Katholikentag

Der Papst in eigenen Worten

Papst Franziskus bei einer Ostermesse im Petersdom
Die Stärke von Papst Franziskus liegt in seiner direkten Ansprache der Menschen. © Picture Alliance / dpa / MAXPPP / Riccardo De Luca
Von Philipp Gessler · 01.06.2014
Der christlich geprägte Herder-Verlag hat 66 Reden von Papst Franziskus aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires übersetzen lassen. Es zeigt sich, dass Jorge Mario Bergoglio seine Thesen bis heute nicht geändert hat. Allerdings waren diese Texte für bestimmte Tage geschrieben, sie faszinieren wohl mehr beim Hören als beim Lesen.
"Die Bischöfe müssen Hirten sein, nahe am Volk. Väter und Brüder, mit viel Milde geduldig und barmherzig. Menschen, die die Armut lieben – sowohl die innere Armut als Freiheit vor dem Herrn, als auch die äußere Armut, als Einfachheit und Strenge in der persönlichen Lebensführung. Männer, die nicht eine Prinzenpsychologie besitzen."
Das ist der ganze Papst Franziskus – zusammengefasst in drei, in seinen eigenen Sätzen. Jorge Mario Bergoglio, gewählt im März vergangenen Jahres zum Papst, hat diese mahnenden Sätze vor Bischöfen aus Lateinamerika und der Karibik beim Weltjugendtag Ende Juli vergangenen Jahres in Rio gesagt.
Und sie enthalten die wesentlichen Punkte seines Programms, mit der er mindestens die katholische Welt mit ihren rund 1,2 Milliarden Gläubigen seit 16 Monaten in Atem hält. Die Schlagworte: Nähe zum Volk, eine barmherzige, eine arme Kirche – und ein Ende des Klerikalismus.
Über diesen erstaunlichen Papst und sein Programm ist seitdem so manches geschrieben worden – doch vieles davon wurde überhastet zusammengestümmelt und wirkte schnell, nach seinem furiosen Start im Papstamt, überholt. Um Grundlinien des Denkens des Papstes zu erkennen, ist es deshalb sinnvoll, ein wenig in die Vergangenheit zu schauen und nachzulesen, was Bergoglio früher gesagt und geschrieben hat.
Der Papst ist sich treu geblieben
Der christlich geprägte Herder-Verlag aus Freiburg hat sich die Mühe gemacht, ein vor sieben Jahren in Buenos Aires erschienenes Buch mit 66 Reden übersetzen zu lassen und auf Deutsch zu veröffentlichen. Es sind vor allem Predigten, die Bergoglio seit 1999 als Erzbischof der argentinischen Hauptstadt bis zum Jahr 2007 verfasst hat – seit 2001 hielt der Erzbischof sie in Kardinalspurpur.
Was erfährt man in dem Buch mit dem passenden Titel "Die wahre Macht ist der Dienst" über Bergoglio und sein Denken? Beispielsweise dies: ein Zitat aus einer Predigt, die er Katecheten vor neun Jahren gehalten hat.
"Fassen Sie Mut und denken Sie die Pastoral und die Katechese von den Rändern her, denken Sie an diejenigen, die am weitesten entfernt sind, die in der Regel nicht in die Kirche gehen. (…) Praktizieren Sie eine Pastoral der Hinterhöfe, der Türen, der Häuser, der Straße. Worauf warten Sie noch? Gehen Sie hinaus."
Dieser Mut zum Rausgehen aus dem wohligen Schutzraum der Kirche – hin zu den Menschen am Rande, am Rande der Gesellschaft und am Rande der Kirche; das ist tatsächlich ein Grundzug seines Denkens, ja seiner Theologie.
Die Texte zeigen: Da ist sich jemand treu geblieben, auch als Papst. Franziskus, so hat es sein deutscher jesuitischer Mitbruder Pater Klaus Mertes einmal gesagt, betreibe Befreiungstheologie minus Marxismus, plus Volksfrömmigkeit. Und tatsächlich sieht man diese wunderbar zusammengefasste These überall in dem Buch bestätigt.
Franziskus' konservative Seite überrascht

Dabei ist manchmal überraschend, wie konservativ dieser doch in den großen Dingen eher liberale und tolerante Jorge Mario Bergoglio sein kann – mit Anklängen an die Klagen des Joseph Ratzinger über die "Diktatur des Relativismus" kurz vor dessen Wahl zum Papst Benedikt XVI.
Ja, in Bergoglios Buch finden sich selbst solche Gedanken, die einen leicht anti-demokratischen Schlag haben. So zitiert der damalige Erzbischof Bergoglio 1999 wohlwollend die Aussage, die globalisierte Kultur gleiche einer „Kultur des Schiffbruchs“:
"Da die Werte in den Bereich des Subjektiven verbannt worden sind, schreiten wir von einem 'konjunkturellen Konsens' zum nächsten und damit zugleich in den Niedergang: Verhandlung und Konsens führen zu einer 'Angleichung nach unten'. Man kommt voran, indem man paktiert. Folglich triumphiert die Logik der Gewalt."
Jorge Mario Bergoglio ist in erster Linie ein Menschenfischer und Reformer, nicht unbedingt ein großer Theologe und Demokrat. Ihm geht im Überschwang der Predigt gelegentlich die Logik flöten. So mutet es beispielsweise seltsam an, dass er an einer Stelle eine Flut der leeren Worte kritisiert, ihr aber selbst genau dabei nicht Herr wird:
"Sehr eng mit diesem Paradigma des Deismus verknüpft ist ein Prozess, der den Worten ihren Inhalt nimmt (die Worte besitzen kein Eigengewicht mehr, werden nicht Fleisch). Worte sind nur mehr leere Hülsen. (…) Es herrscht eine Inflation der Worte. (…) Das Wort, das sein Gewicht verloren hat, ist hohl."
Eine vielleicht unvermeidbare Schwäche des Buches ist: Es versammelt Texte, die vor allem seelsorgerisch gemeint waren und für den Tag geschrieben wurden. Das ist so ähnlich wie bei Petrus und Paulus: Der große Theologe Paulus hat dem Christentum durch seine Gedanken neue Welten eröffnet und fasziniert nicht nur die Theologen bis heute – Petrus aber hat die Menschen bewegt und war der Fels der Kirche. Man darf sich Jorge Mario Bergoglio als einen solchen Fels vorstellen.
Als reine Lektüre ist die Faszination der Texte begrenzt
Die Stärken Bergoglios liegen in der direkten Ansprache der Menschen, in der Predigt, im Wecken von Gefühl und Begeisterung. Das Buch liefert dafür viele Beispiele, etwa dieses, das an den rhythmischen Ansprache-Antwort-Predigt-Stil eines Martin Luther King erinnert – es war eine Predigt zum Jahrtausendwechsel, Weihnachten 1999:
"Spüren wir die Gegenwart aller und sprechen wir: 'Gott mit uns.' Denken wir an den heiligen Josef und an die Jungfrau und sprechen wir: 'Gott mit uns.' Denken wir an die Hoffnung Jesajas und der Propheten, unseres Vaters Abraham und der Patriarchen, und sprechen wir: 'Gott mit uns.'
Spüren wir die liebevolle Nähe der Heiligen, dieser unüberschaubaren Menge von Männern und Frauen, die 'durch die Jahrhunderte hindurch in seiner Freundschaft lebten', und beten wir mit ihnen: 'Gott mit uns.' Gehen wir zu den Ärmsten und sagen wir mit ihnen gemeinsam: 'Gott mit uns‘.“
Das Buch mit einer Auswahl seiner Predigten und Reden gibt eine Ahnung davon, welche Emotionen Jorge Mario Bergoglio in der direkten Ansprache zu wecken vermag. Als reine Lektüre aber ist die Faszination der Texte leider begrenzt.

Jorge Mario Bergoglio: "Papst Franziskus. Die wahre Macht ist der Dienst"
Aus dem Spanischen von Gabriele Stein
Herder Verlag Freiburg, Febraur 2014
432 Seiten, 24,00 Euro, auch als ebook

Mehr zum Thema