Kauen gegen Karies

Von Udo Pollmer · 02.12.2007
Helfen zuckerfreie Kaugummis wirklich besser gegen Karies als herkömmliche Produkte? Studien zeigen: Kaugummis mit Zucker sind genauso wirksam.
Anlass: Allerorten werden zahnschonende Kaugummis statt ihrer zuckerhaltigen Pendants gekaut. Schließlich weiß jedes Kind: Zucker ruiniert die Zähne.

Was sind "Zahnschonende" Süßwaren? Sie enthalten statt Zucker sogenannte Zuckeraustauschstoffe. Das sind zuckerähnliche Verbindungen wie Sorbit oder Xylit, die von der Mundflora nicht oder fast nicht verwertet werden können. Auch der Körper kann daraus keine Kalorien gewinnen, weil sie von den Verdauungssäften nicht angegriffen werden.

Warum verwendet man dann nicht allgemein Sorbit statt Zucker? Weil das in die Hose gehen würde, denn da die Stoffe nicht verdaut werden und zugleich im Darm Wasser binden, kommt es zu Durchfällen. Die Darmflora mancher Menschen kriegt die Stoffe dennoch klein, die Folge sind Blähungen. Vor allem Kinder reagieren darauf empfindlich. Bei manchen führen bereits geringe Dosen, wie sie in eine paar "zahnschonenden" Bonbons drin sind, zu erheblichen Beschwerden. Gesundes ist auch diesmal nur theoretisch "gesund".

Hilft denn der Zahnschonende Kaugummi wenigstens, die Zähne gesund zu halten? Damit hat sich die zahnmedizinische Wissenschaft intensiv beschäftigt. In einer Übersichtsarbeit aus Schweden wurden alle einschlägigen Studien aus dem Zeitraum 1966 bis 2003 herausgefiltert, insgesamt 18 Studien - randomisiert oder kontrolliert mit einem mindestens zweijährigen Follow-up. Aber auch diese Studien waren von ihrer Methodik her allenfalls zweitklassig. Ergebnis: Zuckerfreier Kaugummi senkt die Karieshäufigkeit im Schnitt um ein Drittel.

Eine weitere Übersichtsarbeit vom Zentrum für Zahnheilkunde in Amsterdam kommt zum gleichen Resultat. Allerdings fiel bei dieser Analyse etwas Merkwürdiges auf: Nicht die Menge an Zuckeraustauschstoffen beeinflusste das Kariesrisiko, sondern wie viel gekaut wurde. Ein Effekt trat meist erst ab zwei Kaugummi pro Tag ein. Selbst Bonbons mit Zuckerersatzstoffen verminderten erfolgreich kariöse Zähne bei Kindern. Das tägliche Spülen mit einer Xylit-Lösung hingegen hatte keinen Nutzen.

Und was hat das zu bedeuten? Es sind nicht die angeblich "zahngesunden" Zuckeraustauschstoffe, die hier wirken, sondern das Kauen. Schaut man sich die Studien genauer an, sieht man sehr schnell, dass es sich durchweg um einen faulen Trick handelt: Der Kunstgriff lag in der Wahl der Kontrollgruppen. Die bekamen nicht etwa zuckerhaltige Kaugummi, sondern gar keinen. Das ist von großer Bedeutung, weil das Kauen die Zähne reinigt und den Speichelfluss anregt. Lediglich eine einzige Arbeitsgruppe testete gegen einen Kaugummi ohne Süßungsmittel. Prompt gab es zwischen "pur" und Xylit beziehungsweise Sorbit keinerlei Unterschiede. Bei beiden Gruppen lag die Karies jeweils um etwa ein Drittel niedriger als bei Probanden ohne Kaugummi. Demnach beruht die Wirkung gerade nicht auf einem Zusatz von Xylit. Es ist das Kauen selbst, das den Zähnen gut tut.

Und welchen Effekt hat dann ein gewöhnlicher Kaugummi mit Zucker? Genau den gleichen - nur ohne Blähungen oder Durchfall. Denn nicht der Zucker im Essen entscheidet über die Karieshäufigkeit, sondern vor allem der Speichelfluss, denn der Speichel reinigt die Zähne und er remineralisiert sie, das heißt er repariert sie, wenn sie beispielsweise durch Säuren wie Orangensaft oder Salatsoße angegriffen worden sind. Wer hingegen unmittelbar nach dem Essen seine Zähne putzt, der reibt mit der Zahnpasta den angegriffenen Zahnschmelz weiter ab. Deshalb schützt der Kaugummi das Gebiss.

Welche Rolle spielt dann der Zucker? Im Falle des Kaugummis offenbar keine. Während alle Welt gebannt wie ein Karnickel auf den "Zucker" starrt, beeinflussen ganz andere Inhaltsstoffe die Wirkung: Die Kaumassen selbst. Diese bestehen heute überwiegend aus Kunststoffen, manchmal werden sie aber immer noch mit natürlichen Harzen wie Mastix versetzt. Mastix wirkt antibakteriell und macht schon nach 15-minütigem Kauen die Kariesbakterien platt.

Literatur
EU.L.E.n-Spiegel - Wissenschaftlicher Informationsdienst des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften e.V. 2007/Heft 5