Katrin Himmler

Was die Großnichte des "Reichsführers SS" Schülern erzählt

Der Reichsführer der SS (Schutzstaffel), Heinrich Himmler, hält aus dem Auto heraus ein Ansprache vor jungen SS-Männern. Undatierte Aufnahme.
Der Reichsführer der SS (Schutzstaffel), Heinrich Himmler, hält aus dem Auto heraus ein Ansprache vor jungen SS-Männern. Undatierte Aufnahme. © dpa / picture alliance / Bildarchiv
Von Anke Petermann · 27.01.2017
Über das Dritte Reich und den Nationalsozialismus wissen die meisten Schüler ganz gut Bescheid, doch die Verstrickungen der eigenen Familie sind oft ein blinder Fleck. Wie schwer die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist, weiß Katrin Himmler - die Großnichte des Reichsführer SS Heinrich Himmler.
"Der Anständige" - im Darmstädter Kino Rex geht der Film von Vanessa Lapa zuende. Gedreht hat ihn die israelische Regisseurin auf der Basis unlängst aufgetauchter Dokumente: die Politologin Katrin Himmler hat den lange verschollenen Nachlass ihres Großonkels Heinrich Himmler, Reichsführer SS, ausgewertet: die Briefe an seine Ehefrau, die Geliebte und die Tochter. Nach dem Film bleiben fast alle Zuschauer in dem vollbesetzen kleinen Kino-Saal. Denn Katrin Himmler stellt sich wie so oft, auch nach ihren Lesungen, den Fragen des Publikums.
Viele Schüler sind unter den etwa 120 Zuhörern. Wann hat sie erfahren und wann begriffen, dass sie Großnichte eines Massenmörders ist, will eine junge Frau wissen. Katrin Himmler lässt sich auf jede Frage ein - nüchtern, nie emotional.
"Bewusst verstanden, was es bedeutet, habe ich das – glaube ich – im Alter von elf Jahren, als ich diese US-Mini-Serie Holocaust gesehen habe, weil mir da zum ersten Mal die Dimension klar geworden ist, wofür Heinrich Himmler tatsächlich verantwortlich war. Gewusst habe ich es eigentlich immer schon, von klein auf, weil mein Vater darüber immer offen geredet hat mit uns und es ihm sehr wichtig war, dass wir darüber Bescheid wissen."

Über die Sicht der Täter aufklären

Inzwischen weiß die Endvierzigerin, dass alle Vorfahren tief verstrickt waren in den Nationalsozialismus. Sie will über die Sicht der Täter aufklären, das ist ihre Mission, quasi herkunftsbedingt.
Himmler: "Ich hab den Anfang nicht richtig verstanden, können Sie’s bitte noch mal sagen?"
Wie war die Vorstellungswelt des Großonkels, der den Massenmord organisiert hat? Er lobte die SS-Mörder, seine Mittäter, und nannte sie "anständig".
"Er meint damit auch sicherlich, dass sie diese Aufgabe auf sich genommen haben, stellvertretend für alle anderen Deutschen und damit sozusagen ihrem Volk gedient haben."
Auch jüdische Kinder zu erschießen, fand Heinrich Himmler notwendig. Zum Schutz vor Rache. Seine perfide Logik.
Katrin Himmler behält ihren beiläufigen Unterton - ganz gleich, wie grauenvoll die Ideen sind, die sie da in klaren Worten seziert.
Wie fühlt es sich an, die Mitschuld der eigenen Familie zu analysieren? Katrin Himmler hat dafür Zeit gebraucht. Sie war Anfang 30, als sie der Familiengeschichte erstmals nachforschte.
"Das hat auch viele Jahre gedauert, dieser Prozess. Das hatte auch damit zu tun, dass ich bei mir ganz allmählich diese inneren Widerstände festgestellt habe, dass ich am Anfang noch dachte, für mich ist das kein Problem, für mich ist das viel leichter als für die zweite Generation noch, diese kritischen Fragen zu stellen, weil ich so viel Distanz habe. Und dann musste ich mit der Zeit feststellen, dass ich gar nicht so viel Distanz habe, dass mich das alles berührt hat, und dass ich innere Widerstände hatte, vor allem als es um meine Großmutter ging."
Die Politologin und Himmler-Großnichte Katrin Himmler
Die Politologin und Himmler-Großnichte Katrin Himmler© dpa / picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler
Die starb, als Katrin 16 war. In ihrem Nachlass findet Katrin den Brief eines verurteilten Generals der Waffen-SS. Er bedankt sich für die Päckchen, die die Oma ihm ins Gefängnis geschickt hat.
"Das fiel mir sehr, sehr schwer, mich damit zu konfrontieren, dass sie nicht nur die liebe Oma war, die ganz unpolitisch war, sondern dass sie auch überzeugte Nationalsozialistin war."
Katrin Himmler nimmt teil an Gesprächen zwischen Nachfahren von Tätern und von Holocaust-Opfern. Sie geht in Schulen und spricht mit Jugendlichen über die Familie Himmler, will aber auch umgekehrt von den Schülern erfahren,
"… was die denn wissen über ihre eigenen Vorfahren, ob sie überhaupt irgendwas in der eigenen Familie darüber reden oder etwas erfahren, ob es Fotoalben gibt oder alte Dokumente. Oder ob das alles verschwiegen wird. Beziehungsweise ob sie schon zu weit weg sind, weil es schon die Urgroßeltern sind, und man da generell nicht mehr viel weiß darüber. Was ich immer wieder feststelle, ist, dass die über dieses Thema meistens sehr gut allgemein informiert sind, dass sie aber über ihre persönliche Familiengeschichte und ihren Bezug zum Nationalsozialismus so gut wie nichts wissen. Da gibt es eine Riesen-Differenz."

Schonungslos und präzise

Ihre Botschaft: Nur die biografisch-familiäre Nahsicht auf das NS-Erbe sensibilisiert für Ausgrenzung.
Den 16-jährigen Felix, der mit seinem Geschichtsleistungskurs das Kino besucht, hat Katrin Himmler jedenfalls gepackt mit der Kombination aus biografischer Schonungslosigkeit und wissenschaftlicher Präzision. Imponiert hat Felix, ...
"…wie intensiv oder offen damit umgegangen wurde, in der Familie Himmler. Was sehr lobenswert ist, denn wenn man es verschweigt, geht es unter, und ich denke, man sollte offen damit umgehen können."
Das Wort "völkisch", das AfD-Frontfrau Petry wieder salonfähig machen will, war Holocaust-Organisator Heinrich Himmler schon weit vor 1933 wichtig. Als Agrar-Student trat er einer schlagenden Verbindung bei, lobte deren "völkische Haltung". Auch das geht aus dem Nachlass hervor, den seine Großnichte ausgewertet hat. Irrationalen Ängsten, zum Beispiel vor angeblicher "Überfremdung", setzt Katrin Himmler die Vernunft entgegen. Akribische Recherche ist dabei ihre stärkste Waffe.
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