französischen von Ursel Schäfer
Siedler Verlag, München 2008
Olivier Roy: Der falsche Krieg
Olivier Roy: Der falsche Krieg© Siedler Verlag