Karl Krolow

Gedichte aus der frühen Bundesrepublik

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Der Lyriker Karl Krolow (M) signiert ein Buch. Er wurde am 17.08.1975 als zweiter Stadtschreiber von Bergen-Enkheim in sein Amt eingeführt. Die Laudatio hielt Günter Grass (r). © picture alliance / dpa / Gerhard Weitkamp
Von Christian Linder. · 11.03.2015
Gedichte, notierte Karl Krolow in einem "poetischen Tagebuch", müssten sich "allein durchschlagen, gleichsam bis an die Zähne bewaffnet mit Vokabeln". Krolow war einer der bestimmenden Lyriker der Nachkriegsliteratur. Vor 100 Jahren wurde er geboren.
Die Abende verbrachte Karl Krolow jahrzehntelang mit alter Musik, am liebsten aus der Barockzeit. Da schenkte ihm im hohen Alter ein Freund neue Musik, Brian Enos "Discreet Music 1 & 2".Krolow mochte diese Minimal Music zunächst nichts besonders, musste sich dann jedoch eingestehen:
"Brian Enos Tonfolge d-e-g-a-h brauche ich manchmal. Sie gehört vielleicht auch zu dem ‚fast nichts', das Aufmerksamkeit erregt. Die Tonfolge lebt von sich selber, schwillt an und verschwindet, minimal, kein feuchter Traum von Harmonie, meinetwegen schön banal oder Wiederholung wie Mystik."
Diese Tagebuchnotiz zeugt von Krolows Bereitschaft, herauszubekommen, inwieweit er sich als Zeitgenosse der Moderne begreifen konnte. Als solcher Zeitgenosse auch im Sinne einer Zeugenschaft hat er von früh an westdeutsche Nachkriegsliteratur-Geschichte geschrieben. 1947 erschien das Gedicht "Lied, um sein Vaterland zu vergessen", das bald in zahllosen Abschriften kursierte und mit den Zeilen begann:
"Die zwischen Zähne Messer tun, / Soldaten, früh gehenkt. / Mit Augen, die in Höhlen ruhn, / Ins Jochbein eingesenkt, / Durchschossnen Schultern, Wunden / schwarz / Von Nacht und von Gestank: / Durchsichtig werden sie wie Quarz / Und hell mir im Gesang."
Poetische Notate
Der Autor, geboren als Beamtensohn am 11. März 1915 in Hannover, war 1947 kein Debütant mehr, der erst noch seine Stimme ausprobieren musste. Schon 1943 war der schmale Gedichtband "Hochgelobtes gutes Leben" erschienen - Naturlyrik in der Nachfolge Oskar Loerkes und Wilhelm Lehmanns. Nach 1945 hielt Krolow zwar an frühen Natur-Motiven fest, nahm nun jedoch auch in den Blick, wie Menschen in die Natur eingriffen und sie mehr und mehr zerstörten.
Poetische Notate, die als weiteres Thema in ungeschützter Subjektivität vom Aufenthalt des Autors in der Welt erzählten und dabei ihre eigene Zerbrechlichkeit, allerdings, darauf bestand Krolow, in Form einer "eisernen Labilität" vorführten. Wenn der Autor selbst öffentlich las, wurde dies sofort hörbar:
"Glühende Rätsel wärmen nicht, wenn der Winter bevorsteht. Im ersten Frost verliert sich die Sprache auf den Lippen. Ohnmächtig fallen Buchstaben aufs Papier, ohne Worte zu werden."
Büchner - Preis schon mit 41 Jahren
Neben Paul Celan, Günter Eich und Ingeborg Bachmann wurde Krolow mit Büchern wie "Heimsuchung" aus dem Jahr 1948, "Die Zeichen der Welt" von 1952 oder "Wind und Zeit" aus dem Jahr 1954 der bestimmende Lyriker in der frühen Bundesrepublik. Büchner-Preis 1956 - da war Krolow erst 41 Jahre alt. In seiner Dankrede forderte er eine "intellektuelle Heiterkeit" und notierte später in dem Gedicht "Melodie":
"Ich sitze in der Luft / mit einem Lied unterm Hut / pour le piano, ohne Alter / drei Terzen weit, vier / Quarten im Dunkel. / Man kommt voran, / wenn man den Mund öffnet. / Das Singen besorgt / ein anderer."
Gedichte als Nachrichten von "kurzen Reisen ins Innere einiger Augenblicke":
"Es sind Äußerungen aus einer Lage heraus, in der die Entstehung einer Stimme aus der Luft notiert ist, in der Dunkel und Helligkeit in ihrem Kommen und in ihrem Gehen beobachtet sind wie der Wandel der Jahreszeiten."
Deshalb wollte er seine Literatur bloß als "Passagenwerk" verstanden wissen und befand in neben den zahllosen Gedichtbänden erschienenen Prosatexten wie "Im Gehen":
"Man konnte sich ihn tatsächlich am besten im Gehen vorstellen."
Im hohen Alter - Krolow starb 84-jährig in Darmstadt - hatte er sich wegen einer schweren Erkrankung fast ganz aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seine Stimmung signalisierten letzte Buchtitel wie "Schönen Dank und vorüber". Wie eh und je Mitteilungen aus jener Zeitlosigkeit, in der nach seinen Worten die "Sanduhren stille stehen".
"Der Inhalt einer Sanduhr in ein Tuch geschüttet. Du kannst die Zeit tragen, wohin du magst. Ihr gebrochenes Herz, wenn die gesammelten Stunden in der Tasche vergessen werden. Die Überlebenden sind sorglos. Manchmal spüren sie ein Staubkorn, das im Auge reibt. Zaghafte Vergänglichkeit."