Katalonien "könnte durchaus als eigener Staat bestehen"

26.11.2012
Hinter separatistischen Tendenzen stecke der Wunsch wirtschaftlich starker Regionen, ihre Situation in Krisenzeiten zu verbessern, sagt der ÖVP-Politiker Franz Schausberger. In Katalonien etwa gehe nur ein Drittel des Steueraufkommens zurück in die Region.
Jörg Degenhardt: Der Bayer tickt anders als der Mecklenburger, der Franke anders als der Saarländer. Na und? Miteinander leben sie gewissermaßen unter einem Dach, auch wenn mancher im Freistaat meint, die Bayern könnten es auch alleine, ohne die anderen Bundesländer. Aber stellen wir uns das mal vor, nur theoretisch: Deutschland ohne Bayern, Großbritannien ohne Schottland oder Spanien ohne Katalonien! Dort wurde am gestrigen Sonntag gewählt. Die Partei des amtierenden Präsidenten der Regionalregierung hatte die Unabhängigkeit der wirtschaftlich starken Union von Madrid zum zentralen Wahlkampfthema gemacht. Das Ergebnis war allerdings nicht so wie erwartet: Die Partei hat gewonnen, aber Stimmen verloren. Gleichwohl, was passiert, wenn eine Region ernst macht und den Schritt in die Unabhängigkeit wagt? Was bedeutet das für den großen Rest?

Darüber habe ich mit Franz Schausberger gesprochen, der Politiker von der ÖVP, der Österreichischen Volkspartei, ist Gründer und Vorstand des Instituts der Regionen Europas in Salzburg. Erst die Katalanen, dann vielleicht die Schotten 2014, die sich von Großbritannien lossagen? Dann Südtirol oder Flandern? Manche warnen schon vor einer Balkanisierung Europas, steht die bevor?

Franz Schausberger: Also, ich meine, dass zuerst einmal Gelassenheit angesagt ist. Als Historiker muss ich dazu sagen, Staaten kommen und gehen. Staaten entstehen und Staaten vergehen auch wieder, es ist also in der Geschichte nichts Ungewöhnliches. Der Zerfall der Sowjetunion, der Zerfall Jugoslawiens oder auch der Zerfall des größeren Serbiens ist ja noch gar nicht so lange her. Und ja, natürlich, man muss schauen, dass solche Entwicklungen – und das ist das Entscheidende –, dass sie, wenn sie eingeleitet werden, dass sie friedlich verlaufen. Und es könnte durchaus sein, dass wir in der nächsten Zeit in Europa auch noch weitere neue Staaten bekommen. Ich sehe das gar nicht so dramatisch.

Die Gründe sind ja meistens deutlich und gegeben, nämlich dass in wirtschaftlich kritischen Zeiten halt Regionen, die wirtschaftlich stark sind und die zum Teil zur Kasse gebeten werden, die von den Zentralregierungen abgezockt werden, dass die einfach zu verhandeln beginnen und eine bessere Situation herausholen wollen, wobei die ja selbst auch von der Wirtschaftskrise nicht unbelastet geblieben sind.

Degenhardt: Das heißt, Herr Schausberger, man möchte seinen Reichtum möglichst nicht mit anderen teilen?

Schausberger: Na ja, ich kann Ihnen sagen, dass zum Beispiel … In Katalonien geht nur ein Drittel des Steueraufkommens aus dieser Region zurück in die Region. Und inzwischen ist durch die Wirtschaftskrise in Katalonien auch eine ganz, ganz prekäre Situation entstanden und der dortige Regionalpräsident hat mit der nationalen Regierung verhandeln wollen über eine bessere, über eine andere Regelung. Und das hat man abgelehnt und dann hat er gesagt, dann mache ich Neuwahlen. Das ist der Nährboden für den falsch verstandenen Regionalismus hin zu Separatismus. Denn der Regionalismus, der Regionalismus als solcher ist ja eher das Gegenteil: Ein guter Regionalismus bindet ja die Regionen stark an den Gesamtstaat.

Degenhardt: Ist das Regionalismus, ist das Separatismus oder ist das vielleicht auch Nationalismus? Wo sind denn da überhaupt die Grenzen?

Schausberger: Der Nationalismus ist meistens ein vorgeschobenes Argument für den Separatismus. Ich glaube, wenn die wirtschaftliche Situation gut ist, dann kämpfen sozusagen die Nationalisten für den Bestand ihrer Sprache, für den Bestand ihrer Kultur. Aber wenn’s wirtschaftlich schlecht geht, dann geht’s ums Geld. Und wenn’s ums Geld geht, da ist die Freundschaft dann vorbei. Und das sehen wir jetzt in verschiedenen Bereichen.

Degenhardt: Also, gibt es in Zeiten der Krise, in Krisenzeiten überhaupt – ich denke an die europäische Währungskrise – automatisch mehr Separatismus?

Schausberger: Zumindest eine höhere Unzufriedenheit von wirtschaftlich guten, bisher guten Regionen mit ihren nationalen Regierungen. Das Problem, das wir jetzt haben, ist, dass die nationalen Regierungen in vielen Bereichen versagen. Wenn Sie sich nur anschauen die Schuldenpolitik: Es ist kein Nationalstaat in der Lage, wirklich seine Finanzen wieder in Ordnung zu bringen. Daher muss die EU eingreifen. Und auf der anderen Seite haben wir die Regionen, die zum überwiegenden Teil ihre Situation noch besser in Ordnung haben, und die sagen natürlich dann, okay, wir wollen verhandeln, zumindest mit dem Nationalstaat. Und dann kommt meistens der Teufelkreis.

Degenhardt: Herr Schausberger, ist das nicht ein Widerspruch in sich oder möglicherweise sind das auch zwei Seiten einer Medaille: Einerseits sollen die Mitgliedsstaaten der EU Souveränitätsrechte an Brüssel abgeben, ich denke da an Haushaltsfragen, auf der anderen Seite pochen einzelne Regionen auf mehr Selbstständigkeit. Das ist doch eigentlich ein Widerspruch?

Schausberger: Das ist nicht ein Widerspruch, das ist nur eine Frage einer anderen Verteilung, die wahrscheinlich notwendig ist in solchen Situationen. Und darum geht’s im Wesentlichen. Das Problem ist ja, dass in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Zentralstaaten oder die Gesamtstaaten mit Druck auf die Regionen reagieren. Und da gibt es den Gegendruck und das ist der Teufelskreis, aus dem wir im Moment in verschiedenen Bereichen Europas ja – bei weitem nicht überall – aber nicht herauskommen.

Degenhardt: Wären denn die neuen Staaten überhaupt auch automatisch Mitglieder der Europäischen Union? Also, Katalonien zum Beispiel, das Baskenland oder eventuell dann irgendwann mal Südtirol oder Schottland?

Schausberger: Schauen Sie, Katalonien hat 7,5 Millionen Einwohner, das ist ungefähr so groß wie Österreich. Das ist ein Gebilde, das durchaus als eigener Staat bestehen könnte. Und ich kann nur sagen, die Europäische Union müsste sich eigentlich auf diese Dinge vorbereiten, indem sie zum Beispiel ein verkürztes Aufnahmeverfahren schafft für neue Staaten, die sich von einem EU-Mitgliedsstaat selbstständig gemacht haben. Denn es kann ja nicht sein, dass dieser Staat oder dieser neue Staat ganz anders behandelt wird. Der hat ja schon einmal das ganze Prozedere mit hinter sich gebracht und da müsste es ein eigenes Verfahren geben, ein objektives Kriterium auch dafür.

Degenhardt: Interessant ist ja auch, Herr Schausberger, dass die Regionen, die eventuell – wir reden ja nur von Eventualfällen –, die eigene Wege gehen wollen, die möchten gerne den Euro als Gemeinschaftswährung behalten. Das klingt so ein bisschen, als wolle man nicht volles Risiko gehen. Denn im Falle eines Scheiterns sind ja noch die anderen da.

Schausberger: Ja, schauen Sie nach Großbritannien, Schottland … Ich meine, diese uneuropäische Politik, die Cameron macht, führt in weiterer Folge meines Erachtens ganz sicher zu noch mehr Wunsch nach Abspaltung Schottlands. Denn Schottland will sich an Europa anhalten, will auch den Euro haben. Und je europafeindlicher sich Cameron bewegt, umso mehr gibt er den Schotten einen Grund dafür zu sagen: Okay, wir wollen eigentlich Europa sein und daher müssen wir vom United Kingdom weggehen.

Degenhardt: Also eigentlich auch relativ unterschiedliche Entwicklungen, wenn wir Spanien nehmen auf der einen Seite und das Vereinigte Königreich auf der anderen Seite. Wir werden das hier nicht erschöpfend beantworten können und erklären können.

Vor allem reiche EU-Regionen, aber nicht nur solche, wollen raus aus ihren Staaten, auch die Katalanen. Dort wurde gestern gewählt und das war für uns Anlass für dieses Gespräch mit Franz Schausberger von der ÖVP, er ist Gründer und Vorstand des Instituts der Regionen Europas in Salzburg. Vielen Dank, Herr Schausberger, für das Gespräch und einen schönen Tag noch.

Schausberger: Bitte, gerne, Ihnen auch einen schönen Tag.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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