Katholische Kirche und Front National

Ein offenes Ohr für Le Pen

Demonstration gegen Lager für Geflüchtete in Versailles am 11. November 2016.
Demonstration gegen Lager für Geflüchtete in Versailles. © Deutschlandradio - Bettina Kaps
Von Bettina Kaps · 04.12.2016
24 Prozent der praktizierenden Katholiken in Frankreich gaben Marine Le Pens Front National bei den Regionalwahlen im vergangenen Jahr ihre Stimme. Einige christliche Institutionen versuchen dagegen zu halten. Andere hoffen auf einen Sieg der Repulikaner mit François Fillon.
11. November: Ganz Frankreich erinnert wie jedes Jahr mit feierlichen Zeremonien an das Ende des Ersten Weltkriegs. In Versailles zelebriert Bischof Eric Aumonier eine Messe, um der Toten zu gedenken. Am Nachmittag ziehen ein paar hundert Menschen vor das Königsschloss, scharen sich um ein Transparent mit der Aufschrift "Nein zum Migrantenlager". Ein Stadtrat ergreift das Wort. Fabien Bouglé, Mitglied einer rechtsextremen Gruppierung, attackiert Staat, Regierung und Kirche, wettert gegen den, so wörtlich, "korrumpierten Klerus".
"Heute Morgen, im Gottesdienst, da ging es nicht um unsere Vorfahren, die im Ersten Weltkrieg gekämpft haben, da ging es um die Migranten! Bischof Aumonier, Sie haben keine Predigt, sondern eine politische Rede gehalten! Sie fordern, dass wir Migranten und Flüchtlingen wohlwollend begegnen. Damit haben Sie viele Menschen schockiert. Sie ignorieren die Opfer von kriminellen Migranten. Sie ignorieren unsere Armen und unsere Obdachlosen. Es reicht, Monseigneur!"
Auch Alexandre Delport skandiert, dass er kein Flüchtlingslager will. Auch er war vormittags mit Frau und sechs Kindern beim Gottesdienst in der Kathedrale.
"Wenn man katholisch ist, muss man die Kirchenlehre in seinem täglichen Handeln befolgen. Ich lebe so, dass ich jeden Sonntag zur Kommunion gehen kann."

Bindungen zu den Rechtsextremisten

Der 40-Jährige arbeitet als Fachmann für öffentliche Finanzen in einem Ministerium. In seiner Freizeit engagiert er sich in der Splitterpartei SIEL, die Abkürzung steht für "Souveränität, Identität und Freiheit". Die Gruppierung pflegt enge Bindungen zum rechtsextremen Front National. Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2012 hat Alexandre Delport sogar für den FN kandidiert.
"Heutzutage kann man Katholik sein, ohne dass man blass, fade und negativ ist, so wie man uns früher oft dargestellt hat. Ich bin froh, dass wir uns jetzt aus den vorgefertigten Denkmustern befreien, die man uns aufzwingen will."
Frei machen von alten Denkmustern, das heißt für den gläubigen Katholiken auch, die Vorgaben von Papst und Bischöfen zu bekämpfen, wenn sie ihn nicht überzeugen. Der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz, Georges Pontier, hat erst im Oktober vor dem Front National gewarnt, weil die rechtsextreme Partei Frankreich von Europa abschotten wolle und die individuellen Freiheiten bedrohe. Delport tangiert das nicht.
"Die französischen Bischöfe haben sich den Forderungen des FN oft widersetzt. Ihre Ansichten stehen aber oft auch im Widerspruch zu dem, was ihre Schäfchen denken. Die Kirche befindet sich in einem tiefen Wandel, viele junge Priester verbreiten diesen wiedergefundenen, offensiven Glauben. Wir müssen uns nicht mit einer einfachen Erklärung der Bischofskonferenz aufhalten."

Begreifen, wie Front National-Anhänger ticken

Dass immer mehr Christen ein offenes Ohr für die Parolen des FN haben, beunruhigt Jean Merckaert. Der 39-Jährige ist Chefredakteur der katholischen Zeitschrift "Projet".
"Wenn das Gespräch auf den FN und die Rechtsextremen kommt, löst das in vielen französischen Familien Spannungen aus. Wir alle haben einen Onkel, Großeltern oder Neffen, mit denen wir nicht richtig diskutieren können, weil sie mit rechtsextremen Ideen liebäugeln."
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"Projet"-Redakteur Jean Merckaert.© Deutschlandradio - Bettina Kaps
Das Magazin "Projet" wird vom "Centre de recherche et d'actions sociales" herausgegeben, einer Einrichtung der Jesuiten. Zu den Partnern gehören auch katholische Akteure wie die Caritas oder die Pfadfinderorganisation "Guides et Scouts de France". Vor einem Jahr hat die Redaktion ein Schwerpunktheft in Angriff genommen zum Thema "Rechtsextreme: Zuhören, verstehen, handeln". Um zu begreifen, welche Sorgen die Menschen in die Arme der Extremisten treiben, erklärt Jean Merckaert.
Die Entwicklung ist spektakulär: Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012 haben nur vier Prozent der praktizierenden Katholiken für Marine Le Pen gestimmt, bei den Regionalwahlen im Dezember 2015 waren 24 Prozent der Katholiken für den Front National.
Der Schock war so groß, dass die Redaktion beschloss, das Magazin massiv zu verbreiten: Die Auflage wurde von sonst 3.000 Exemplaren auf sage und schreibe 80.000 Exemplare erhöht. Finanziert durch eine Sammelaktion. Das Schwerpunktheft ist im Oktober erschienen, es wurde allen Abonnenten der katholischen Tageszeitung "La Croix" kostenlos zugeschickt.
"Das Heft richtet sich an Menschen, die besorgt sind, aber nicht wirklich verstehen, warum rechtsextremes Gedankengut auf so große Resonanz stößt. Wir wollen ihnen Grundlagen liefern, damit sie mit Personen ins Gespräch kommen können, die von den Rechtsextremen angezogen sind."
Besorgt ist man auch bei der Pfadfinderorganisation "Guides et Scouts de France". François Mandil arbeitet am Sitz des Vereins in Paris. In seinem Büro steht ein großer Karton mit den Heften, er will sie an Gruppenleiter verteilen.
"Weil nun auch bei den Katholiken die Dämme brechen, wollen wir unseren Freiwilligen helfen, sich damit auseinander zu setzen und zu reagieren. Eigentlich behandeln wir ja keine politischen Themen, aber nächstes Jahr stehen wichtige Wahlen an, und die Stimmung ist leider zur Zeit sehr angespannt."

Gezielte Falschinformationen

Das geht auch aus vielen Mails hervor, die bei den Pfadfindern eintreffen. Verunsicherte Eltern äußern Sorgen, die von den Rechtsextremen geschürt werden, sagt Mandil. Zum Beispiel die Behauptung, Frankreich werde islamisch unterwandert, Weiße und Christen würden von Muslimen verdrängt. Einige Extremisten gingen sogar noch weiter.
"Im Frühjahr hat ein rechtsextremes Web-TV eine gezielte Falschinformation verbreitet, wonach Pfadfinder in einer Vorstadt von Paris angegriffen worden seien und deshalb fortan keine Uniform mehr tragen dürften. Seit sechs Monaten verschwenden wir nun schon unsere Zeit, um besorgten Eltern zu sagen: Das ist eine pure Erfindung! Unsere Mitglieder sind wie alle Franzosen, viele haben Zukunftsängste."
Umso mehr freut es Mandil, dass die katholischen Pfadfinder enormen Zulauf haben: In den vergangenen zehn Jahren ist ihre Zahl um 30 Prozent auf 75.000 Mitglieder gestiegen.
"Wir treffen Pfadfinder aus anderen Ländern oder anderer Konfessionen, wir organisieren Aktionen, bei denen junge Pfadfinder zu Romafamilien gehen, wir helfen Migranten... All diese Begegnungen bauen Schranken ab. Wenn man menschliche Bindungen knüpft, befindet man sich in einer völlig anderen Dimension als die der Rechtsextremen. Wir handeln, um eine bessere Welt zu schaffen."
Für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Mai ist entscheidend, wer gegen die FN-Kandidatin Marine Le Pen antritt. Zur allgemeinen Überraschung wurde bei den Vorwahlen der rechten Oppositionspartei Les Républicains François Fillon zum Präsidentschaftskandidaten gekürt. Der stramm konservative Politiker bekennt sich als praktizierender Katholik. Er wird von zahlreichen traditionsorientierten Katholiken unterstützt, beispielsweise setzen militante Gegner der Homoehe auf ihn. Es ist durchaus möglich, dass Fillon einen Teil der katholischen Front-National-Wählerschaft zurückerobern kann.
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